Berliner Zeitung 20.03.2019

12 * Berliner Zeitung · N ummer 66 · M ittwoch, 20. März 2019
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Berlin
Undercover
in der
Psychiatrie
Vivantes wirft RTL
verzerrenden Bericht vor
Heimlich ins Essen gemischte
Medikamente, überbelegte
Zimmer, überlastetes Personal: Der
Fernsehsender RTL hat in einer am
Montagabend ausgestrahlten Folge
der Investigativ-Doku „Team Wallraff“
Missstände in Psychiatrien angeprangert.
In vier psychiatrische
Einrichtungen in ganz Deutschland
hat RTL undercover recherchiert. In
Berlin war der Fernsehreporter Torsten
Misler als „Praktikant“ im Vivantes
Klinikum in Spandau tätig. Nach
RTL-Angaben wurde er Zeuge, wie
Patienten verbotenerweise Medikamente
ins Essen gemischt wurden.
DasPersonal habe keine Zeit oder Geduld,
den Patienten die Medikamente
auf vorgeschriebene Weise zu verabreichen.
Einer Patientin soll gegen ihrenWillen
ein Beruhigungsmittel verabreicht
worden sein. Zudem zeigt
der RTL-Bericht die Überbelegung
einzelner Zimmer.Ineinem Vierbett-
Zimmer seien fünf Patienten untergebracht.
Manche Kranken mussten in
Betten auf dem Flur schlafen.
„Einige Aspekte der gezeigten TV-
Szenen entsprechen nicht den Ansprüchen
von Vivantes an eine gute
psychiatrische Versorgung“, heißt es
in einer Stellungnahme des Klinikkonzerns.
Allerdings würden sich die
Vorgänge bei genauerer Betrachtung
zum Teil völlig anders darstellen, „als
in der skandalisierenden Berichterstattung
von RTL suggeriert wird“.
Nichtsdestotrotz habe man umgehend
mit der Aufarbeitung der konkreten
Einzelfälle begonnen, teilteVivantes-Sprecherin
Kristina Tschenett
mit. Zu den gezeigten Patienten, die
RTL ohne deren Einverständnis gefilmt
habe,könne sich Vivantes nicht
äußern, dazu wäre eine Entbindung
von der ärztlichen Schweigepflicht
nötig, die nicht vorliege.
Zu dem Vorwurf der Überlegung
weist die Sprecherin darauf hin, dass
die psychiatrischen Kliniken vonVivantes
eine Aufnahmeverpflichtung
haben. Patienten, die unzweifelhaft
einer stationären Behandlung bedürfen,
müssten zu jedem Zeitpunkt
aufgenommen werden –unabhängig
von der Auslastung. So könne es
vorkommen, dass Zimmer kurzfristig
mit mehr Betten belegt werden
müssen als vorgesehen oder dass
Betten übergangsweise auf dem Flur
untergebracht werden. Die Anzahl
der Mitarbeiter sich generell nach
den gesetzlichen Vorgaben. Der Vivantes-Mitteilung
zufolge sind die
Mitarbeiter empörtdarüber,dass sie
heimlich gefilmt wurden, sie werden
dagegen rechtlich vorgehen. (ost.)
VonKatrin Bischoff
Hamdi H. steht auf, als er
an diesem Dienstag das
ihm zustehende letzte
Wort eines Angeklagten
vor der Schwurgerichtskammer des
Landgerichts Berlin ergreift. „Ich
wollte mich bei dem Sohn des Getöteten
und der Familie entschuldigen“,
erklärt der 30-Jährige dem Gericht.
Underwolle auch sagen, dass
er das, was in der Nacht zum 1. Februar
2016 geschehen sei, ungeschehen
machen wolle. „Wenn ich
könnte.“ Es ist der letzte Verhandlungstag
vor der Urteilsverkündung
im Mordprozess gegen die sogenannten
Kudamm-Raser Hamdi H.
und Marvin N.
In der Nacht zum 1. Februar 2016
starb ein 69-jähriger Arzt im Ruhestand,
als er mit seinem Jeep vonder
Nürnberger Straße auf die Tauentzienstraße
einbiegen wollte. Erhatte
Grün. Er ahnte nicht, dass sein Wagen
vom heranrasenden Audi des
Angeklagten Hamdi H. erfasst und
70 Meter weit katapultiert werden
würde.Der 69-Jährige war soforttot.
Die Ermittlungen ergaben, dass
der 225-PS-starke Audi mit 160 bis
170 Kilometer proStunde in den Jeep
gekracht war. Eswar das tragische
Ende eines illegalen Straßenrennens,
dass sich Hamdi H. und Marvin
N. mit ihren hochmotorisierten
Fahrzeugen auf dem Kudamm und
der Tauentzienstraße geliefert und
bei dem sie offenbar mehrere rote
Ampeln missachtet hatten.
In einem ersten Prozess waren die
Angeklagten im Februar 2017 wegen
Mordes mit gemeingefährlichen
Mitteln –den Autos –zulebenslangen
Freiheitsstrafen verurteilt worden,
erstmals in der bundesdeutschen
Rechtsgeschichte. Doch der
Bundesgerichtshof hob das Urteil
auf. Er schloss jedoch eine mögliche
erneute Verurteilung wegen Mordes
nicht aus, gab sogar den Hinweis,
das Mordmerkmal der Heimtücke zu
prüfen.
Kein konkreter Antrag
Es ist der 19. Verhandlungstag in diesem
Revisionsverfahren. Und ergehört
andiesem Dienstag der Verteidigung
vonHamdi H. und Marvin N.
Vier Anwälte,jezweifür jeden Angeklagten,
plädieren. So fordern die
Verteidiger vonHamdi H. eineVerurteilung
lediglich wegen fahrlässiger
Tötung und gefährlichen Eingriffs in
den Straßenverkehr.Wenn der tödliche
Crash ein Mord gewesen sei,
dann würden sich alle Autofahrer,
die die erlaubte Geschwindigkeit um
30 oder 70 Stundenkilometer überschritten,
des versuchten Mordes
oder des versuchten Totschlags
Anwälte wollen milde Urteile
Tödliches Autorennen: Verteidiger sehen keinen Mordvorwurf
Am kommenden Dienstag wollen die Richter ein Urteil verkünden.
DPA/PAUL ZINKEN
„Für die Staatsanwaltschaft gilt es, für die
Stadt ein Exempelzustatuieren und vielleicht
ein bisschen Justizgeschichte zu schreiben.“
Peter Zuriel, Anwalt von Hamdi H., zur Forderung des Staatsanwalts,
die Angeklagten erneut wegen Mordes zu verurteilen
„Macht sich jeder Autofahrer, der 30 oder gar
70 Kilometer pro Stunde zu schnell fährt, des
versuchten Totschlags oder des versuchten
Mordes schuldig?“
Ingmar Pauli, Anwalt von Hamdi H.
schuldig machen, argumentiert Anwalt
Ingmar Pauli. Sein Kollege Peter
Zuriel erklärt, dass es für die Staatsanwaltschaft
gelte, ein Exempel für
die Stadt zu statuieren und „vielleicht
ein bisschen Justizgeschichte
zu schreiben“. Einen konkreten
Strafantrag stellen die Verteidiger
vonHamdi H. nicht.
Auch die Anwälte von Marvin N.
sagen, dass eine Verurteilung wegen
Mordes bei ihrem Mandanten nicht
infrage komme. Man könne den 27-
Jährigen nicht für den Toddes unbeteiligten
Autofahrers verantwortlich
machen, ihn weder wegen eines vorsätzlichen
Tötungsdelikts noch wegen
fahrlässiger Tötung verurteilen,
sagt Rainer Elfferding. Der bedingte
Tötungsvorsatz sei konstruiert.
Beifahrerin schwer verletzt
Anwalt Enrico Boß stellt infrage, ob
der tödliche Unfall zu verhinderngewesen
wäre, wenn sich Marvin N.
nicht zu einem Stechen hätte hinreißen
lassen. Nichtmit Sicherheit, sagt
Boß. Schließlich sei der mitangeklagte
Hamdi H. öfter auch alleine
gerast, wenn er niemanden zu einem
Stechen habe provozieren können.
Boß erklärt, Mord passe nicht zu
diesem Fall. Schließlich könne man
seinen Mandanten nicht auf eine
Stufe stellen mit Mördern, die einen
anderen Menschen wegen 50 Euro
hinterrücks mit einer Axt erschlagen
hätten. Er fordert, eine Freiheitsstrafe
vondreiJahren wegen fahrlässiger
Körperverletzung und Gefährdung
des Straßenverkehrs gegen
Marvin N. zu verhängen. Bei dem
Crash war der Audi von Hamdi H.
auch in den 381-PS-starken Mercedes
vonMarvin N. geschleudert, dessen
Beifahrerin schwer verletzt
wurde. Anwalt Boß will zudem, dass
der Haftbefehl gegen seinen Mandanten
aufgehoben wird. Diebeiden
Angeklagten sitzen seit mehr als drei
Jahren in Untersuchungshaft.
Marvin N. erklärt inseinem letzten
Wort vordem Urteil, er hätte sich
gerne persönlich bei dem Sohn des
getöteten Autofahrers entschuldigt.
Doch sei der Nebenkläger nicht anwesend.
Der27-Jährige sagt auch, er
werde die Konsequenzen seiner Tat
tragen. Er hoffe jedoch auf ein gerechtesUrteil.
Der Staatsanwalt plädierte in
dem Verfahren bereits vor zwölf Tagen
und forderte erneut eine lebenslange
Freiheitsstrafe wegen Mordes
für die Angeklagten. Das Urteil soll
am 26. Märzgesprochen werden.
Katrin Bischoff
verfolgt den Raser-Prozess
vonAnfang an.
Hunde können
Wasserleichen
wittern
Suche nach Rebecca
in Brandenburg
VonAndreas Rabenstein
Aufmerksam steht der Hund am
Bug des kleinen Bootes. Langsam
geht es vorwärts auf dem Wolziger
See inBrandenburg, südöstlich
von Berlin. Gesteuert wird das Boot
von zwei Polizisten, die den Hund
anleiten. Seine Aufgabe: eine Leiche
tief unter der Wasseroberfläche aufspüren
–wenn es sie gibt. Eigens aus
Nordrhein-Westfalen rückten vier
Polizisten und zwei Hunde an, um
die Berliner Mordkommission am
Montag und Dienstag bei der Suche
nach der seit einem Monat vermissten
Rebecca zu unterstützen.
Gesucht wurde sowohl am Ufer
wie auch auf dem See. Bis zu13Meter
ist das Wasser tief. Leichenspürhunde,die
auch für die Wassersuche
ausgebildet sind, können sogar bei
noch tieferen Gewässern erfolgreich
sein. Während die sogenannten
Mantrailer lebende Menschen suchen
und sich mit ihrer hochempfindlichen
Nase an deren individuellem
Geruch orientieren, riechen Leichenspürhunde
Geruchsstoffe, die
bei der Verwesung entstehen.
Aufsteigende Gase
„Leichenspürhunde sind darauf
konditioniert, Geruch von Blut und
Verwesungsprozessen in unterschiedlichen
Stadien anzuzeigen“,
sagt Polizeidirektor Uwe Thieme, in
NRWverantwortlich für die Aus- und
Fortbildung im Bereich des Diensthundewesens.Liegt
ein toter Körper
im Wasser, ist die Suche eine andere
als im Wald. Hilfreich sind Gase, die
bei der Zersetzung durch Bakterien
entstehen. „Die Gase steigen in sehr,
sehr feiner Konsistenz auf“, erklärt
Thieme.„Unddie Hunde sind in der
Lage,Verwesungsstoffe in diesen Gasen
zu riechen.“
Riecht der Hund einen Geruchsstoff,
auf den er trainiert ist, signalisierterdas,etwa
durch Knurren oder
Bellen. Auf dem See grenzt die Polizeisoeinen
bestimmten Bereich ein,
in dem ein Körper weiter unten im
Wasser liegen könnte. Taucher werden
dann dort zum Grund des Sees
oder Flusses geschickt.
In Brandenburg steht ein Erfolg
aber noch aus. Die Polizei beendete
ihreSuche an und auf dem Seenach
der vermissten 15-Jährigen sowie an
der nahe gelegenen Autobahn bereits
am Dienstagnachmittag. Es sei
nichts gefunden worden, sagte eine
Sprecherin. Nun müsse die Mordkommission
wieder beraten, wie es
weitergehe. (dpa)
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