Berliner Zeitung 21.05.2019
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8* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 116 · D ienstag, 21. Mai 2019<br />
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Meinung<br />
Wahlwerbung<br />
ZITAT<br />
Das geht gar nicht,<br />
liebe Jusos<br />
Christine Dankbar<br />
möchte Baseball-Schläger nur<br />
noch auf dem Spielfeld sehen.<br />
Nur noch fünfmal schlafen, dann ist<br />
Europawahl. Die Umfragen zeigen,<br />
dass es nicht gut aussieht für die SPD. Es<br />
ist also alles andere als verwunderlich,<br />
wenn die Genossen nervös werden und<br />
versuchen, in den noch verbleibenden<br />
Tagen alles an Wählerstimmen zu mobilisieren,<br />
was noch zu mobilisieren ist. Und<br />
klar:Die Rechtsextremen, die sich amWochenende<br />
siegesgewiss in Mailand präsentierten,<br />
können auch die friedfertigsten<br />
Zeitgenossen aggressiv machen mit<br />
ihrem unverhohlenen Angriff gegen Europa.<br />
Das rechtfertigt jedoch nicht, dass<br />
sich auch die Verteidiger Europas in der<br />
Wort-und Bildwahl vergreifen.<br />
Auf der Facebook-Seite der <strong>Berliner</strong><br />
Jungsozialisten ist seit Sonntag ein Foto<br />
zu sehen, das eine junge Frau mit langen<br />
Haaren zeigt, die den typischen blauen<br />
Europa-Hoodie trägt, mit goldenen Sternen<br />
auf der Brust. Ihr Gesicht ist nicht zu<br />
erkennen. Logischerweise möchte man<br />
sagen, denn in der Hand hält sie einen<br />
Baseball-Schläger. Der Text zum Bild:<br />
„Nationalismus eiskalt abservieren.“ Sind<br />
den Jusos die Argumente für Europa ausgegangen,<br />
weshalb sie jetzt auf andere<br />
Weise „klareKante“ zeigen möchten?<br />
Nach einem mittleren Proteststurm<br />
gegen das Motiv sah sich die Landesvorsitzende<br />
der Jusos, Annika Klose, bemüßigt,<br />
eine Stellungnahme abzugeben. Das<br />
Foto sei provokant, und genau das sei die<br />
Absicht gewesen. Siewies darauf hin, dass<br />
Kritik daran vor allem aus dem rechten<br />
Lager gekommen sei. Das wollen wir hier<br />
nicht so stehen lassen. Mit Baseball-<br />
Schlägern ineindeutiger Pose für Europa<br />
werben: Das geht gar nicht, liebe Jusos.<br />
Stellt euch nur einen Moment den Shitstormvor,den<br />
die Rechten für so ein Motiv<br />
geerntet hätten. Merktihr was?<br />
Huawei<br />
Am Ende gibt<br />
es nur Verlierer<br />
Frank Thomas Wenzel<br />
blickt besorgt auf den Handelsstreit<br />
zwischen China und den USA.<br />
Von Kaltem Krieg und der „nuklearen<br />
Option“ ist die Rede,wenn es um den<br />
Handelsstreit zwischen China und den<br />
USA geht. Diese martialischen Beschreibungen<br />
von Analysten sind übertrieben.<br />
Gleichwohl ist der Streit zwischen den<br />
größten Wirtschaftsnationen der Welt bedrohlich.<br />
Präsident Donald Trump hat zu<br />
seiner stärksten Waffe gegriffen und den<br />
chinesischen Tech-Giganten Huawei auf<br />
eine schwarze Liste gesetzt, weil das Unternehmen<br />
nach offizieller Diktion die<br />
nationale Sicherheit gefährdet.Wasweder<br />
erwiesen noch widerlegt ist.<br />
Worumgeht es Trump? Er will maximalen<br />
Druck für die Verhandlungen über ein<br />
Handelsabkommen aufbauen: Unternehmen<br />
in den USA müssen sich ab soforteine<br />
Genehmigung der Regierung holen, wenn<br />
sie mit Huawei weiter zusammenarbeiten<br />
wollen. Große Techkonzerne wie Intel,<br />
Qualcomm und der US-Ableger des deutschen<br />
Chipherstellers Infineon haben daher<br />
die Belieferung vonHuawei eingestellt.<br />
Am härtesten trifft die Chinesen, dass<br />
sie nun auf ein Großteil der Programme<br />
für das Smartphone-Betriebssystem Android<br />
verzichten müssen –das kommt von<br />
der Google-Mutter Alphabet. Allein die<br />
Ankündigung kann genügen, um den Absatz<br />
der chinesischen Handys einbrechen<br />
zu lassen. Dennoch es ist äußerst fraglich,<br />
ob die chinesische Regierung sich dadurch<br />
in die Knie zwingen lässt. Sie will<br />
sich nicht demütigen lassen. Notfalls wird<br />
sie Huawei mit staatlichen Finanzhilfen<br />
durchfütternund mit allen Mitteln helfen,<br />
von US-Zulieferern unabhängig zu werden.<br />
Es droht eine Eskalation des Konflikts,<br />
die nur Verlierer kennt. Dazu würden<br />
auch die Beschäftigten von Infineon,<br />
Intel, Alphabet und Qualcomm zählen.<br />
Die Versuchsmaus und unsere Lehre<br />
Wer den Rechtspopulismus<br />
nicht mag, wird über die Turbulenzen<br />
in Österreich wenigstens<br />
innerlich ein bisschen<br />
jubeln. Hauptleidtragender ist mit dem<br />
bisherigen Vizekanzler Heinz-Christian Strache<br />
schließlich ein Politiker, der dieser Strömung<br />
ein besonders hässliches Gesicht gegeben<br />
hat: Ein frivoler Dampfplauderer, der<br />
keinerlei Tiefe erkennen lässt, außer vielleicht<br />
seiner tiefen Abneigung gegen Zuwanderer,sichtbar<br />
berauscht vonWein, RedBull<br />
und vor allem von sich selbst, zu allerlei<br />
krummen Geschäften bereit, obendrein Burschenschaftler<br />
und politisch sozialisiert in<br />
der Neonazi-Szene. Freuen mag man sich<br />
auch darüber,dass hier ein radikaler Rechter<br />
selbst die Trennlinie zwischen konservativ<br />
und ultrarechts zog, die Österreichs Kanzler<br />
Sebastian Kurz und seine Partei aus Gründen<br />
des Machterwerbs gernverwischt hätten.<br />
Aber der Jubel ist verfrüht. Hinter Straches<br />
„freiheitlicher“ Partei steht ein sattes<br />
Viertel rechter Stammwähler,und das schon<br />
lange. Ihnen ist die Sache wichtiger als die<br />
Führungsfigur. Sie sind von der Parteiparole<br />
„Österreich zuerst“ elektrisiertund wollen es<br />
denen in Brüssel ebenso wie den Ausländern<br />
im eigenen Land so richtig zeigen. So solide,<br />
so breit ist die Unterstützung für den nationalistischen<br />
Kurs,dass er weit über die Wählerschaft<br />
der FPÖ hinausgeht und auch der<br />
ÖVP-Kanzler sich täglich davon nährt.<br />
Nach dem Koalitionsbruch vomWochenende<br />
deutet sich kein Politwechsel an. Die<br />
ÖVP will den „bewährten Kurs“, den sie seit<br />
anderthalb Jahren mit den radikalen Rechten<br />
gefahren ist, jetzt gernohne diese weiterführen.<br />
Zur Not vielleicht sogar wieder mit<br />
ihnen: Zwar steuert Kurz kühn für die fällige<br />
Neuwahl im September die absolute Mehr-<br />
Der Mann ist 93 Jahrealt, sein Körper gebrechlich,<br />
sein Gehirn ein Feuerwerk.<br />
E-Mails beantwortet er in vielen Sprachen<br />
binnen Minuten und rund um den Globus.<br />
Er denkt an neue Bücher und Projekte und<br />
spricht das wunderschöne Deutsch seiner<br />
Geburtsstadt Prag. Ich rede von Yehuda<br />
Bauer, dem gedankenreichen, immer weiter<br />
fragenden Historiker des Judenmords. Er<br />
war Soldat im israelischen Unabhängigkeitskrieg,<br />
Melker im Wüsten-Kibbutz Shoval,<br />
Professor an der Hebräischen Universität Jerusalem,<br />
ist Ideengeber und einer, der sich<br />
seit jeher für diejenigen interessiert, die anderer<br />
Meinung sind als er, ummit ihnen zu<br />
streiten, von ihnen zu lernen. Bauer wägt<br />
und prüft liebend gern das Neue –die Wiederholung<br />
des wissenschaftlichen Konsenses<br />
langweilt ihn. Deshalb besuchte er mich<br />
im Frühjahr 1988 in Berlin, um eineWissenslücke<br />
zu schließen, um Genaueres über die<br />
damals wenig erforschten Euthanasiemorde<br />
zu erfahren.<br />
Mit linker Tendenz (einst Mitglied der israelischen<br />
Arbeiterpartei) schreibt Bauer bis<br />
heute gegen die rechtsnationale israelische<br />
Regierung an und verwahrt sich gegen jede<br />
politische Instrumentalisierung des Holocaust.<br />
Zugleich warnt er in seinem soeben<br />
auch auf Deutsch erschienenen Büchlein vor<br />
der „aktuellen Bedrohung durch den islamischen<br />
Antisemitismus“. Donald Trump bezeichnet<br />
er als „rechtsgerichteten Anarchisten“,<br />
umgeben von„extrem radikalen“ Politikern.<br />
Als Yehuda Bauer 1998 die Gedenk-<br />
Österreich<br />
Trübe<br />
Aussichten<br />
NobertMappes-Niediek<br />
meint, dass sich auch nach dem Skandalvideo kein<br />
Politikwechsel im Nachbarland abzeichnet.<br />
heit an. Verfehlt er sie, ist eine Neuauflage<br />
mit der Rechten keineswegs ausgeschlossen.<br />
In seiner Partei melden sich erste Befürworter<br />
vonSchwarz-Blau II bereits zu Wort.Eher<br />
wohl wirddie FPÖ sich zieren, es ein zweites<br />
Malmit dem „treulosen“ Kurz zu versuchen.<br />
Ihr neuer Frontmann Norbert Hofer hat<br />
nichts von dem Hauch von Wildheit und<br />
Skandal, das den politischen Borderliner<br />
Strache stets umwehte. Als grundsatztreuer<br />
Rechter hat Hofer die Chance, seinen Vorgänger<br />
an Beliebtheit noch zu übertreffen.<br />
Alternativen gibt es kaum. Die oppositionellen<br />
Sozialdemokraten haben unter dem<br />
Eindruck der Ibiza-Affäreimmerhin angefangen,<br />
klare Kante gegen rechts zu zeigen. Bisher<br />
waren sie da aus Furcht vorder Stimmung<br />
KOLUMNE<br />
Yehuda Bauer<br />
spricht in<br />
Berlin!<br />
Götz Aly<br />
Historiker<br />
rede für die Opfer NS-Deutschlands im<br />
Bundestag hielt, lenkte er am Ende den Blick<br />
seines Publikums in diesen Abgrund: „Das<br />
Fürchterliche an der Shoah ist eben nicht,<br />
dass die Nazis unmenschlich waren; das<br />
Fürchterliche ist, dass sie menschlich waren<br />
–wie Sieund ich.“<br />
Ichkönnte noch viel über meinen Freund<br />
Yehuda erzählen. Den Vornamen verpasste<br />
dem 1939 glücklich mit seiner Familie aus<br />
BERLINER ZEITUNG/HEIKO SAKURAI<br />
eher scheu und haben in einem Bundesland<br />
sogar selbst mit der FPÖ koaliert. DieGrünen<br />
sind bei der letzten Wahl aus dem Parlament<br />
geflogen und berappeln sich nur langsam.<br />
Eine Mehrheit links vonder ÖVP ist auf lange<br />
Zeit außer Sicht. Dass Kurz seinerseits auf keinen<br />
Fall mit den Sozialdemokraten möchte,<br />
hat er am Sonnabend schon klar gemacht.<br />
Die Umstände der Ibiza-Affäre, so unterhaltsam<br />
sie sein mögen, bieten ebenso wenig<br />
Anlass zum Jubel. Zu Fall gebracht hat die Regierung<br />
eine im Dunkeln agierende Macht<br />
mit geheimdienstlichen Methoden. Dasist an<br />
sich schon bedrohlich, ganz gleich, wer da<br />
nun gestürzt werden sollte. In jedem Fall ist es<br />
ein wichtiger Teil des „verstörenden Sittenbilds“,<br />
das nach den Worten von Bundespräsident<br />
Alexander Vander Bellen in der Affäre<br />
erkennbar wurde. WerStrache und seinem<br />
Fraktionschef Johann Gudenus die Video-<br />
Falle gestellt hat, steht in diesen Tagen noch<br />
nicht im Vordergrund. Stellt sich heraus,dass<br />
dahinter ein Geheimdienst, eine künstlerisch-politische<br />
Aktivistengruppe oder,<br />
schlimmster möglicher Fall, „die“ verteufelten<br />
Medien stecken, kann das ganze Unternehmen<br />
auch noch nach hinten losgehen.<br />
Wersich schadenfroh dem Genuss desVideos<br />
hingibt, wird zwar viel schmunzeln,<br />
aber wenig lernen. Dass die FPÖ bis zu den<br />
Knien im Wiener Korruptionssumpf steckt<br />
und heftig mit russischen Oligarchen flirtet,<br />
ist nicht neu. Ihren Wählern ist es egal; sie<br />
haben weit größere Skandale weggesteckt.<br />
Nach dreißig Jahren Rechtspopulismus<br />
herrscht in Österreich ein Grundzynismus,<br />
den wenig erschüttern kann. Empörung,<br />
auch ehrlich gemeinte,kommt alsHeuchelei<br />
und Theatralik an. Wie Klein-Mäxchen sich<br />
die Politik vorstellt, so ist sie: Das wird am<br />
Ende dietraurige Lehresein.<br />
Prag Entkommenen der Klassenlehrer in<br />
Haifa: „Du heißt Martin? Unpassend. Ab<br />
heute bist du Yehuda!“ So wurde der von<br />
Deutschen Verjagte zum zionistischen Pionier,zum<br />
Studenten in England und schließlich<br />
zum Gelehrten. Er ist der Sohn einer Modedesignerin<br />
und eines Ingenieurs,der einst<br />
einer schlagenden jüdischen Studentenverbindung<br />
angehört hatte. Großartig, dass Yehuda<br />
Bauer noch einmal die für ihn strapaziöse<br />
Reise nach Berlin auf sich nimmt –eine<br />
Ehre, eine Freude für unsereStadt.<br />
Sie, liebe Leserinnen und Leser,haben am<br />
Mittwoch, dem 29. Mai um18Uhr die Gelegenheit,<br />
an dem lebensgeschichtlichen Gespräch<br />
mit Yehuda Bauer teilzunehmen, und<br />
zwar im Centrum Judaicum unter der erhaltenen<br />
goldenen Kuppel der 1866 eingeweihten<br />
Neuen Synagoge in der Oranienburger<br />
Straße 28. Da dieVeranstalter einen recht ungünstigen<br />
Termin ausgesucht haben, den<br />
Vorabend des langen Himmelfahrtwochenendes,<br />
und bislang wenig dafür geworben<br />
wurde,musssichdas Ereignis„Yehuda Bauer<br />
in Berlin“ noch herumsprechen. Besuchen<br />
Sie dieses Gespräch mit einem Zeugen und<br />
eigenwilligen Interpreten des 20. Jahrhunderts,<br />
versenden Sie diesen Text, weisen Sie<br />
Ihre Freunde auf die Ankündigung des Centrum<br />
Judaicum hin oder auf https://www.facebook.com/events/2387258011338526/.<br />
Yehuda Bauer zuzuhören, das wird ein Vergnügen.<br />
Sie und ich werden schlauer nach<br />
Hause gehen, als wir gekommen sind. Das<br />
stehtfest.<br />
„Mein erstes kam aus<br />
Norwegen, es war ziemlich<br />
klein und hieß Think.<br />
Es brachte mich morgens<br />
zum königlichen Schloss<br />
und an guten Tagen<br />
auch zurück.“<br />
Haakon, Norwegens Kronprinz,<br />
fährt seit 15 Jahren Elektroauto.<br />
AUSLESE<br />
Die Rechten<br />
und Europa<br />
Am kommenden Sonntag wählt Europa<br />
– in denkbar schlechter Stimmung.<br />
„Es gibt keine gemeinsamen, verbindlichen<br />
Prinzipien mehr,die nicht verletzt<br />
werden dürfen“, kommentiert die<br />
bulgarische <strong>Zeitung</strong> Sega den Zustand der<br />
Europäischen Union. „Es gibt sogar kein<br />
‚Europa der zwei Geschwindigkeiten‘<br />
mehr. Wir leben in einem Europa der 28<br />
Geschwindigkeiten ... Am schwierigsten<br />
wird esinder Wirtschaft sein. Es ist kein<br />
Zufall, dass in diesem Wahlkampf keine<br />
der sogenannten politischen Familien<br />
und kein einziger Spitzenkandidat einen<br />
sinnvollen und umsetzbaren Plan für die<br />
Wirtschaftspolitik vorgelegt hat, die er<br />
führen will.“<br />
Die spanische <strong>Zeitung</strong> El Mundo befasst<br />
sich mit dem Wahlkampfauftritt nationalistischer<br />
Parteien in Mailand. „Die<br />
Bilder vom Samstag spiegelten die alarmierende<br />
und zunehmende Akzeptanz<br />
ausländerfeindlicher und euroskeptischer<br />
Diskurse bei jenen Bürgern wider,<br />
die sich mit dem europäischen Projekt<br />
nicht mehr identifizieren können und die<br />
Werte und Gründungsprinzipien der EU<br />
verachten“, schreibt das Blatt. „In Mailand<br />
wurde offenbar, dass (der italienische<br />
Innenminister) Salvini sich endgültig<br />
als Hauptführer jener Bewegungen<br />
und Parteien konsolidiert hat, die bereit<br />
sind, die Europäische Union in die Luft zu<br />
jagen, um zu einem unsolidarischen und<br />
ausschließenden Nationalismus zurückzukehren.“<br />
Christine Dankbar<br />
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