Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 118 · D onnerstag, 23. Mai 2019 5 *<br />
·························································································································································································································································································<br />
Politik<br />
Anderthalb Jahrzehnte warHelmut Kohl das Zugpferd in den Wahlkämpfen seiner CDU. Inzwischen streitet die WitweMaikeKohl-Richter schon seit Jahren mit der Familie um den geistigen Nachlass des „Kanzlersder Einheit“.<br />
IMAGO IMAGES<br />
Kampf um ein politisches Erbe<br />
Beim Prozess vor dem Kölner Landgericht geht es aus Sicht des Sohnes von Helmut Kohl um mehr als nur das Verbot, weitere Zitate seines Vaters zu veröffentlichen<br />
VonPeter Berger,Köln<br />
Um das Buch, das nach<br />
seiner Veröffentlichung<br />
im Jahr 2014 den ganzen<br />
Wirbel um das Vermächtnis<br />
vonHelmut Kohl ausgelöst<br />
hat, geht es bei der Zivilverhandlung<br />
am Kölner Landgericht am Mittwoch<br />
nur noch am Rande.Geschrieben<br />
haben „Das Vermächtnis. Die<br />
Kohl-Protokolle“ die beiden Journalisten<br />
Heribert Schwan und Tilman<br />
Jens und sich dabei der Tonbandprotokolle<br />
aus den Jahren 1999 bis<br />
2002 bedient, die Schwan als Ghostwriter<br />
für Kohls Memoiren in mehr<br />
als 600 Stunden aufgenommen hat.<br />
„Helmut Kohl unplugged“ besteht<br />
im Wesentlichen aus einer Ansammlung<br />
vonKraftausdrücken und<br />
Verbalinjurien, mit denen der Alt-<br />
Kanzler Politiker und andere prominente<br />
Weggefährten bedacht hat. Etliche<br />
Gerichte haben sich damit beschäftigt<br />
und werden das auch in Zukunft<br />
noch tun müssen. 114 Zitate<br />
wurden untersagt. DieRechtsauffassung<br />
ist eindeutig und wurde vom<br />
Oberlandesgericht Köln zuletzt bestätigt:<br />
Der Ghostwriter und Kohl-<br />
Vertraute HeribertSchwan hat durch<br />
die Veröffentlichung eine stillschweigende<br />
Geheimhaltungsvereinbarung<br />
verletzt. Schwan, Jens<br />
und die Bertelsmann-Gruppe gehörende<br />
Verlagsgruppe Random House<br />
haben gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof<br />
Revision eingelegt.<br />
Bei der Zivilsache 28 O11/18, die<br />
Maike Kohl-Richter,zweite Frau und<br />
Witwedes Alt-Kanzlers vordem Kölner<br />
Landgericht jetzt angestrengt<br />
hat, geht es um mehr als um das Verbot<br />
weiterer Zitate. Sosieht das zumindest<br />
dessen Sohn Peter Kohl<br />
(54). „Ihr geht es darum, die Deutungshoheit<br />
über das politische Erbe<br />
Kohls zu erlangen und auf Ewigkeiten<br />
zu besetzen“, sagt er als Zeuge<br />
beim Prozessauftakt. Für diese Aufgabe<br />
sei Maike Kohl-Richter aber in<br />
keiner Weise qualifiziert. „Sie ist<br />
keine Historikerin. Sie hat keine Ahnung.<br />
Siewar 50 Jahrenicht dabei.“<br />
KeineVertraulichkeitsklausel<br />
Der jüngere Kohl-Sohn beschreibt,<br />
wie er seinen Vater nach dessen Entscheidung,<br />
seine Memoiren zu veröffentlichen,<br />
mehrfach bekniet habe,<br />
eine Vertraulichkeitsklausel mit dem<br />
Verlag und dem Ghostwriter zu vereinbaren.<br />
„Schon zu Lebzeiten meiner<br />
Mutter habe ich das mit ihm besprochen,<br />
aber er hielt es für Zeitverschwendung.<br />
Sein Vertrauensverhältnis<br />
zu Dr. Schwan war ihm<br />
wichtiger. Man müsse sich auf die<br />
Leute verlassen können. So war er.“<br />
Dabei sei Helmut Kohl selbstverständlich<br />
davon ausgegangen,<br />
dass das alles<br />
vertraulich bleibt. Peter<br />
Kohl beschreibt dem<br />
Gericht im Detail, wie<br />
die Gespräche zwischen<br />
Schwan und seinem Vater<br />
abgelaufen sind. „Ich<br />
war ein- oder zweimal<br />
dabei, nach dem Tod<br />
meiner Mutter.Meinem<br />
Vater ging es sehr<br />
schlecht. Er stand auch<br />
extern unter einem<br />
enormen psychischen Druck, hatte<br />
ein absolutes Vertrauensverhältnis zu<br />
Dr. Schwan. Es war wie eine Therapiesitzung,<br />
mein Vater hat sein Innerstes<br />
rausgekehrt und sich ausgesprochen.<br />
Unddas alles auf Band gesprochen.<br />
Er hatte in keinster Weise<br />
die Absicht, dass dieses gesprochene<br />
Wort einmal abgedruckt und veröffentlicht<br />
wird.“ Helmut Kohl sei bei<br />
allen vorherigen Veröffentlichungen<br />
Peter Kohl am Mittwoch<br />
in Köln<br />
immer eng eingebunden gewesen<br />
und habe sich die Manuskripte sehr<br />
genau angesehen.„Erhatte die Intention,<br />
dass nach seinem TodHistoriker<br />
Zugang zu allen Materialien haben,<br />
aber damit auch pfleglich umgehen<br />
und die Qualitätsstandards beachten.“<br />
Aus den Aufzeichnungen<br />
Schwans entstanden<br />
in den Jahren<br />
2004 bis 2007 drei Bücher<br />
mit den Kohl-Memoiren<br />
und ein Tagebuch.<br />
Das vierte Memoiren-Band<br />
war geplant,<br />
als es zum Bruch<br />
DPA<br />
mit Kohl kommt. „Spätestens<br />
vor dem Rauswurf<br />
Schwans aus dem<br />
Buchprojekt hätte man<br />
sich absichern müssen“, sagt Peter<br />
Kohl und erhebt weitereschwereVorwürfe<br />
gegen Kohls zweite Ehefrau.<br />
„Sie wusste genau, dass es keine Vertraulichkeitsvereinbarung<br />
gab. Deshalb<br />
hätte man vorder Trennung eine<br />
Regelung herbeiführen und<br />
schlimmstenfalls einen finanziellen<br />
Ausgleich zahlen müssen.“ Manhabe<br />
Schwan rausgeworfen und selbst danach<br />
noch weiter Druck gemacht<br />
„anstatt ihn einzufangen“. Es habe<br />
Briefe an den geschassten Ghostwriter<br />
gegeben, „die er mir gezeigt und<br />
die ich als juristische Bedrohung<br />
empfunden habe“. Warum das nicht<br />
geschehen ist, dafür habe er aus heutiger<br />
Sicht eine Erklärung, sagt Peter<br />
Kohl. „Maike Kohl-Richter hat sich so<br />
verhalten, weil sie einen Prozess<br />
wollte,umdamit Geld zu verdienen.“<br />
Eine Million Euro Schmerzensgeld<br />
Ansatzweise ist das gelungen. Eine<br />
Million Euro Schmerzensgeld wegen<br />
einer schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung<br />
hat Helmut Kohl vor<br />
dem Landgericht Köln erstritten.<br />
Doch ob die Witwedas Geld bekommen<br />
wird, ist strittig. DerAlt-Kanzler<br />
starb am 16. Juni 2017 mit 87 Jahren.<br />
Da war das Urteil noch nicht rechtskräftig<br />
und ist nach Auffassung des<br />
Oberlandesgerichts erloschen. Auf<br />
Betreiben von Maike Kohl-Richter<br />
haben ihre Anwälte vor dem Bundesgerichtshof<br />
Revision eingelegt.<br />
„Auch ihreAnwälte wussten ganz genau<br />
Bescheid, dass die Beziehung<br />
zwischen Schwan und Richter immer<br />
schlechter wurde“, schildertPeter<br />
Kohl die Lage.Erhabe vergeblich<br />
versucht, seinen Vater davor zu<br />
schützen, dass es zu einer derartigen<br />
Eskalation kommt.<br />
Die Frage jedoch, was mit dem<br />
historisch so wertvollen Quellenmaterial<br />
auf Dauer geschehen wird, ist<br />
immer noch nicht beantwortet.<br />
„Mein Vater wollte überhaupt nicht,<br />
dass zu seinen Lebzeiten diese Tonbandaufnahmen<br />
ausgewertet werden.<br />
Nurnach seinem Ableben –und<br />
das in einer Gesamtschau“, sagt Peter<br />
Kohl. „Da hat er sich selbst etwas<br />
vorgemacht. Das ist so wie ein bisschen<br />
schwanger. Entweder die Materialien<br />
sind frei oder lagern ineinem<br />
Archiv. Das war ein innerer Widerspruch.<br />
Daswar auch die Diskussion,<br />
die ich mit ihm hatte. Schon<br />
2002. Mein Vater hat Schwan vertraut.<br />
Dermache das ganz ordentlich<br />
und wisse das einzuordnen.“<br />
Dem war nicht so. Und der tiefe<br />
Graben zwischen der Kohl-Familie<br />
und der Witwe wird kaum dazu beitragen,<br />
die juristischen Auseinandersetzungen<br />
schnell zu beenden.<br />
Peter Kohl sieht das gelassen. Am<br />
Ende werdealles auf den Tisch kommen<br />
und künftige Generationen<br />
würden in der Lage sein, sich selbst<br />
ein Urteil über die Lebensleistung<br />
des Kanzlers der Einheit zu bilden.<br />
Kurzzeitkabinett<br />
In Österreich werden nach dem Auszug der FPÖ aus der Regierungskoalition neue Minister vereidigt. Doch Bundeskanzler Kurz droht schon am Montag das Aus<br />
Wenige Tage nach der folgenreichen<br />
Veröffentlichung eines<br />
Skandal-Videos wird Österreich nun<br />
von einer Übergangsregierung geführt.<br />
Offen ist aber, wie lange das<br />
neue Kabinett vonKanzler Sebastian<br />
Kurz (ÖVP) überhaupt im Amt bleiben<br />
wird. Bundespräsident Alexander<br />
Van der Bellen hat nach dem<br />
Bruch der ÖVP-FPÖ-Koalition als<br />
Folge des Ibiza-Videos am Mittwoch<br />
vier neue Minister vereidigt –allesamt<br />
Experten und Spitzenbeamte.<br />
Schon am kommenden Montag<br />
könnte aber Kanzler Kurz mit einem<br />
Misstrauensvotum des Parlaments<br />
aus dem Amt gedrängt werden, denn<br />
die Regierung hat derzeit keine<br />
Mehrheit. Die rechte FPÖ und die<br />
SPÖ haben sich weiterhin nicht abschließend<br />
entschieden, wie sie abstimmen<br />
werden.<br />
Kurz gab sich am Mittwoch gelassen<br />
angesichts der drohenden Abberufung.<br />
„Ich sehe es nicht als Damoklesschwert,<br />
sondern ich glaube,<br />
dass jede Institution eine eigene Aufgabe<br />
und eine eigene Verantwortung<br />
hat“, sagte Kurz. Der Bundespräsident<br />
und er hätten ihr Bestes gegeben,<br />
um ihrer Verantwortung in dieser<br />
Phase gerecht zu werden.<br />
Die Einsetzung der Übergangsregierung<br />
war nötig, weil das Ibiza-Video<br />
eine Regierungskrise ausgelöst<br />
hat. Das Video aus dem Sommer<br />
2017 zeigt Ex-FPÖ-Chef Heinz-<br />
Christian Strache, der mit einer angeblichen<br />
russischen Oligarchen-<br />
Nichte über möglicherweise illegale<br />
Parteispenden spricht.<br />
Vander Bellen mahnt die Parteien<br />
Die Riege der neu vereidigten Minister mit Bundeskanzler und Bundespräsident.<br />
DPA<br />
Kurz betonte, die Übergangsregierung<br />
sei nicht für weitreichende,<br />
sondern nur für notwendige Entscheidungen<br />
im Amt. „Es geht nicht<br />
darum, Politik für die Zukunft zu machen.“<br />
Wichtig sei eine stabile Führung<br />
der Ressorts.Die Chefs der Parlamentsparteien<br />
seien von ihm regelmäßig<br />
über den aktuellen Stand<br />
informiertworden.<br />
Vander Bellen gab den neuen Ministern<br />
mit auf den Weg, parlamentarische<br />
Demokratie beinhalte die<br />
Suche und das Herstellen vonMehrheiten<br />
sowie den Schutz von Minderheiten.<br />
„Und dazu braucht es das<br />
laufende Gespräch, das Aufeinanschreckenden<br />
Dialoglosigkeit und<br />
Respektlosigkeit“, dass Kurz sich<br />
nicht darum gekümmerthabe,für die<br />
Übergangsregierung auch eine stabile<br />
Mehrheit zu bekommen. DieSPÖ<br />
fordert, dass alle Kabinettsmitglieder<br />
–auch der Kanzler –durch Experten<br />
ersetzt werden sollten.<br />
Bei den nun ernannten neuen<br />
Ministern handelt es sich um eher<br />
unbekannte Experten und Spitzenderzugehen,<br />
das nachhaltige Aufbauen<br />
von gegenseitigem Vertrauen<br />
und nicht zuletzt die Bereitschaft<br />
zum Kompromiss im Dienste des<br />
Gemeinwohls.“<br />
DieSPÖ macht ihreEntscheidung<br />
zum Misstrauensantrag auch davon<br />
abhängig, ob der Kanzler in den<br />
nächsten Tagen das Gespräch mit<br />
den Parlamentsparteien sucht. Ein<br />
SPÖ-Sprecher sprach von einer „erbeamte.<br />
Der neue Innenminister<br />
EckartRatz (65) ist ehemaliger Präsident<br />
des Obersten Gerichtshofs, die<br />
neue Verkehrsministerin Valerie<br />
Hackl (36) war bisher Chefin der<br />
Flugsicherung „Austro Control“. Der<br />
59 Jahre alte Verteidigungsminister<br />
Johann Luif ist Vizegeneralstabschef.<br />
Das Sozialministerium übernimmt<br />
Walter Pöltner (67), früher Abteilungsleiter<br />
in diesem Haus.<br />
Misstrauensvotum steht bevor<br />
Neuer Vizekanzler ist Finanzminister<br />
Hartwig Löger.Die Kompetenzen<br />
des zurückgetretenen Vizekanzlers<br />
und Ex-FPÖ-Chefs Strache –Sport<br />
und öffentlicher Dienst – übernimmt<br />
Familienministerin Juliane<br />
Bogner-Strauß (ÖVP).<br />
„Ineiner solchen Situation liegt es<br />
am Bundespräsidenten und am<br />
Kanzler, sicherzustellen, dass es<br />
künftig für inhaltliche und personelle<br />
Vorschläge eine Mehrheit im<br />
Nationalrat gibt“, sagte Wiens Bürgermeister<br />
Michael Ludwig (SPÖ)<br />
am Mittwoch.„Die Signale an die Sozialdemokratie<br />
stimmen mich nicht<br />
optimistisch.“ Daher hält sich die<br />
SPÖ weiter die Möglichkeit offen,<br />
das Misstrauensvotum gegen Kurz<br />
am Montag zu unterstützen.<br />
Werhinter dem Video steckt, ist<br />
unklar. Spekuliert wurde über Geheimdienste,<br />
Jan Böhmermann, das<br />
Zentrum für Politische Schönheit<br />
oder TalSilberstein, der 2017 mit unlauteren<br />
Mitteln Stimmung gegen<br />
Kurz und die FPÖ gemacht hatte.Nun<br />
gibt es eine neue Variante: Ein nach<br />
eigenen Angaben mit Spionage vertrauter<br />
Experte behauptete im österreichischen<br />
Fernsehen, dass ein ehemaliger<br />
Geschäftspartner, den er<br />
selbst im Bereich Spionage ausgebildet<br />
habe, die Videofalle gemeinsam<br />
mit einemWiener Anwalt gelegt habe.<br />
Er habe den Geschäftspartner auf<br />
demVideo erkannt.<br />
Die Äußerungen decken sich mit<br />
den Schilderungen des Ex-FPÖ-Politikers<br />
Johann Gudenus,der auf Ibiza<br />
für seinen damaligen Parteichef<br />
Heinz-Christian Strache dolmetschte.<br />
Gudenus sprach im Wiener<br />
Kurier ebenfalls von einem Wiener<br />
Anwalt, der die Treffen vermittelt<br />
habe, auf Ibiza aber nicht dabei gewesen<br />
sei. (dpa)