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Berliner Zeitung 20.03.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 66 · M ittwoch, 20. März 2019 3 *<br />

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Seite 3<br />

Ganz oben,dann rechts<br />

Benjamin Harnwell, 43 Jahre alt, Brite, Katholik und rechter Vordenker,auf einer Mauer der Kartause von Trisulti<br />

IMAGO<br />

Der imposante Klosterbau liegt<br />

zwei Autostunden südöstlich<br />

von Rom, in den Bergen des<br />

Apennin, fast tausend Meter<br />

hoch, umgeben von Eichenwäldern und<br />

Gipfeln, auf denen noch Schneereste liegen.<br />

Bis zum nächsten Dorf, Collepardo, sind es<br />

fünf Kilometer auf einer Serpentinenstraße.<br />

800 Jahrelang lebten in der abgeschiedenen<br />

Kartause von Trisulti Mönche. Jetzt ist nur<br />

noch einer übrig, ein alter Mann.<br />

Er hat seit einem Jahr in dem 25 000 Quadratmeter<br />

großen Klosterkomplex einen<br />

neuen Hausherrn und Mitbewohner: den<br />

Briten Benjamin Harnwell, 43 Jahre alt, mit<br />

Ende zwanzig zum Katholizismus konvertiert.<br />

Er ist der Chef des ultrakonservativen<br />

Think Tanks Dignitatis Humanae Institut.<br />

In einer Allianz mit papstfeindlichenVatikankreisen<br />

und einem der bekanntesten USamerikanischen<br />

Rechtspopulisten will<br />

Harnwell aus der Certosa di Trisulti eine Kaderschmiede<br />

machen. „Eine Akademie für<br />

alle, die die jüdisch-christliche Kultur des<br />

Westens verteidigen wollen“, wie er sagt.<br />

Gegen die Masseneinwanderung von<br />

Muslimen aus Afrika, gegen die gottlose Gesellschaft<br />

der globalisierten Eliten, gegen<br />

den Niedergang traditioneller christlicher<br />

Werte. Eine Fortbildungseinrichtung für Politiker<br />

soll es sein, für Geistliche und für normale<br />

Bürger. Steve Bannon, der ehemalige<br />

Chefstratege von US-Präsident Donald<br />

Trump, hat es zugespitzter formuliert: Trisulti<br />

werde„eine Gladiatorenschule für Kulturkämpfer“<br />

– für eine neue Generation<br />

Rechtsnationalisten und Populisten.<br />

Zentrum des Universums<br />

Steve Bannon ist Schirmherr des Dignitatis<br />

Humanae Instituts.Der Ex-Chef des rechtsradikalen,<br />

islamfeindlichen und für Fake News<br />

berüchtigten US-amerikanischen Internetportals<br />

Breitbart News arbeitet an einer<br />

rechtspopulistischen Wende in Europa. Er<br />

träumt davon, dass bald nicht nur in Italien,<br />

sondern überall Populisten-Regierungen wie<br />

die der Fünf Sterne und der fremdenfeindlichen<br />

rechtsnationalen Lega an die Macht<br />

kommen. Bannon ist jetzt regelmäßig in Italien.<br />

Er hat es zum„Zentrum des Universums“<br />

erklärt. Auch in Trisulti war er schon häufiger.<br />

Weil hinter den dicken Klostermauern<br />

kaum geheizt ist, schlägt Benjamin Harnwell<br />

vor, das Gespräch draußen in der Vorfrühlingssonne<br />

zu führen, die zumindest ein wenig<br />

wärmt. Er stellt die Stühle auf einen kleinen<br />

Vorplatz, von dem man auf die Klostergärten<br />

und einen Teich mit Madonna in der<br />

Mitte blickt.<br />

Harnwell, früher Bürochef eines konservativen<br />

britischen EU-Abgeordneten in<br />

Brüssel, ist mittlerweile an Journalistenbesu-<br />

In einem Kloster in den Bergen Italiens baut<br />

der Brite Benjamin Harnwell eine Kaderschmiede für nationalistische<br />

Kulturkämpfer auf, die irgendwann Europa regieren sollen.<br />

An seiner Seite: der US-Rechtspopulist Steve Bannon<br />

che gewöhnt. Das Interesse an der rechten<br />

Denkfabrik ist groß. Er gibt sich „casual“, mit<br />

Jeans und Daunenweste,die Haarenach hinten<br />

gekämmt –ganz wie Bannon.<br />

Von dem schwärmt er in den höchsten<br />

Tönen. „Er hat ein unglaubliches Charisma.<br />

Er ist der eindrucksvollste Typ, den ich je getroffen<br />

habe.“ Bannon mache keine Kompromisse,umvom<br />

Establishment akzeptiert<br />

zu werden. Er habe das politische Schema<br />

verändert. Statt „rechts gegen links“ heiße es<br />

jetzt: einfacher Arbeiter gegen globale Eliten.<br />

„Bannon war der intellektuelle Architekt des<br />

populistischen Paradigmas“, sagt Harnwell<br />

mit triumphierendem Lächeln.<br />

Bannon gab auch den Anstoß für die Akademie.Das<br />

war 2014, bei einer Konferenz des<br />

Instituts im Vatikan. Er war per Video zugeschaltet<br />

und wetterte in seinem Vortrag gegen<br />

den „faschistischen Islam“, den Säkularismus,die<br />

kapitalistische Vetternwirtschaft.<br />

„Das war die Inspiration“, sagt Harnwell.<br />

Beide, Bannon und Harnwell, arbeiten<br />

nun gemeinsam am Konzept und am Trainingsprogramm<br />

der „Akademie für den jüdisch-christlichen<br />

Westen“. Dieses Jahr sind<br />

erst einmal nur Sommerkurse mit bis zu 50<br />

Teilnehmern in Rom geplant. „Wir haben<br />

jetzt schon zehnmal mehr Anfragen als<br />

Plätze“, sagt Harnwell. Ab 2020 soll die<br />

Schule in Trisulti dann ihren Vollzeit-Betrieb<br />

aufnehmen. Zuerst muss aber ein Teil des<br />

mittelalterlichen Klosters umgebaut und<br />

modernisiert werden. Bislang gibt es nicht<br />

einmal Internet-Zugang.<br />

Wasdie Unterrichtsinhalte der Akademie<br />

betrifft, bleibt Harnwell vage. „Es wird um<br />

Theologie, Philosophie, Wirtschaft und Geschichte<br />

gehen.“ Überhaupt ist er im Gespräch<br />

eher zurückhaltend. In Texten, die er<br />

auf Twitter und auf BreitbartNews veröffentlicht,<br />

wird erdeutlicher. Dageht es etwa gegen<br />

die gleichgeschlechtliche Ehe, unter<br />

Überschriften wie „Die Familie ist das<br />

Schlachtfeld in einem großen spirituellen<br />

Krieg.“ Harnwell ist überzeugt davon, dass es<br />

eine internationale Verschwörung gibt, an<br />

der Unound EU beteiligt sind, um die Welt-<br />

VonRegina Kerner,Collepardo<br />

FRANK-<br />

REICH<br />

100 km<br />

Steve Bannon,<br />

Publizist, Politikberater<br />

und ehemaliger<br />

Chefstratege<br />

von Donald Trump DPA<br />

SCHWEIZ<br />

Sardinien<br />

ITALIEN<br />

Mittelmeer<br />

Rom<br />

Certosa di Trisulti<br />

Neapel<br />

Sizilien<br />

BLZ/GALANTY, REEG<br />

bevölkerung zu schrumpfen. Undergreift in<br />

seinen Texten den Papst an.<br />

Dabei hat er exzellente Beziehungen in<br />

den Vatikan –allerdings zu einem ganz bestimmten<br />

Teil der Kurie. Ehrenpräsident seines<br />

Instituts ist der Frontmann der erzkonservativen<br />

Traditionalisten in der katholischen<br />

Kirche: Kardinal Raymond Leo Burke,<br />

der größte Gegner von Franziskus.„Ein sehr<br />

weiser Mann“, sagt Harnwell. Er treffe sich<br />

regelmäßig mit ihm. Im Beirat des Dignitatis<br />

Humanae Instituts sitzen weitereelf konservative<br />

Kardinäle, auch der deutsche Walter<br />

Brandmüller.<br />

Franziskus’ Reformbemühungen sind<br />

Leuten wie Burke, Brandmüller und Harnwell<br />

ein Dorn imAuge. Er verwässere die<br />

Doktrin, werfen sie ihm vor. Sie finden es<br />

skandalös, dass der Papst geschiedene Katholiken,<br />

die wieder geheiratet haben, in bestimmten<br />

Fällen zur Kommunion zugelassen<br />

hat. Er seizulinks.<br />

„Die katholische Kirche macht zu viel<br />

weltliche Politik, statt sich um den Glauben<br />

zu kümmern“, sagt Harnwell.„Der Papst verstört<br />

damit seine Herde.“ Natürlich zielt das<br />

vor allem auch auf die zuwanderungs- und<br />

migrantenfreundliche Haltung von Franziskus.<br />

„Matteo Salvini wird inItalien inzwischen<br />

mehr respektiert als der Papst“, sagt<br />

Harnwell. Der Innenminister und Lega-<br />

Chef, der Italiens Häfen für Flüchtlinge geschlossen<br />

hat, sei einer, der es ernst meine<br />

mit dem Schutz der christlichen Kultur.<br />

Zuwanderung hält Harnwell für eine<br />

enorme Bedrohung. „Wenn die ersten zehn<br />

Millionen Afrikaner nach Europa gekommen<br />

sind, wird die Demokratie verschwunden<br />

sein.“ Die herrschenden Politiker seinen völlig<br />

inkompetent, sagt er und schimpft insbesondere<br />

auf Angela Merkel, die ihr Land für<br />

Migranten geöffnet habe.<br />

Von Europas christdemokratischen Parteien<br />

hält er nichts.„Die reden nur im Wahlkampf<br />

über christliche Werte. Aber sie liefern<br />

nicht.“ Tatsächlich seien heute Nationalpopulisten<br />

wie Salvini oder Marine Le Pen die<br />

politische Mitte.<br />

Während Harnwell spricht, läuft ein Ehepaar<br />

mit Fremdenführerin vorbei. Vormittags<br />

kann das Kloster besichtigt werden,<br />

wenn man an einer kleinen Tour teilnimmt.<br />

DerEintritt kostet fünf Euro,die an das Institut<br />

fließen. Es hat das Kloster seit einem Jahr<br />

angemietet, vomitalienischen Staat.<br />

Trisulti ist seit 1873 ein Nationaldenkmal.<br />

Nach einer öffentlichen Ausschreibung hatte<br />

das Kulturministerium in Romunter mehreren<br />

Bewerbern Harnwells Institut ausgewählt.<br />

„Es war immer bekannt, was wir hier<br />

machen wollen“, versichert der. 100 000<br />

Euro beträgt die jährliche Miete, der Vertrag<br />

läuft 19 Jahre. Dazu kommen Umbau- und<br />

Modernisierungskosten. Wie sich die rechte<br />

Denkfabrik finanziert, ist unklar. „Wir bekommen<br />

Spenden“, sagt Harnwell, „es sind<br />

Privatleute, die anonym bleiben wollen.“<br />

Deutsche seien nicht darunter. Spekuliert<br />

wird zuweilen, dass unter den Finanziers<br />

dieselben superreichen Amerikaner sind, die<br />

auch Trumps Wahlkampf unterstützten.<br />

ZumAbschluss zeigt Harnwell dann noch<br />

die prachtvolle, mit Fresken verzierte Klosterapotheke,<br />

eine der Sehenswürdigkeiten<br />

von Trisulti. Und die Kirche, wofrüher die<br />

Mönche im hölzernen Chorgestühl beteten.<br />

Jedes Mal, wenn er am Altar vorbeiläuft,<br />

kniet Harnwell beflissen nieder.<br />

DerÄrger derDorfbewohner<br />

Weiter unten an der Serpentinenstraße, im<br />

Dörfchen Collepardo, wird der neue Hausherr<br />

der Kartause mit gemischten Gefühlen<br />

gesehen. Barbarahantierthinter dem Tresen<br />

der Bar del Corso an der Espressomaschine.<br />

Sie könne nichts Schlechtes über „Benjamin“<br />

sagen, versichert sie. Sympathisch sei<br />

er.„Mirist die Politik egal, damit das klar ist.<br />

Aber die Leute im Dorf sind sauer, weil sie<br />

ihreHochzeiten nicht mehr in der Klosterkirche<br />

feiern können.“ Und der Bürgermeister<br />

versichert, in Collepardo habe man keine<br />

Angst davor,sich mit Gedankengut jeglicher<br />

Art auseinanderzusetzen. Aber Harnwell<br />

müsse zumindest die Kirche und einen Teil<br />

der Kartause für die Dorfbewohner öffnen.<br />

Andere haben durchaus ein Problem damit,<br />

dass das Kloster zum Hort Ultrakonservativer<br />

und rechterExtremisten werden soll.<br />

Ende Dezember nahmen 300 Menschen an<br />

einem Protestmarschteil. „Esist einsehrbeunruhigendes<br />

Projekt“, sagte damals der<br />

linke Parlamentsabgeordnete Nicola Frantoianni.<br />

„Von Leuten, die ein neues Mittelalter<br />

in unserer Gesellschaft schaffen wollen.“<br />

Regina Kerner war nach dem Besuch<br />

in der nicht geheizten Kartause und<br />

dem Gespräch im Freien durchgefroren.

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