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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 94 · M ittwoch, 24. April 2019 – S eite 21 *<br />
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Feuilleton<br />
Alles, wasSie über die<br />
Klassikereignisse der<br />
Wochewissen müssen!<br />
Seiten 24 und 25<br />
„Die Familie bleibt der Traum der in sich verhakten Männer.“<br />
Christina Bylow über David Nawraths Film „Atlas“ Seite 23<br />
Fachkräfte<br />
Es gibt<br />
etwas zu tun<br />
Harry Nutt<br />
begegnet einer gesellschaftlichen<br />
Sehnsuchtsfigur.<br />
Fachkräfte …und gut!“ las ich<br />
kürzlich im Vorbeigehen auf einem<br />
Schild, dessenWerbezweck sich<br />
mir nicht gleich erschloss.Eine kurze<br />
Google-Recherche half weiter. Bei<br />
der Firma handelt es sich um eine<br />
Jobvermittlung, die Wert auf die Ausbildung<br />
des zu vermittelnden Personals<br />
legt. Der Zusatz „… und gut!“<br />
scheint dabei auf eine ArtPremiumangebot<br />
zu verweisen, mit dem man<br />
sich ausdrücklich von den vielen Internetplattformen<br />
unterscheiden<br />
möchte,auf denen Dienstleistungen<br />
aller Art angeboten werden. Es gibt<br />
immer etwas zu tun, und die Betriebsamkeitsagenturen<br />
des Internets<br />
erwecken dabei den Anschein,<br />
dass die Mühen des Alltags fortan<br />
per Mausklick zu bewältigen seien.<br />
Wer schon einmal auf derlei Angebote<br />
zurückgegriffen hat, weiß nur<br />
zu genau, dass sich dahinter häufig<br />
das Elend aus Dilettantismus,Unzuverlässigkeit<br />
und prekären Beschäftigungsverhältnissen<br />
verbirgt.<br />
Dasist es wohl auch, weshalb wir<br />
dem Wort Fachkraft immer häufiger<br />
als einen mit gesellschaftlichen Erwartungen<br />
aufgeladenen Begriff begegnen.<br />
Die Fachkraft ist die Sehnsuchtsfigur<br />
einer Gesellschaft, der<br />
die klaren Zuschreibungen, was einer<br />
kann und zu tun hat, abhandengekommen<br />
sind. Wenn man den<br />
Wirtschaftsseiten der <strong>Zeitung</strong>en<br />
glauben darf, bezeichnet das Wort<br />
Fachkraft vor allem etwas, das fehlt.<br />
Der Fachkräftemangel hat ganze<br />
Branchen befallen. Wann immer Arbeiten<br />
nicht ausgeführt und Dienstleistungen<br />
nicht erfüllt werden können,<br />
dient er als naheliegende Erklärung.<br />
Reifenwechsel zum Winterende<br />
in der Autowerkstatt? Das<br />
wollen derzeit fast alle, ist aber aufgrund<br />
des Fachkräftemangels leider<br />
erst wieder ab Mitte Maimöglich.<br />
Die Firma verleiht die angepriesenen<br />
Fachkräfte natürlich nicht für<br />
den privaten Bedarf. Eher sind sie<br />
eine Art Feuerwehr für Unternehmen<br />
in Not. Und sogut diese auch<br />
sein mögen, sind sie doch nur so etwas<br />
wie eine berufliche Reserve.<br />
VonHarry Nutt<br />
Für leise Zwischentöne war<br />
sie nicht zu haben. Wenn<br />
HanneloreElsner in eine ihrer<br />
zahlreichen Filmrollen<br />
schlüpfte,wurde sie ganz zu der Person,<br />
die sie verkörperte. Und eine<br />
buchstäbliche Ergriffenheit streifte<br />
sie auch dann nicht ab, wenn sie,<br />
zum Beispiel in Interviews,über ihre<br />
Arbeit sprach. Ihr Engagement für<br />
einen neuen Film brachte sie auf beinahe<br />
körperliche Weise zum Ausdruck.<br />
HanneloreElsner war ein unruhiger<br />
Geist, gestenreich, immer in<br />
Bewegung und mit hellwachem<br />
Blick. Dabei verstand sie es wie kaum<br />
eine andere, diese Unruhe produktiv<br />
zu machen.<br />
Die 1942 im oberbayerischen<br />
Burghausen geborene Hannelore<br />
Elsner stand bereits mit 17 vor der<br />
Kamera, ihre Attraktivität, die man<br />
damals mit dem Wort Sexappeal<br />
kennzeichnete, schien es ihr leicht<br />
zu machen, das Interesse von Regisseuren<br />
und Produzenten zu binden.<br />
Das war allerdings keineswegs nur<br />
zu ihrem Vorteil, denn zum Angebot<br />
jener Zeit gehörte leider die ganze<br />
Palette des Elends des deutschen<br />
Films in den 50er- und 60er-Jahren.<br />
Sie debütierte als Partnerin von<br />
Freddy Quinn in„Freddy unter fremden<br />
Sternen“ und wirkte an der Seite<br />
von Unterhaltungsstars wie Peter<br />
Alexander, Beppo Brem und Georg<br />
Thomalla mit, später trat sie auch in<br />
Paukerfilmen wie „Die Lümmel von<br />
der ersten Bank“ auf.<br />
Die lange Liste ihrer filmischen<br />
Engagements bringt zweifellos ihre<br />
schöpferische Rastlosigkeit zum<br />
Ausdruck, aber sie verdeckt keineswegs<br />
Hannelore Elsners kreative<br />
Neugier.Als erste Schauspielerin aus<br />
demWesten trat sie1973 in der Defa-<br />
Produktion „Aus dem Leben eines<br />
Taugenichts“ in der Rolle einer Gräfin<br />
auf. DerFilm vonCelino Bleiweiß<br />
ist nach Motiven der gleichnamigen<br />
Eichendorff-Novelle entstanden,<br />
lebt aber atmosphärisch von einem<br />
Freiheitsbestreben, das in der Entstehungszeit<br />
des Filmes für Ost und<br />
West gleichermaßen typisch war.<br />
Spätestens jetzt wurden auch die<br />
Filmemacher des neuen deutschen<br />
Films auf Hannelore Elsner aufmerksam.<br />
In „Berlinger“ (1975) von<br />
Alf Brustellin und Bernhard Sinkel,<br />
Die Intensität jeder Sekunde<br />
Im Alter von 76 Jahren ist die Schauspielerin Hannelore Elsner gestorben<br />
Hannelore Elsner 1999 in dem Film „Die Unberührbare“<br />
der weit zurückreicht in die dunklen<br />
Kapitel der deutschen Geschichte<br />
und deren Fortwirken, spielt sie neben<br />
Martin Benrath, Martin Lüttge,<br />
Thilo Prückner und anderen, die<br />
auch in darstellerischer Hinsicht das<br />
einheimische Kino erneuerten. Mit<br />
AlfBrustellin, der 1981 bei einem Autounfall<br />
starb, war Elsner mehrere<br />
Jahreliiert, mit dem Regisseur Dieter<br />
Wedel hat sie einen Sohn.<br />
Als Schauspielerin schien Hannelore<br />
Elsner nun mühelos der Spagat<br />
CHRISTIAN SCHULZ<br />
zwischen ambitioniertem Autorenfilm<br />
und herkömmlicher Serienproduktion<br />
zu gelingen. Zahllose Auftritte<br />
in Krimireihen wie „Der Kommissar“,<br />
„Dem Täter auf der Spur“<br />
und „Tatort“ wechselte sie nun gekonnt<br />
mit komödiantisch-zuspitzenden<br />
Rollen ab, etwa in Michael<br />
Verhoevens „Der Bettelstudent oder<br />
Wasmach’ ich mit den Mädchen?“,<br />
der an die libertäre Schwabing-Komödie<br />
„Zur Sache Schätzchen“ anschließt.<br />
Mitder Regisseurin Heide Genée,<br />
die bereits den Filmschnitt für „Berlinger“<br />
gemacht hatte, arbeitete Elsner<br />
dann auch in „Grete Minde“<br />
(1977) zusammen, einer Literaturverfilmung<br />
nach einem vonTheodor<br />
Fontane bearbeiteten historischen<br />
Stoff. Kurioserweise war ihr größter<br />
Publikumserfolg dann wohl ihre Titelrolle<br />
in der Serie„Die Kommissarin“,<br />
die sie für mehr als zwölf Jahre<br />
zwischen 1994 und 2006 als Star einer<br />
Vorabendserie reüssieren ließ.<br />
Zwischendurch jedoch übernahm<br />
sie eine Rolle, nach der sie<br />
auch von einem größeren Kinopublikum<br />
als bewundernswerte Charakterdarstellerin<br />
angesehen wurde. In<br />
Oskar Roehlers abgründigem, stark<br />
autobiografischen Film „Die Unberührbare“<br />
(2000) spielt Hannelore<br />
Elsner die nicht mit ihr verwandte<br />
Schriftstellerin Gisela Elsner, die<br />
Mutter Oskar Roehlers.Die Namensgleichheit<br />
war ein kurioser Zufall,<br />
der aber nur jene Intensität verstärkte,<br />
die sie in jeder Sekunde des<br />
Films auf die Leinwand bringt. Danach<br />
erschien Hannelore Elsner<br />
selbst ein wenig unberührbar.<br />
Die Medien hielt sie dadurch auf<br />
Distanz, dass sie dem Image einer<br />
Diva entsprach, das sie jedoch umgehend<br />
ablegte, wenn es darum<br />
ging, über Dinge zu berichten, die<br />
ihr wirklich wichtig waren. Wasdazugehört,<br />
konnte man ab 2011 auch<br />
in ihrer Autobiografie „Im Überschwang.<br />
Aus meinem Leben“<br />
nachlesen. Hannelore Elsner erzählt<br />
darin auch die Geschichte einer<br />
Kriegskindheit in Bayern, inder<br />
sie weitgehend vaterlos aufwachsen<br />
musste.<br />
Vielleicht war ihr die dramatische<br />
Tiefe der „Unberührbaren“ selbst<br />
nicht ganz geheuer.Und als sei es ein<br />
willkommenes Gegenprogramm,<br />
glänzte sie neben Henry Hübchen<br />
2004 in der schräg-hintersinnigen<br />
Komödie„Alles auf Zucker“von Dani<br />
Levy. Dass sie natürlich auch Zwischentöne<br />
hervorzubringen verstand,<br />
bewies Hannelore Elsner in<br />
Doris Dörries Film „Kirschblüten –<br />
Hanami“ von 2008, dessen Geschichte<br />
vom Leben und Sterben<br />
zweier Liebender erzählt.<br />
Am Ostersonntag ist Hannelore<br />
Elsner nach kurzer schwerer Krankheit<br />
im Alter von 76Jahren in München<br />
gestorben.<br />
NACHRICHTEN<br />
20 Millionen kaufen<br />
Lektüre im Internet<br />
Rund 20 Millionen Menschen in<br />
Deutschland haben in den Jahren<br />
2017/2018 ihreLektüreonline gekauft.<br />
Dasentspricht etwa 40 Prozent<br />
aller Internet-Benutzer in<br />
Deutschland, wie das Statistische<br />
Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag<br />
zum „Welttag des Buches “mitteilte.Neben<br />
Büchernist in dieser<br />
Zahl auch der Kauf von<strong>Zeitung</strong>en<br />
und Zeitschriften einschließlich der<br />
digitalen Ausgaben erfasst. Dierepräsentativen<br />
Daten beziehen sich<br />
auf eine Erhebung (IKT), bei der um<br />
es um die private Nutzung des Internets<br />
ging. (dpa)<br />
Kinodokumentation über<br />
Christoph Schlingensief<br />
Mitinsgesamt 1,12 Mio. Euro aus<br />
dem Etat der Staatsministerin für<br />
Kultur und Medien wirddie Produktion<br />
vonacht programmfüllenden<br />
Dokumentarfilmen gefördert. Vier<br />
Projekte wurden voneiner unabhängigen<br />
Jury zur Förderung der Stoffentwicklungt<br />
vorgeschlagen. Zu den<br />
ausgewählten Vorhaben zählen Porträts<br />
vonaußergewöhnlichen Persönlichkeiten<br />
wie dem Künstler<br />
Christoph Schlingensief, dem Software-Milliardär<br />
Alexander Karp und<br />
der türkischen Menschenrechtsanwältin<br />
Eren Keskin. WeitereProjekte<br />
erzählen die Geschichte des Chaos<br />
Computer Club,spüren den gesellschaftlichen<br />
Verwerfungen in der<br />
Lausitz nach der Wende nach oder<br />
stellen die Frage nach dem richtigen<br />
Umgang mit den nach Deutschland<br />
zurückgekehrten Wölfen. (BLZ)<br />
Sinfonie auf die Stadt<br />
Dresden wird uraufgeführt<br />
DerKomponist Karsten Gundermann<br />
(52) hat seine Heimatstadt<br />
Dresden in einem Werk verewigt.<br />
Zwei Jahrenach Wiedereröffnung<br />
des umgebauten Kulturpalastes wird<br />
die „Dresden-Sinfonie“ für Chor,<br />
Kinderchor und Orchester an diesem<br />
Sonntag uraufgeführt, teilte die<br />
Philharmonie der Elbestadt am<br />
Dienstag mit. Gundermanns Komposition<br />
sei eine „lokale Utopie“ und<br />
widme sich der Stadtentwicklung in<br />
den kommenden Jahrzehnten. (dpa)<br />
UNTERM<br />
Strich<br />
Kleingarten<br />
Keimendes<br />
Leben<br />
VonSabine Rohlf<br />
Jaich weiß, selbst gesäte Pflanzen sind zuweilen<br />
eine Enttäuschung. Wie oft tut sich<br />
nach Wochen liebevollen Wässerns im Töpfchen<br />
rein gar nichts! Oder aus dem heiß ersehnten<br />
Keimling wirdein überlanger Stängel<br />
mit schwächlichen Blättern, der nach wenigen<br />
Lebenstagen von der berüchtigten „Umfallkrankheit“<br />
dahingerafft wird. Oder die<br />
Jungpflanzen wachsen so langsam, dass die<br />
Gartennachbarn mit ihren prachtvollen Gartencenter-Exemplaren<br />
mitleidig die Augen<br />
verdrehen. Trotzdem: Selbst Gesätes belagert<br />
in meiner Wohnung seit Wochen jede verfügbare<br />
Fensterbank: lang und dünn, langsam<br />
wachsend oder ungekeimt im Topf verharrend.<br />
Aus manchen meiner mit vorbildlich<br />
torffreier Bioerde gefüllten Eierkartons wachsen<br />
statt des dort Gesäten aparte graurosa<br />
Pilzeund ich grübele,obsie mit der Erde oder<br />
der Pappe in meineWohnung kamen.<br />
Auch wenn all diese Gewächse, zumindest<br />
in ihrer Jugend, weit von dem entfernt<br />
sind, was auf den bunten Bildern der Samentüten<br />
prangt, säe ich jedes Jahr mehr.<br />
Zum einen, weil ich eben jenen bunten Bildernnicht<br />
widerstehen kann. Zumanderen<br />
ist die Auswahl an Saatgut so viel größer als<br />
die an fertigen Pflanzen –oder haben Sie<br />
schon mal den rotgetupften Salatklassiker<br />
„Forellenschuss“ oder die Tomate „Green<br />
Zebra“ im Verkaufstöpfchen gesehen? Oder<br />
exakt diese oder jene historische Duftwicke<br />
oder zweifarbig gefranste Nelkensorte? Genau!<br />
Wernicht die immer gleiche Massenware<br />
essen oder anschauen möchte oder<br />
einfach gern kostengünstig an Raritäten<br />
kommt, bestellt beizeiten beim Saatguthersteller<br />
des Vertrauens.<br />
CHRSTINA BRETSCHNEIDER<br />
Der dritte Grund, warum meine Fensterbank-Anzucht<br />
expandiert, ist mein frisch erwachtes<br />
Interesse für Blüten. Bisher zog ich<br />
vor allem Gemüse vor, aus oben genannten<br />
Gründen und um, wenn es im Garten losgeht,<br />
ein bisschen Vorsprung zu haben und Pflanzen,<br />
die größer sind als der Schneckenappetit.<br />
Seitdem aber alle übers Insektensterben reden,<br />
möchte auch ich für unseresummenden<br />
Freunde sorgen und zwar mit garantiertpestizidfreien<br />
Blumen. Also quetschte ich neben<br />
all die Töpfe, Becher und Eierkartons voller<br />
Salat, Petersilie,Dill, Zucchini, Tomaten, Bohnen<br />
und Gurken noch ein paar mit Löwenmäulchen,<br />
Eisenkraut, Klapper-und Studentenblume,<br />
Schmuckkörbchen, Rotem Sonnenhut,<br />
Witwenblume und Disteln (Gartenstaude<br />
des Jahres 2019!).<br />
Beim Eisenkraut wünsche ich mir,eswäre<br />
ein bisschen mehr wie sein Name, nämlich<br />
stabil, ja unverwüstlich, gerade bange ich<br />
um diemikroskopisch kleinen Keimlinge aus<br />
fast unsichtbaren röhrenförmigem Samen.<br />
Wiedaraus ein 1,50 Meterhohes Blütenmeer<br />
werden soll, ist mir ein Rätsel –aber genau<br />
das ist ja, um den allerletzten und wichtigsten<br />
Grundfürs Säen zu nennen, das Schöne:<br />
Es ist ein Wunder,dem wir jedes Jahr wieder<br />
zugucken dürfen: Dem keimenden Gartenleben<br />
wohnt zweifellos ein Zauber inne, da<br />
muss ich gar nicht Hesse zitieren. Wer jemals<br />
beobachtete, wie zart Petersilie keimt<br />
oder wie sich an einer blutjungen Distel die<br />
ersten wehrhaften Stacheln zeigen, der<br />
nimmt auch ein paar umgefallene Stängel<br />
oder merkwürdige Pilze inKauf. Und wenn<br />
es draußen so schön warm bleibt, kommt<br />
der ganzeNachwuchssowieso in den Schrebergarten<br />
–und die nächsten Samenkörner<br />
auch. Es wirdauchZeit, denn seit einigen Tagen<br />
starten in meiner Blumentopferde auch<br />
Fruchtfliegen ins Leben.