Berliner Kurier 19.02.2019
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BERLINER KURIER, Dienstag, 19. Februar 2019<br />
Jeden Sonnabend um Mitternacht gibt es im Kino Babylon den<br />
Mitternachts-Stummfilm. Der Eintritt ist kostenfrei.<br />
Nachts.<br />
Eine Frau.<br />
913 Pfeifen<br />
Anna Vavilkina ist die einzige fest angestellte<br />
Kino-Organistin Deutschlands. Sie begleitet imBabylon<br />
am Rosa-Luxemburg-Platz die Mitternachts-Stummfilme<br />
und lässt dabei die Finger über die Tasten rauschen<br />
Anna Vavilkina vordem großen Auftritt.Mit einer TasseKaffee<br />
genießt sie die Ruhe vordem großen Pfeifen-Sturm.<br />
Auf ihrer Tassesteht der Spruch „Wie würde es Lubitsch machen?“<br />
Die Filme des Stummfilm-Regisseurs mag Vavilkina sehr.<br />
Erzbistum Köln als Kirchenmusikerin<br />
–und zog vor fünf<br />
Jahren nach Berlin, um im Babylon<br />
zu spielen. Schon im Urlaub<br />
hatte sie zuvor die Hauptstadt<br />
besucht, die Orgel im<br />
Haus besichtigt und sie gleich<br />
ausprobiert.<br />
„Weil ich mich<br />
für Kinoorgeln<br />
interessierte“,<br />
sagt sie. „Und<br />
ich verliebte<br />
mich gleich in<br />
das Instrument. Man sagte mir:<br />
Pianisten stehen Schlange, um<br />
zu spielen, aber von Organisten<br />
könne man das nicht behaupten.<br />
Also sagte ich: Wenn Sie jemanden<br />
suchen, bin ich da.“<br />
An der Orgel kann<br />
sie immer wieder<br />
Neues entdecken.<br />
Schon eineWoche später stieg<br />
das jährliche Stummfilmfestival,<br />
Vavilkina begleitete mit<br />
Buster Keatons „Balloonatic“ ihren<br />
ersten Film. Sie begann, am<br />
Wochenende den Stummfilm<br />
um Mitternacht zu bespielen.<br />
Heutetut siedas<br />
jeden Sonnabend<br />
–und ist<br />
auch unter der<br />
Woche im Haus.<br />
Ihr Werkzeug,<br />
die Orgel, ist<br />
ebenfalls eineBesonderheit:Sie<br />
war lange außer Betrieb, wurde<br />
1999 restauriert –und ist heute<br />
die einzige Kinoorgel in<br />
Deutschland, die anihrem ursprünglichen<br />
Standort betrieben<br />
wird. Die Instrumenten-<br />
Königinbietetneben 66Pfeifenregistern<br />
aus 913 Orgelpfeifen<br />
137 Klangteile und 34 Effekte –<br />
wichtig zum Erzeugen von Geräuschen<br />
bei der Begleitung. Die<br />
größte Pfeife ist 3,10 Meter<br />
hoch, diekleinste 10Millimeter.<br />
Vavilkina kennt ihre Orgel<br />
nach Jahren natürlich in- und<br />
auswendig. „Und trotzdem gibt<br />
es bei solchen guten Instrumenten<br />
auch nachlanger Zeit immer<br />
wiederetwas zu entdecken.“Das<br />
kann auch daran liegen, dass jeder<br />
Film, den siebegleitet, anders<br />
ist –und dass es zum Job gehört,<br />
zu improvisieren. „Ich schaue<br />
mir vor den Vorstellungen zwar<br />
die Filme anund lasse mich inspirieren.<br />
Manchmal gibt es bestimmte<br />
Szenen, zu denenmir eine<br />
musikalische Idee kommt, irgendetwas,<br />
was<br />
ich einbauen<br />
kann.“ Vieles<br />
fließt ihr aber<br />
spontan aus den<br />
Fingern. Am 23.<br />
Februar nimmt<br />
sie wieder an derOrgel Platz, begleitet<br />
„Rosita“ von Ernst<br />
Lubitsch, einem Regisseur, den<br />
sie mag.„Manche Filme habe ich<br />
schon sehr oft gespielt, sie bieten<br />
nichts erfrischendes mehr, aber<br />
seine Werke, vor allem,DiePuppe‘,<br />
machen mir auch nach all<br />
den Jahren noch Spaß.“<br />
Dann lässt sie erneut ihre<br />
Wenn andere<br />
schlafen, gilt ihr<br />
der letzte Applaus.<br />
Hände über die Tasten und die<br />
Effektregler huschen, während<br />
ihre Füße die Pedale der Orgel<br />
bedienen, als<br />
hätten sie nie etwas<br />
anderes getan.<br />
Und ganz<br />
am Schluss, zu<br />
einer Zeit, wenn<br />
die meisten <strong>Berliner</strong><br />
schlafen, gilt der letzte<br />
Applaus ihr: Anna Vavilkina.<br />
Dass sie während des Films<br />
nicht immer wahrgenommen<br />
wird, weil alle Blicke nach vorn<br />
gerichtet sind, stört sie nicht.<br />
Sie wisse, dass die Gäste ihre<br />
Musik hören, das zähle. „Und<br />
eine kleine Fangemeinde habe<br />
ich auch“, sagt sie und lacht.