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Berliner Zeitung 10.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 84 · M ittwoch, 10. April 2019 3 *<br />

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Seite 3<br />

Tatenlos zugeschaut<br />

Vollverschleierte Frauen bei der Kundgebung eines radikalen PredigersinDeutschland<br />

DPA/BORIS ROESSLER<br />

Das soll eine deutsche IS-Kämpferin<br />

sein? Diese Frage stellt sich<br />

am Dienstagmorgen, als Jennifer<br />

W. im Münchner Oberlandesgericht<br />

erscheint. Diese Frau soll für die Terrortruppe<br />

Islamischer Staat mit Kalaschnikow<br />

und Sprengstoffweste durch Falludscha und<br />

Mossul patrouilliert sein? Diese Frau soll tatenlos<br />

zugesehen haben, wie ein fünfjähriges<br />

Mädchen verdurstete? Vor einem Dreivierteljahr<br />

wurde JenniferW. bei demVersuch gefasst,<br />

mit ihrer zweijährigen Tochter nach Syrien<br />

zurückzukehren, zu ihren –wie sie sie<br />

nennt –„Brüdern“ vomIS.<br />

Und nun steht da eine 28-Jährige in der<br />

Anklagebank, die sich zurechtgemacht hat<br />

wie für einen Businesstermin. Weiße Bluse,<br />

schwarzer Blazer, dunkle Hose, moderne<br />

Brille, Ohrstecker. Das lange schwarze Haar<br />

ist zu einem Zopf geflochten, das Haupt ist<br />

unbedeckt. Kein Kopftuch. Soll das ein Signal<br />

an das Gericht sein, dass sie sich vonder fundamentalistischen<br />

Auslegung ihrer Religion,<br />

dem Islam, in der Untersuchungshaft abgewandt<br />

hat? Ihr Pflichtverteidiger Ali Aydin<br />

drückt sich um eine klare Antwort herum.<br />

„Es ist eine freiwillige Entscheidung meiner<br />

Mandantin, ohne Kopftuch heute zu erscheinen“,<br />

sagt er nach der Verhandlung.<br />

Der erste Verhandlungstag dauert keine<br />

halbe Stunde.Nach dem Verlesen der Anklageschrift<br />

ist schon wieder Schluss, das Gericht<br />

vertagt sich um drei Wochen, um allen<br />

Prozessbeteiligten die Möglichkeit zu geben,<br />

mehrere Hundert Blatt neuer Ermittlungsunterlagen<br />

zu lesen. Die Akten wurden vergangeneWoche<br />

vonder Bundesanwaltschaft<br />

ins Verfahren „nachgeschossen“. Es handelt<br />

sich dabei um die Zeugenvernehmungen der<br />

Mutter des Mädchens, das vor den Augen<br />

vonJennifer W. verdurstete.<br />

Erst Kopftuch, dann Nikab<br />

Nora B.,soheißt die Mutter,ist erst vorwenigen<br />

Monaten gefunden worden. Sie ist eine<br />

Jesidin, der die Flucht aus der IS-Gefangenschaft<br />

glückte und die heute in Deutschland<br />

bei Verwandten untergekommen ist. Ihre<br />

Aussagen könnten den schweren Tatvorwurf<br />

gegen die Angeklagte –Morddurch Unterlassen,Verstoß<br />

gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz<br />

und Mitgliedschaft in einer ausländischen<br />

terroristischen Vereinigung – noch<br />

einmal deutlich verschärfen. Nämlich um<br />

das Delikt der Sklaverei, ein Tatbestand aus<br />

dem Völkerstrafrecht. Gelingt es den Anklägern,<br />

die Schuld vonJennifer W. vollumfänglich<br />

nachzuweisen, muss die junge Deutsche<br />

mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen.<br />

So weit ist es aber noch lange nicht, auch<br />

weil der Prozess durchaus einige Unwägbarkeiten<br />

in sich birgt. Da dürfte heftig gestritten<br />

werden über die juristische Verwertbarkeit abgehörter<br />

Gespräche, über die Rolle eines Behördenspitzels<br />

und die Frage,obJennifer W. in<br />

Jennifer W. ist die erste deutsche IS-Rückkehrerin,<br />

die nach ihrer Heimkehr vor Gericht steht. Sie muss sich in München<br />

wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen<br />

Terrorvereinigung verantworten. Und wegen der Tötung eines Kindes:<br />

Laut Anklage ließ sie im Irak ein fünfjähriges Mädchen verdursten,<br />

das sie mit ihrem Mann als Sklavin gekauft hatte<br />

VonAndreas Förster,München<br />

„Hoffentlich<br />

wird Gott ihnen<br />

das zurückgeben,<br />

hoffentlich werden sie<br />

für ihre Taten<br />

bestraft.“<br />

Nora B., Mutter des ermordeten Mädchens.<br />

Sie war zusammen mit der kleinen Tochter drei<br />

Jahre lang Gefangene des IS.<br />

der Männerdiktatur des IS als Frau überhaupt<br />

die Chance hatte,selbstbestimmt zu handeln.<br />

Die monströse Anklage lässt sich schwer<br />

mit der bieder erscheinenden Angeklagten<br />

in Verbindung bringen. Jennifer W. ist bei ihrer<br />

Mutter in Lohne aufgewachsen, einer<br />

kleinen Stadt im Landkreis Vechta. DieTochter<br />

besuchte die Realschule, wurde evangelisch<br />

getauft. Da war sie 14. KurzeZeit später<br />

verließ sie die Schule, sie hatte gerade mal<br />

acht Klassen geschafft. Eine Lehre machte<br />

sie nicht, vorGericht beantwortet sie am die<br />

Frage nach ihrem Berufmit Kopfschütteln.<br />

Mit 17begann sie, sich für den Islam zu<br />

interessieren. Sie trug erst Kopftuch, dann<br />

den Nikab, den Gesichtsschleier, der nur einen<br />

Sehschlitz für die Augen hat. So lief sie<br />

durch ihr Städtchen, eine Tasche mit der arabischen<br />

Aufschrift „Märtyrerin“ über die<br />

Schulter.2013, da war JenniferW. 22 Jahrealt,<br />

konvertierte sie zum Islam. Ein Jahr später,<br />

im August 2014, stieg sie in ein Flugzeug und<br />

reiste nach Istanbul. Vondortging es auf verschlungenen<br />

Pfaden nach Syrien. In der von<br />

den Terroristen kontrollierten Stadt Rakka<br />

wurde sie offiziell in den IS aufgenommen<br />

und bekam einen Kampfnamen: Sahida Al<br />

Gariba, auf Deutsch „Märtyrerin aus der<br />

fremden Familie“.<br />

Im Juni 2015 ging sie nach Mossul und<br />

Falludscha. W. hatte inzwischen geheiratet –<br />

den Iraker AbuMaawi, der zu dieser Zeit das<br />

Büro für Geisteraustreibungen in Rakka leitete.Laut<br />

Anklage wurde sie nun vomMinisterium<br />

für religiöse Angelegenheiten in<br />

Dienst gestellt, das sie der Hisbazuteilte,der<br />

Sittenpolizei des IS. Mindestens drei Monate<br />

lang patrouillierte die Deutsche bewaffnet<br />

durch die Parks von Mossul und Falludscha<br />

und schüchterte Frauen ein „zur Einhaltung<br />

der Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften“,<br />

wie es in der Anklageschrift heißt. Der<br />

Nachweis ihrer Mitarbeit bei der Hisba wird<br />

im Laufe des Prozesses von Bedeutung sein<br />

für den Nachweis einer IS-Mitgliedschaft.<br />

Dabei erscheinen dem Prozessbeobachter<br />

diese Patrouillengänge vergleichsweise läppisch<br />

gegenüber dem Hauptvorwurf der Anklage,dem<br />

Mord durch Unterlassen. DerVorfall,<br />

der diesem Anklagepunkt zugrunde liegt,<br />

trug sich zwischen Anfang Juli und September<br />

2015 zu. Konkreter lässt sich das Datum des<br />

Verbrechens nicht mehr ermitteln. Der Anklage<br />

zufolge hatten Jennifer W. und ihr Ehemann<br />

AbuMaawi Ende Juni 2015 einem anderen<br />

IS-Mitglied die Jesidin Nora B. und deren<br />

fünfjährige Tochter abgekauft, um sie in<br />

ihrem neuen Heim als Sklaven zu halten. Die<br />

Jesidin war einige Jahrezuvor mit ihrer Familie<br />

vomISgefangen genommen worden, ihre<br />

beiden Söhne wurden ihr weggenommen.<br />

An einem TagimSommer 2015 hatte die<br />

kleine Tochter eingenässt, „krankheitsbedingt“,<br />

wie es in der Anklage heißt. Abu<br />

Maawi sei so erbost gewesen, dass er das<br />

Mädchen im Hof ankettete, woesden ganzen<br />

Tag Temperaturen von 45Grad ausgesetzt<br />

war. „Obwohl die Angeschuldigte erkannte,<br />

dass das Mädchen mangels Flüssigkeit<br />

versterben würde, blieb sie untätig und<br />

versorgte es weder mit Wasser noch löste sie<br />

die Handschellen. DasMädchen verdurstete<br />

in der Folge“, heißt es in der Anklage. Als<br />

Oberstaatsanwältin Claudia Gorf diese Passage<br />

in der Verhandlung vorliest, bleibt Jennifer<br />

W. teilnahmslos.Sie sitzt entspannt zurückgelehnt<br />

auf ihrem Stuhl, lauscht mit unbewegtem<br />

Gesicht und gesenktem Blick.<br />

Wird sie, inzwischen selbst Mutter, so regungslos<br />

bleiben, wenn Nora B. im Laufe des<br />

Prozesses als Zeugin vorGericht erscheint?<br />

Bei einer Hilfsorganisation und gegenüber<br />

der Bundesanwaltschaft hat die Jesidin<br />

die Todesqualen ihrer Tochter bereits eindrücklich<br />

geschildert. Zuerst hatte die Süddeutsche<br />

<strong>Zeitung</strong> aus diesen Aussagen zitiert.<br />

Demnach hatte die Mutter gesagt, dass<br />

ihr das Bild ihrer sterbenden Tochter noch<br />

immer vor Augen stehe. Ein pinkfarbenes<br />

Kleid und kleine rote Schuhe habe das Mädchen<br />

getragen, als Abu Maawi es in den Hof<br />

zerrte und in der sengenden Sonne mit<br />

Handschellen an das Gitterfenster kettete.<br />

Jennifer W. sei die ganze Zeit hindurch im<br />

Haus gewesen. Geweint habe ihr Kind, dann<br />

nur noch geröchelt und immer wieder mit<br />

leiser werdender Stimme „Mama“ gerufen,<br />

erinnerte sich die Frau. Dann war das Mädchen<br />

plötzlich still, eine halbe Stunde später<br />

hörte es auf zu atmen. Sie, die Mutter, habe<br />

im Haus am Fenster gestanden und hilflos<br />

zuschauen müssen, gab sie den Befragernzu<br />

Protokoll. AusAngst vorihrem Peiniger habe<br />

sie es aber nicht gewagt, zu ihrer Tochter in<br />

den Hof zugehen. Zudem sei sie noch geschwächt<br />

gewesen, weil Maawi tags zuvor<br />

auch sie elf Stunden lang gefesselt und ohne<br />

Wasser in derHitze hatte darben lassen.<br />

In die Anklageschrift, die Mitte Dezember<br />

2018 bei Gericht eingereicht worden war,<br />

konnten die Aussagen derMutter noch nicht<br />

einfließen. Nora B. wurde erst Ende Märzvon<br />

der Bundesanwaltschaft vernommen. Bis<br />

dahin stützten die Ermittler ihreAnklage nur<br />

auf die Angaben einer Vertrauensperson und<br />

den Mitschnitt vonGesprächen, die Jennifer<br />

W. mit dieser Quelle führte. Der Mann soll<br />

eine Quelle der US-Bundespolizei FBI gewesen<br />

sein. Er hatte zuder Angeklagten eine<br />

Vertrauensbeziehung aufbauen können.<br />

Nach ihrer Rückkehr aus Syrien im Herbst<br />

2015 war Jennifer W. in der radikalislamischen<br />

Szene hierzulande aktiv geworden. In<br />

dieser Zeit soll sie unter anderem als Administratorin<br />

einer Telegram-Chatgruppe<br />

agiert haben, die sich um die Unterstützung<br />

gefangener Islamisten kümmert.<br />

Der auf Jennifer W. angesetzte Spitzel<br />

sollte sie und ihre zweijährige Tochter im<br />

Sommer letzten Jahres über Griechenland in<br />

die Türkei fahren, von wo aus sie weiter<br />

wollte zum IS. DemFahrer hatte sie viel über<br />

ihreVergangenheit in Syrien erzählt. DasFBI,<br />

das den Wagen seiner Quelle verkabelt hatte,<br />

hörte zu, wie Jennifer W. von ihren Patrouillen<br />

für die Tugendpolizei Hisba erzählte und<br />

vondem Mädchen, das ihr Mann verdursten<br />

ließ. Sie sagte in diesen Gesprächen auch,<br />

dass sie ihren Mann gewarnt habe,das Mädchen<br />

könne die Tortur nicht überleben.<br />

Mit Nora B.hat die Bundesanwaltschaft<br />

über die Abhörbänder hinaus nun eine Augenzeugin.<br />

Sie kann nicht nur beschreiben,<br />

wie ihreTochter zu Tode kam. Sondern auch<br />

berichten, wie sie während ihrer dreijährigen<br />

Gefangenschaft bei wechselnden IS-Kämpfern<br />

als Sklavin gehalten wurde. Wie sie geschlagen,<br />

gequält, missbraucht wurde. Das<br />

dürfte dazu führen, dass die Bundesanwaltschaft<br />

ihreAnklage auf Sklaverei ausweitet.<br />

Immer wieder wurden sie geschlagen<br />

Denn bei der Bundesanwaltschaft schilderte<br />

Nora B. auch, was sie im Haus von Abu<br />

Maawi und Jennifer W. erleiden musste.Einmal<br />

habe sie Maawi zusammen mit ihrer<br />

Tochter ins Badeingesperrt, ein anderes Mal<br />

musste sie eine halbe Stunde lang mit nackten<br />

Füßen im heißen Hofstehen.Vorden Augen<br />

ihres Kindes sei sie vonMaawi wegen eines<br />

nichtigen Anlasses zusammengeschlagen<br />

worden, schilderte Nora B. weiter. Auch<br />

die kleine Tochter sei vondem Mann immer<br />

wieder geschlagen und bedroht worden.<br />

Undeshabe fast nichts zu essen gegeben.<br />

Im Münchner Prozess tritt die Jesidin als<br />

Nebenklägerin auf. Am Dienstag war sie noch<br />

nicht im Gericht. Vertreten wirdsie unter anderem<br />

von der Kanzlei der Menschenrechtsanwältin<br />

Amal Clooney. Wann Nora B. als<br />

Zeugin vorGericht aussagen wird, steht nicht<br />

fest. Mankann aber vermuten, dass sie bei der<br />

Urteilsverkündung gewiss in München sein<br />

wird. DenBundesanwälten hat sie voneinem<br />

Stoßgebet erzählt, dass sie im Angesicht des<br />

Todeskampfes ihrerTochter ausrief.„Hoffentlich<br />

wird Gott ihnen das zurückgeben, hoffentlich<br />

werden sie für ihre Taten bestraft“,<br />

habe sie gerufen, so Nora B. Die Hoffnung<br />

könnte sich in Deutschland erfüllen.<br />

Andreas Förster glaubt, dass der Prozess<br />

gegendie deutsche IS-Kämpferin<br />

kompliziertund langwierig wird.

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