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*<br />
SERIE<br />
Teil 6<br />
Zivilcourage<br />
Echte Hilfe<br />
Tina K. baut zurzeit<br />
mit ihrem Verein<br />
„I am Jonny“<br />
ein Netzwerk an<br />
<strong>Berliner</strong> Schulen auf<br />
Von<br />
KATRIN BISCHOFF<br />
Der Eindruck täuscht<br />
enorm. Der Eindruck,<br />
dass der Verein „I am<br />
Jonny“ nicht mehr so<br />
aktiv sei wie nach dem Tod von<br />
Jonny K. Dabei ist Tina K., die<br />
den Verein nach ihrem<br />
getöteten Bruder<br />
benannt hatte,<br />
nur nicht mehr so<br />
sehr in der breiten<br />
Öffentlichkeit präsent<br />
wie damals.<br />
Ihr Bruder hatte im<br />
Oktober 2012 am<br />
Alexanderplatz einen<br />
Streit schlichten<br />
wollen und war dabei<br />
zu Tode geprügelt<br />
und getreten<br />
worden. Er wurde 20<br />
Jahre alt. Noch im<br />
Krankenhaus, in<br />
dem ihr Bruder starb, hatte Tina<br />
K. gedacht, dass sie etwas machen<br />
müsse. Sie gründete den<br />
Verein, um Menschen aufzurütteln,<br />
um Zivilcourage zu zeigen.<br />
„Denn wir alle können Jonny<br />
sein“, sagt Tina K.<br />
Die 34-Jährige sitzt an diesem<br />
Montag im Büro des Vereins in<br />
der Potsdamer Straße. Sie will<br />
noch immer nicht ihren vollen<br />
Namen in der Zeitung lesen.<br />
Es begann mit<br />
dem Tod des<br />
Bruders<br />
Es liegt am Schicksal ihres<br />
Bruders, der in allen Zeitungen<br />
nur Jonny K. genannt wurde.<br />
„Und ich bin Tina K., die<br />
Schwester von Jonny K.“, erklärt<br />
sie ihre Zurückhaltung.<br />
Die Abkürzung habe einst auch<br />
ihre Familie schützen sollen,<br />
die nach der Tat von Journalisten<br />
belagert worden sei.<br />
Tina K. ist an diesem Tag nicht<br />
allein in dem hellen Büro. Am<br />
Konferenztisch sitzt auch der<br />
16-jährige Tim Möcks. Sie koordinieren<br />
die nächsten Termine,<br />
die Workshops zum Thema Zivilcourage,<br />
in denen Tina K.<br />
auch über den Tod ihres kleinen<br />
Bruders, der nur helfen wollte,<br />
sprechen wird. Montags hat die<br />
34-Jährige frei, dann muss die<br />
Mutter eines eineinhalb<br />
Jahre alten<br />
Jungen nicht arbeiten<br />
– Tina K. ist<br />
Übersetzerin in der<br />
Synchronbranche.<br />
Und bei Tim Möcks<br />
ist wegen Lehrermangels<br />
der Unterricht<br />
ausgefallen.<br />
Die gebürtige<br />
Spandauerin hat seit<br />
dem Tod von Jonny<br />
K. vor 300 Schul-<br />
Tina K.,trotz<br />
allem fröhlich.<br />
klassen geredet.<br />
Nun ist sie dabei, zusammen<br />
mit Tim<br />
Möcks an Spandauer Schulen<br />
ein Netzwerk für Zivilcourage<br />
aufzubauen.<br />
Möcks ist Schülersprecher<br />
der Spandauer Wolfgang-Borchert-Schule<br />
und Vorsitzender<br />
des Bezirksschülerausschusses<br />
in Spandau. Ziel des<br />
Netzwerkes sei es, an jeder<br />
Schule ein „I am Jonny“-<br />
Team mit engagierten<br />
Schülern aufzubauen,<br />
sagt Tina K. „Es gibt sehr<br />
viele junge Leute, die sich<br />
heute engagieren. Aber es<br />
läuft auch viel falsch an<br />
Berlins Schulen.“<br />
Als im Februar die Polizeiliche<br />
Kriminalstatistik vorgestellt<br />
wurde, zeigte sich<br />
eine erfreuliche Entwicklung:<br />
weniger Straftaten,<br />
weniger Täter. Berlin sei<br />
wieder ein Stück sicherer<br />
geworden. Doch es gibt andere<br />
Zahlen. Denn die Gewalt<br />
ist weiter angestiegen.<br />
Und die Angst, Opfer eines<br />
Verbrechens zu werden.<br />
Wie können Politik, Behörden<br />
und Bürger dieser Entwicklung<br />
entgegensteuern?<br />
Diese Frage erörtern<br />
am 20. und 21. Mai 3000<br />
Teilnehmer beim 24. Deutschen<br />
Präventionstag. Der<br />
KURIER beschäftigt sich in<br />
seiner Serie mit dem Thema<br />
Kriminalität und Sicherheit<br />
in Berlin.<br />
Die neueKURIER-Serie<br />
Wie besiegen wir<br />
das Verbrechen?<br />
Mobbing, Schulschwänzer<br />
– alles Themen,<br />
die man nicht totschweigen<br />
dürfe, sondern<br />
hinterfragen müsse. Warum<br />
kommen schon<br />
Grundschüler nicht zur Schule?<br />
Was läuft schief? Werden sie in<br />
der Schule gemobbt, oder sind<br />
sie zu Hause Gewalt ausgesetzt?<br />
Fragen, mit denen sich die<br />
Teams befassen sollen.<br />
Tim Möcks hatte Tina K. bei<br />
einem Workshop im vergangenen<br />
Jahr kennengelernt. Er habe<br />
sofort gewusst, dass der Verein<br />
„I am Jonny“ sehr viel bewegen<br />
könne, erzählt er. Tina sei<br />
authentisch, wenn sie von ihrem<br />
Bruder erzähle. Sie könne<br />
die Mädchen und Jungen überzeugen,<br />
dass Gewalt nichts<br />
bringe, sagt der Jugendliche.<br />
Wie groß die Resonanz auf die<br />
Workshops sei, habe sich an einem<br />
Freitagnachmittag im vergangenen<br />
Oktober gezeigt. 70<br />
Schüler- und Klassensprecher<br />
seien zur Auftaktveranstaltung<br />
für das Courage-Netzwerk gekommen,<br />
erzählt Möcks.