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Berliner Zeitung 23.05.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 118 · D onnerstag, 23. Mai 2019 15<br />

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Berlin<br />

Ekel-Wirte<br />

sollen an den<br />

Pranger<br />

Restaurant-Portal<br />

enthüllt Hygienemängel<br />

VonMikeWilms<br />

Küchenschaben, altes Fett, dreckiges<br />

Spülwasser: Verbraucher<br />

sollen auf der Internetseite „Topf Secret“<br />

lesen können, was einzelnen<br />

Gastro-Betrieben bei behördlichen<br />

Kontrollen vorgeworfen wurde. Das<br />

Verbraucher-Portal der Organisation<br />

Foodwatch will Hygiene-Missstände<br />

in Restaurants, Kneipen und Bäckereien<br />

enthüllen –inBerlin, aber auch<br />

bundesweit. Doch das bereitet Probleme.AmMittwoch<br />

hat Foodwatch<br />

eine Bilanz gezogen. Darüber, wie<br />

das Konzept funktioniert, und wie es<br />

seit dem Start imJanuar dieses Jahresbei<br />

den Nutzernankommt.<br />

Seit die Verbraucher-Plattform<br />

freigeschaltet wurde,hätten bundesweit<br />

15 000 Nutzer die Hygiene-Berichte<br />

von 26000 Gastronomiebetrieben<br />

beantragt. Die Internetseite<br />

„Topf Secret“ leitet die Anfragen an<br />

die Behörden, die amtliche Lebensmittelkontrollen<br />

durchführen, weiter.<br />

Inden meisten Bundesländern<br />

würden die Verbraucher tatsächlich<br />

Auskunft erhalten, erklärten die<br />

Foodwatch-Organisatoren. In Berlin<br />

gibt es allerdings Startschwierigkeiten.<br />

Für die Stadt wurden laut Foodwatch<br />

fast 2300 Anfragen gestellt.<br />

Bislang sind auf der Website „Topf<br />

Secret“ allerdings nicht mal ein Dutzend<br />

Antworten zu sehen.<br />

Sauberkeit und Ordnung herrschen nicht<br />

in jeder Restaurantküche. UHLEMANN/BLZ<br />

DieOnline-Plattformarbeitet mit<br />

einer Landkartenfunktion. Nutzer<br />

können Restaurant-Standorte anklicken<br />

und schauen, ob für den ausgewählten<br />

Betrieb bereits ein Hygiene-<br />

Bericht beantragt und veröffentlicht<br />

wurde. Wonoch keine Informationen<br />

zu den Hygiene-Zuständen hinterlegt<br />

sind, kann man über eine einfache<br />

Eingabemaske einen Antrag<br />

auf behördliche Auskunft stellen.<br />

Doch einige Behörden sperren<br />

sich. Das Bundesland Schleswig-<br />

Holstein, aber auch die Bezirksämter<br />

Spandau und Neukölln erteilen laut<br />

Foodwatch bei Anfragen über die<br />

„Topf Secret“-Seite keine Auskünfte.<br />

Die Initiative„Frag den Staat“ veröffentlichte<br />

einen entsprechenden Bescheid<br />

des Bezirksamts Neukölln. In<br />

dem Ablehnungsschreiben heißt es:<br />

„Bei der Herausgabe vonDaten ist zu<br />

befürchten, dass die angeforderten<br />

Informationen durch Sie rechtswidrigauf<br />

der InternetplattformTopf Secret<br />

veröffentlicht werden.“<br />

Die Plattform-Macher vertreten<br />

die Rechtsauffassung, dass die Informationen<br />

vonden Behörden herausgegeben<br />

werden müssen. „Bürger<br />

haben nach dem Verbraucherinformationsgesetz<br />

einen Anspruch auf<br />

Auskunft“, sagte Arne Semsrott, Projektleiter<br />

bei „Frag den Staat“. Dies<br />

sei bereits von mehreren deutschen<br />

Gerichten festgestellt worden.<br />

Der Rechtsauffassung der Portal-<br />

Betreiber widersprach eine Vertreterin<br />

des Justizministeriums Schleswig-Holstein.<br />

„Auch die Rechte der<br />

Unternehmer müssen gewahrt bleiben“,<br />

sagte sie.Essei ein großer Unterschied,<br />

ob Hygiene-Verstöße in<br />

schwerwiegenden Fällen bekanntgemacht<br />

würden, oder ob man jeden<br />

Einzelfall an einem Internet-Pranger<br />

öffentlich bloßstelle.<br />

Klinik mit Heizlüfter<br />

Krankenhausgesellschaft sieht Milliarden-Investitionsbedarf und macht säumigen Senat verantwortlich<br />

VonGerhard Lehrke<br />

Berlin leidet nicht nur unter<br />

maroden Schulen und<br />

bröckelnden Brücken –<br />

auch die Krankenhäuser<br />

sind vielfach weder baulich noch<br />

technisch auf dem neuesten Stand.<br />

Ganz im Gegenteil: Die <strong>Berliner</strong><br />

Krankenhausgesellschaft (BKG) hat<br />

für den Zeitraum 2020 bis 2030 einen<br />

Investitionsbedarf von rund 3,5 Milliarden<br />

Euro ermittelt und den Senat<br />

als Verantwortlichen ausgemacht.<br />

Die Landesregierung müsse jetzt<br />

eine „Investitionsoffensive“ ähnlich<br />

dem Schulbauprogramm starten.<br />

Schon aus wirtschaftlichen Gründen,<br />

weil Krankenhäuser der Kern<br />

der milliardenschweren Gesundheitswirtschaft<br />

sind.<br />

Uralte Notstromaggregate<br />

Die BKG hatte die Kliniken nach ihren<br />

Sorgen befragt. Das Ergebnis ist<br />

eine lange Liste mit Malaisen. Sie ist<br />

anonymisiert, weil keine Klinik<br />

möchte, dass ihre Schwachstellen<br />

bekannt werden.<br />

So muss ein Haus imWinter Heizlüfter<br />

aufstellen, weil das Bettenhaus<br />

keine Wärmedämmung hat und die<br />

Heizung nicht reicht. Mehrere Kliniken<br />

beklagen uralte Notstromaggregate,für<br />

die es teilweise keine Ersatzteile<br />

mehr gibt. Einige Einrichtungen<br />

verfügen noch über Krankenzimmer<br />

ohne Naßzellen. Dafür klagt eine Klinik<br />

über feuchte Keller, eine andere<br />

über durchnässtes Dämmmaterial<br />

im Dach. Eine andere Klinik gibt an,<br />

dass ihre für 20 000 Patienten pro<br />

Jahr ausgelegte Notaufnahme inzwischen<br />

40 000 versorgt.<br />

Die BKG macht für diese Zustände<br />

die Landesregierung verantwortlich.<br />

Berlin komme seinen Verpflichtungen<br />

aus dem Krankenhausfinanzierungsgesetz<br />

seit Jahren nicht<br />

nach. Nur noch 45 Prozent der notwendigen<br />

Mittel würden aus dem<br />

Haushalt zur Verfügung gestellt, beklagt<br />

Marc Schreiner, der Geschäftsführer<br />

der BKG. Dazu käme Geld aus<br />

dem Siwana-Fonds, inden Berlins<br />

Haushaltsüberschüsse fließen.<br />

Schreiner wünscht sich langfristig<br />

planbare Investitionen: „Mal 20 Millionen<br />

Euro im Jahr für Kreißsäle<br />

oder WLAN im Krankenhaus, das ist<br />

nicht nachhaltig.“<br />

Eigentlich bräuchten die Krankenhäuser<br />

Berlins –nicht einbezogen<br />

die aus dem Wissenschaftsbereich<br />

finanzierte Charité –indiesem<br />

Jahr 256 Millionen Euro Investitionsmittel.<br />

Und zwar nur, umden Bestand<br />

zu erhalten. Tatsächlich gebe<br />

es 2019 aber nur 160 Millionen Euro<br />

vom Senat –96Millionen zu wenig.<br />

Weil das seit den späten 90er-Jahren<br />

so geht, hat sich laut Krankenhaus-<br />

Zahl der Krankenhausbetten<br />

je 10 000 Einwohner,<br />

2017<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

Bundesdurchschnitt<br />

60<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

66<br />

Rheinland-Pfalz<br />

64<br />

Saarland<br />

64<br />

50<br />

Fördermittel<br />

1998 2017<br />

Bettenauslastung: Bundesweit<br />

liegt die Bettenauslastung<br />

bei 78 Prozent, in Berlin<br />

liegt sie mit 84,5 Prozent höher.Inder<br />

Hauptstadt gibt es<br />

pro 10 000 Einwohnern51<br />

Betten, im Bundesschnitt<br />

sind es 60, Spitzenreiter ist<br />

Sachsen-Anhalt mit 75.<br />

Bremen<br />

58<br />

Hessen<br />

59<br />

Schleswig-<br />

Holstein<br />

60<br />

Hamburg<br />

54<br />

Niedersachsen<br />

57<br />

Baden-<br />

Württemberg<br />

49 57<br />

Investitionsbedarf<br />

Thüringen<br />

75<br />

DIE KRANKE SEITE DER HAUPTSTADT<br />

Arbeitspensum 2017: In<br />

Berlins Kliniken wurden<br />

892 000 Menschen stationär<br />

behandelt, 880 000mal<br />

Erste Hilfe geleistet, 90 000<br />

ambulante Operationen<br />

durchgeführtund 295 000<br />

vor- und nachstationäre Behandlungen<br />

durchgeführt.<br />

65<br />

Sachsen-<br />

Anhalt<br />

74 63<br />

Bayern<br />

Mecklenburg-<br />

Vorpommern<br />

Berlin<br />

51<br />

Sachsen<br />

Investitionsbedarf in <strong>Berliner</strong> Krankenhäusern in Millionen Euro<br />

FÖRDERLÜCKE<br />

1998 bis 2017<br />

2,1 Milliarden Euro<br />

Brandenburg<br />

71<br />

2017<br />

rund<br />

147 Millionen Euro<br />

BLZ/GALANTY; QUELLE: BKG<br />

Versorgungsrate: Berlin<br />

weist im Bundesvergleich die<br />

zweitniedrigste Fallzahl je<br />

Einwohner auf: Im Jahr 2017<br />

kamen auf je 10 000 Einwohner<br />

2131 Menschen,<br />

die die hiesigen Kliniken versorgten.<br />

Der Bundesdurchschnitt<br />

liegt bei 2337.<br />

10 243 Unterstützer für Enteignung<br />

gesellschaft seither eine „Förderlücke“<br />

von 2,1 Milliarden Euro aufgetan.<br />

Weil die Senats-Mittel fehlen,<br />

müssten sich die 60 in der Gesellschaft<br />

organisierten Kliniken anders<br />

behelfen. So werden Erlöse aus<br />

Wahlleistungen und Überschüsse<br />

aus Behandlung und Pflege nicht<br />

etwa wieder in den eigentlichen Betrieb<br />

zurückgeführt, sondern indas<br />

Flicken löchriger Dächer oder die<br />

Beschaffung neuer Geräte.<br />

Die Situation dürfte sich verschlimmern,<br />

wenn nichts passiert,<br />

sagt Marc Schreiner, weil jetzt auch<br />

noch das neue „Personalpflegestärkungsgesetz“<br />

des Bundes greift: Einnahmen<br />

aus der Behandlung dürfen<br />

nicht mehr umgeleitet werden.<br />

Diezunehmende Arbeitsverdichtung<br />

für das Krankenhauspersonal,<br />

dessen Arbeitspensum sich durch<br />

die alternde Bevölkerung noch erhöhen<br />

dürfte, trifft auf massive Engpässe<br />

bei Sanierung, Neubau und<br />

Gerätebeschaffung.<br />

Wichtiger Wirtschaftsfaktor<br />

Die Krankenhausgesellschaft versucht,<br />

mit ihrem Zehn-Jahres-Konzept<br />

aus dem Planungskorsett auszubrechen,<br />

das bisher dem Rhythmus<br />

der <strong>Berliner</strong> Doppelhaushalte<br />

für je zwei Jahrefolgt.<br />

Dabei errechnete sie von2020 bis<br />

2030 einen Baubedarf von 2,1 Milliarden<br />

Euro.Dazu kommen 1,43 Milliarden<br />

für Geräte,Installationen, IT-<br />

Anlagen, Möbel und Digitalisierung.<br />

Marc Schreiner: „Das Land Berlin<br />

darf sich diesem nachgewiesenen,<br />

dringenden Investitionsbedarf nun<br />

nicht länger entziehen.“<br />

In Schreiners Augen arbeiten die<br />

<strong>Berliner</strong> Kliniken am Anschlag: 2017<br />

gab es mit 51 Betten pro 10000 Einwohnern<br />

in Berlin nur in Baden-<br />

Württemberg weniger Betten (49).<br />

Im Bundesschnitt sind es 60.<br />

Mitetwa fünf Milliarden Euro Jahresumsatz<br />

stellten die Krankenhäuser<br />

der Stadt einen wichtigen Wirtschaftsfaktor<br />

dar, den es zu erhalten<br />

gelte,sagt Schreiner:Das stehe auch<br />

in enger Verbindung mit der Beschäftigung<br />

in der Stadt: An den<br />

53 000 direkt in den Häusern Beschäftigten<br />

hängen 85 000 Externe –<br />

vom IT-Dienstleister über den Prothesen-Bauer<br />

bis zum Mitarbeiter<br />

im Gerätebau, so der BKG-Chef. Im<br />

selben Jahr bewältigten die Krankenhaus-Mitarbeiter<br />

in Berlin 892 000<br />

Fälle, 42000 Geburten, 295 000 vorund<br />

nachstationäre Behandlungen,<br />

90 000 ambulante Operationen und<br />

880 000 ambulante Erste-Hilfe-Fälle.<br />

Die Krankenhausgesellschaft sei<br />

jetzt dabei, so Schreiner, inder Politik,<br />

bei Gewerkschaften und Verbänden<br />

für ihreForderungen zu werben.<br />

Die Linke hat für die Volksinitiative aktiv Unterschriften gesammelt und am Mittwoch sechs Aktenordner übergeben.<br />

VonAnnika Leister<br />

Sechs Aktenordner mit 10 243 Unterschriften<br />

hat die <strong>Berliner</strong><br />

Linke am Mittwoch an die Volksinitiative<br />

„Deutsche Wohnen &Co. enteignen“<br />

übergeben. Mitdem vorläufigen<br />

Ergebnis zeigten sich Parteispitzen<br />

und Enteignungs-Initiator<br />

Rouzbeh Taheri amMittwoch sehr<br />

zufrieden. Kein Wunder: Damit hat<br />

die Initiative bereits mehr als die<br />

Hälfte der für die erste Stufe eines<br />

Volksbegehrens notwendigen 20 000<br />

Unterschriften beisammen. Rechnet<br />

man die 15 000 Unterschriften dazu,<br />

die laut Initiative Anfang April allein<br />

auf der großen „Mietenwahnsinn“-<br />

Demonstration eingingen, ist die<br />

Hürde bereits überschritten. Am 14.<br />

Juni sollen die Unterschriften übergeben<br />

werden.<br />

Die Linke unterstützt die Volksinitiativeals<br />

einzige Partei direkt, indem<br />

sie an Wahlkampfständen Unterschriften<br />

für sie sammelt. 30 000<br />

Euro hat die Partei in Poster, Flyer<br />

und Unterschriftenlisten pro Vergesellschaftung<br />

investiert. Zum<br />

Vergleich: Für den Europawahlkampf<br />

gibt sie<br />

61 000 Euro aus.<br />

Das Problem der<br />

Verdrängung in Berlin<br />

sei erheblich,<br />

sagt Linken-Landesvorsitzende<br />

Katina<br />

Schubert. „Immer<br />

mehr <strong>Berliner</strong> kennen<br />

die Angst davor, die eigeneWohnung,<br />

den Kiez und<br />

die Freunde verlassen zu müssen<br />

und an den Rand der Stadt gedrängt<br />

zu werden.“ Und selbst jene, die<br />

nicht direkt vonVerdrängung betroffen<br />

seien, fühlten mit. Das zeige die<br />

große Zustimmung zur Initiative.<br />

„Wir haben einen Punkt getroffen,<br />

der im Leben vieler <strong>Berliner</strong> eine<br />

große Rolle spielt.“<br />

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Als Paradebeispiel für die fortschreitende<br />

Gentrifzierung nennt<br />

Schubert ihren eigenen Kiez in<br />

Nord-Neukölln. Früher sei der<br />

zwar baulich heruntergekommen<br />

gewesen, dafür<br />

aber auch billig und in<br />

der Bevölkerungszusammensetzung<br />

bunt gemischt. Inzwischen<br />

sei er ein<br />

In-Kiez und die<br />

Mietpreise um 130<br />

Prozent gestiegen. Die<br />

Folge? Immer mehr alte<br />

Bewohner zögen weg. „Die<br />

Bevölkerung entmischt sich zunehmend“,<br />

sagt Schubert. Zustände wie<br />

in anderen Metropolen, in denen<br />

sich Ghettos für die Armen und Gated<br />

Communities, bewachte Zonen<br />

für die reichen Bewohner bilden,<br />

müssten in Berlin unbedingt verhindert<br />

werden, so Schubert. „Dann<br />

wäreBerlin nicht mehr Berlin.“<br />

Die Linke will Wohnungsunternehmen,<br />

die alleine den Profit im<br />

Blick haben, „einen Riegel vorschieben“.<br />

Dass sich die Deutsche Wohnen<br />

nach jüngsten Meldungen weiterhin<br />

weigert, den Mietspiegel anzuerkennen,„das<br />

ist für uns die beste<br />

Werbung überhaupt“, so Schubert.<br />

Die Koalitionspartner der Linken<br />

äußern sich zur Enteignungs-Initiative<br />

zurückhaltender. Die SPD will<br />

sich erst im Herbst auf einen Standpunkt<br />

einigen. Die Grünen haben<br />

auf einem Kleinen Parteitag in der<br />

vergangenen Woche beschlossen,<br />

dass sie zwar für Vergesellschaftung<br />

sind –allerdings nur als allerletztes<br />

Mittel, wenn alle anderen Instrumente<br />

ausgeschöpft sind. Unterschriften<br />

sammeln wollen die Grünen<br />

nicht. Schubertwertet die grüne<br />

Positionierung dennoch positiv:<br />

„Wir sind im Abgeordnetenhaus<br />

jetzt schon mal zwei Parteien, die pro<br />

Vergesellschaftung sind.“<br />

Anwohner<br />

wollen weniger<br />

Autos im Kiez<br />

Bürgerdebatte zur Zukunft<br />

der Bergmannstraße<br />

VonStefan Strauß<br />

Autos hatten an diesem Abend<br />

keine Chance. Gerade mal zwei<br />

Punkte klebten in dem Feld Autoverkehr,<br />

etliche hingegen in den Rubriken<br />

„weitestgehend autofrei“ und<br />

„Entschleunigung des Straßenverkehrsflusses“.<br />

Am Dienstagabend<br />

waren etwa 280 Anwohner aus dem<br />

Bergmannkiez ins Columbia Theater<br />

gekommen, um mit Baustadtrat Florian<br />

Schmidt (Grüne) und Verkehrssenatorin<br />

Regine Günther (parteilos,<br />

für die Grünen) in Arbeitsgruppen<br />

über die umstrittene Begegnungszone<br />

Bergmannstraße zu diskutieren.<br />

Dort testen der Bezirk und der Senat<br />

zurzeit, welche Möglichkeiten zur<br />

Verkehrsberuhigung es in der viel befahrenen<br />

Straße gibt. Dortgilt zurzeit<br />

Tempo 20, grüne Punkte kleben auf<br />

dem Asphalt. Wo früher Autos parkten,<br />

stehen nun Bänke auf Holzpodesten,<br />

Parklet genannt. Neu sind<br />

auch die Abstellplätzefür Fahrräder.<br />

Der Abend im Columbia Theater<br />

sollte den Anwohnern erneut Gelegenheit<br />

geben, ihreMeinung zur Gestaltung<br />

der Bergmannstraße zu äußern.<br />

Ohne ihreMitsprache lässt sich<br />

in Kreuzberg längst nichts mehr verändern.<br />

Dabei konnten sie etwa mit<br />

Punkten in Rubriken auf einer Tafel<br />

markieren, wie sie sich die Bergmannstraße<br />

der Zukunft vorstellen.<br />

Autos gehören demnach nicht dazu.<br />

Entschleunigung durch Irritation: Grüne<br />

Punkte auf der Bergmannstraße. ENGELSMANN<br />

Baustadtrat Schmidt nutzte die<br />

Bürgerversammlung zur Selbstkritik.<br />

Denn vor allem die im Winter, dem<br />

Beginn der Testphase, aufgestellten<br />

klobigen Parklets seien „Rohrkrepierer“<br />

gewesen, sagte Schmidt und resümierte<br />

:„Es ist nicht gut gelaufen.“<br />

Er versprach, die Bürgerbeteiligung<br />

auszubauen, zwei Zusammenkünfte<br />

im Juli und August folgen, 2000 Einladungen<br />

will der Bezirkverschicken.<br />

DieTestphase läuft also weiter wie<br />

geplant. Einen Abbau der Parklets,<br />

wie es Bezirksverordnete von<br />

Schmidt geforderthaben, wirdesvorerst<br />

nicht geben. „Der große Andrang<br />

bei unserer Werkstatt zeigt, wie die<br />

Themen Begegnungszone und Mobilitätswende<br />

die Gemüter bewegen“,<br />

sagte Schmidt. „Das ist ein gutes Signal<br />

für die weitere Evaluation und<br />

Partizipation in den nächsten Monaten.“<br />

Schmidt will mit den Anwohnern<br />

„ergebnisoffen“ diskutieren,<br />

auch darüber, ob die Bergmannstraße<br />

komplett autofrei werden<br />

könne. Das hatte Schmidt erst kürzlich<br />

im Interview mit der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong><br />

angekündigt.<br />

Verkehrssenatorin Günther unterstützt<br />

das Projekt und den Grünen-<br />

Baustadtrat. „Die Bergmannstraße ist<br />

ein spannendes Experimentierfeld<br />

für die Verkehrswende“, sagte sie. Es<br />

gehe um eine Neuverteilung des öffentlichen<br />

Straßenraums, also um<br />

mehr Platz für Fußgänger, für den<br />

Radverkehr,für ein sicheres,barrierefreies<br />

Überqueren der Straße und ein<br />

lebendiges, kommunikatives Straßenleben.„Berlin<br />

ist bei weitem nicht<br />

die einzige Stadt, die in solchen Testphasen<br />

Neues im Straßenraum ausprobiert“,<br />

sagte die Senatorin und<br />

nannte vergleichbare Projekte in Paris,<br />

London,Wien und Moskau.

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