Procycling 03.19
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ERIK ZABEL<br />
Bist du damals ins Ziel gekommen?<br />
Ja, aber ich kann mich erinnern, dass das Niveau<br />
an der Cipressa zu hoch für mich war und die<br />
richtig guten Rennfahrer mich dort abgehängt<br />
haben. Ich bin, glaube ich, 96. geworden, mit fünf<br />
Minuten Rückstand oder so. [Fast richtig: Zabel<br />
kam als 94. zwei Minuten und 53 Sekunden nach<br />
dem Sieger ins Ziel.]<br />
Was war die größte Erkenntnis<br />
aus diesem außergewöhnlichen Tag?<br />
Natürlich war es nicht schön, an der Cipressa erkennen<br />
zu müssen, dass die Batterie zu Ende ging<br />
und ich nicht das Niveau der Top 50 hatte. Es war<br />
das erste Mal in meinem Leben, dass ich überhaupt<br />
so eine Distanz gefahren bin. Trotz der Tatsache,<br />
dass ich abgehängt wurde, war der ganze<br />
Renntag ein Riesenerlebnis, das mich sehr geprägt<br />
hat. In dieser ersten Saison war es mein<br />
schönster Renntag. Dieses Erlebnis, frühmorgens<br />
im grauen Nebel in Mailand loszufahren, dann<br />
über den Turchino bei schönem Wetter das Mittelmeer<br />
zu sehen und schließlich die ganze Zeit<br />
an der Blumenriviera in Richtung San Remo zu<br />
fahren – das hat mir schon sehr gut gefallen.<br />
Wann kam denn der Gedanke, dort einmal<br />
ganz oben auf dem Podest stehen zu wollen?<br />
Beim ersten Rennen hätte ich noch nicht mal<br />
davon geträumt. 1994, beim zweiten Start, bin<br />
ich dann aber schon 16. geworden. Giorgio Fur-<br />
lan kam damals alleine an, ich war jedoch in der<br />
Gruppe, die hinter ihm um Platz zwei gespurtet<br />
ist. Bei diesem zweiten Start habe ich ein bisschen<br />
Lunte gerochen und mir gedacht: Vielleicht könnte<br />
das irgendwann mal was werden.<br />
Was macht den besonderen<br />
Reiz des Rennens für dich aus?<br />
In erster Linie natürlich die Historie und die Tatsache,<br />
dass es im Radsportland Italien eines der<br />
beiden großen Monumente ist. Die Lombardei-<br />
Rundfahrt war immer vom späten Zeitpunkt und<br />
vor allem von der Strecke her kein Rennen, für das<br />
ich prädestiniert gewesen wäre. San Remo kam<br />
meinen Fähigkeiten als Fahrer viel eher entgegen.<br />
Dazu gehört auch ein gewisses Pokern – man hat<br />
eigentlich nur einen Schuss im Lauf, und der<br />
muss dann sitzen. Auch die Tatsache, dass vor<br />
dem Start eigentlich nie richtig klar ist, wie es<br />
ausgehen wird, macht es so interessant. Kommt<br />
eine lange Flucht durch? Klappt eine Attacke an<br />
der Cipressa oder eher am Poggio mit einem Finisseur?<br />
Gibt es einen Sprint aus einer kleineren<br />
Gruppe? Die verschiedensten Rennfahrertypen<br />
versuchen, dort aufgrund ihrer Fähigkeiten erfolgreich<br />
zu sein.<br />
Wie oft standest du in Mailand am Start?<br />
Jedes Jahr. 16 Jahre war ich Profi, 16 Jahre bin ich<br />
es gefahren.<br />
Und viereinhalbmal hast du gewonnen.<br />
Na ja, viermal. Und das andere, ja … Viereinhalb<br />
[lacht], wenn man es positiv sehen will.<br />
Kannst du dich noch an deinen<br />
ersten Sieg im Jahr 1997 erinnern?<br />
Klar. Das war schon sehr emotional. Ich wusste<br />
zwar, dass ich in jenem Frühjahr gut in Form war<br />
und vielleicht auch so ein bisschen zum Favoritenkreis<br />
gehörte – aber die Ambition zu haben und<br />
diese dann auch umzusetzen, sind natürlich immer<br />
zwei Paar Schuhe. Dass es geklappt hat, war<br />
schon ein großer Moment.<br />
1998 gelang dir gleich der nächste Sieg. Sehr<br />
präsent bis heute ist neben den Erfolgen aber<br />
auch das Jahr 2004, wo du bereits gejubelt<br />
hast und noch überholt wurdest. Das muss,<br />
speziell in deinem „Wohnzimmer“, sehr weh<br />
getan haben.<br />
Triumph und Tragik: 2001 gewann<br />
Zabel zum vierten Mal in San Remo<br />
(oben), 2004 jubelte er zu früh (unten).<br />
34 PROCYCLING | MÄRZ 2019