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Berliner Kurier 18.05.2019

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*<br />

SERIE<br />

Teil 6<br />

Zivilcourage<br />

Echte Hilfe<br />

Tina K. baut zurzeit<br />

mit ihrem Verein<br />

„I am Jonny“<br />

ein Netzwerk an<br />

<strong>Berliner</strong> Schulen auf<br />

Von<br />

KATRIN BISCHOFF<br />

Der Eindruck täuscht<br />

enorm. Der Eindruck,<br />

dass der Verein „I am<br />

Jonny“ nicht mehr so<br />

aktiv sei wie nach dem Tod von<br />

Jonny K. Dabei ist Tina K., die<br />

den Verein nach ihrem<br />

getöteten Bruder<br />

benannt hatte,<br />

nur nicht mehr so<br />

sehr in der breiten<br />

Öffentlichkeit präsent<br />

wie damals.<br />

Ihr Bruder hatte im<br />

Oktober 2012 am<br />

Alexanderplatz einen<br />

Streit schlichten<br />

wollen und war dabei<br />

zu Tode geprügelt<br />

und getreten<br />

worden. Er wurde 20<br />

Jahre alt. Noch im<br />

Krankenhaus, in<br />

dem ihr Bruder starb, hatte Tina<br />

K. gedacht, dass sie etwas machen<br />

müsse. Sie gründete den<br />

Verein, um Menschen aufzurütteln,<br />

um Zivilcourage zu zeigen.<br />

„Denn wir alle können Jonny<br />

sein“, sagt Tina K.<br />

Die 34-Jährige sitzt an diesem<br />

Montag im Büro des Vereins in<br />

der Potsdamer Straße. Sie will<br />

noch immer nicht ihren vollen<br />

Namen in der Zeitung lesen.<br />

Es begann mit<br />

dem Tod des<br />

Bruders<br />

Es liegt am Schicksal ihres<br />

Bruders, der in allen Zeitungen<br />

nur Jonny K. genannt wurde.<br />

„Und ich bin Tina K., die<br />

Schwester von Jonny K.“, erklärt<br />

sie ihre Zurückhaltung.<br />

Die Abkürzung habe einst auch<br />

ihre Familie schützen sollen,<br />

die nach der Tat von Journalisten<br />

belagert worden sei.<br />

Tina K. ist an diesem Tag nicht<br />

allein in dem hellen Büro. Am<br />

Konferenztisch sitzt auch der<br />

16-jährige Tim Möcks. Sie koordinieren<br />

die nächsten Termine,<br />

die Workshops zum Thema Zivilcourage,<br />

in denen Tina K.<br />

auch über den Tod ihres kleinen<br />

Bruders, der nur helfen wollte,<br />

sprechen wird. Montags hat die<br />

34-Jährige frei, dann muss die<br />

Mutter eines eineinhalb<br />

Jahre alten<br />

Jungen nicht arbeiten<br />

– Tina K. ist<br />

Übersetzerin in der<br />

Synchronbranche.<br />

Und bei Tim Möcks<br />

ist wegen Lehrermangels<br />

der Unterricht<br />

ausgefallen.<br />

Die gebürtige<br />

Spandauerin hat seit<br />

dem Tod von Jonny<br />

K. vor 300 Schul-<br />

Tina K.,trotz<br />

allem fröhlich.<br />

klassen geredet.<br />

Nun ist sie dabei, zusammen<br />

mit Tim<br />

Möcks an Spandauer Schulen<br />

ein Netzwerk für Zivilcourage<br />

aufzubauen.<br />

Möcks ist Schülersprecher<br />

der Spandauer Wolfgang-Borchert-Schule<br />

und Vorsitzender<br />

des Bezirksschülerausschusses<br />

in Spandau. Ziel des<br />

Netzwerkes sei es, an jeder<br />

Schule ein „I am Jonny“-<br />

Team mit engagierten<br />

Schülern aufzubauen,<br />

sagt Tina K. „Es gibt sehr<br />

viele junge Leute, die sich<br />

heute engagieren. Aber es<br />

läuft auch viel falsch an<br />

Berlins Schulen.“<br />

Als im Februar die Polizeiliche<br />

Kriminalstatistik vorgestellt<br />

wurde, zeigte sich<br />

eine erfreuliche Entwicklung:<br />

weniger Straftaten,<br />

weniger Täter. Berlin sei<br />

wieder ein Stück sicherer<br />

geworden. Doch es gibt andere<br />

Zahlen. Denn die Gewalt<br />

ist weiter angestiegen.<br />

Und die Angst, Opfer eines<br />

Verbrechens zu werden.<br />

Wie können Politik, Behörden<br />

und Bürger dieser Entwicklung<br />

entgegensteuern?<br />

Diese Frage erörtern<br />

am 20. und 21. Mai 3000<br />

Teilnehmer beim 24. Deutschen<br />

Präventionstag. Der<br />

KURIER beschäftigt sich in<br />

seiner Serie mit dem Thema<br />

Kriminalität und Sicherheit<br />

in Berlin.<br />

Die neueKURIER-Serie<br />

Wie besiegen wir<br />

das Verbrechen?<br />

Mobbing, Schulschwänzer<br />

– alles Themen,<br />

die man nicht totschweigen<br />

dürfe, sondern<br />

hinterfragen müsse. Warum<br />

kommen schon<br />

Grundschüler nicht zur Schule?<br />

Was läuft schief? Werden sie in<br />

der Schule gemobbt, oder sind<br />

sie zu Hause Gewalt ausgesetzt?<br />

Fragen, mit denen sich die<br />

Teams befassen sollen.<br />

Tim Möcks hatte Tina K. bei<br />

einem Workshop im vergangenen<br />

Jahr kennengelernt. Er habe<br />

sofort gewusst, dass der Verein<br />

„I am Jonny“ sehr viel bewegen<br />

könne, erzählt er. Tina sei<br />

authentisch, wenn sie von ihrem<br />

Bruder erzähle. Sie könne<br />

die Mädchen und Jungen überzeugen,<br />

dass Gewalt nichts<br />

bringe, sagt der Jugendliche.<br />

Wie groß die Resonanz auf die<br />

Workshops sei, habe sich an einem<br />

Freitagnachmittag im vergangenen<br />

Oktober gezeigt. 70<br />

Schüler- und Klassensprecher<br />

seien zur Auftaktveranstaltung<br />

für das Courage-Netzwerk gekommen,<br />

erzählt Möcks.

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