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12 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 137 · M ontag, 17. Juni 2019<br />
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Berlin<br />
POLIZEIREPORT<br />
Dealer beißt Mann in die Hand.<br />
Voreinem Musikclub am Schlesischen<br />
Torhat es am Sonntagmorgen<br />
einen Raub und eine Prügelei mit<br />
Flaschenwürfen gegeben. Laut Polizeihatte<br />
ein Mann gegen 3.30 Uhreinem<br />
26-Jährigen seine Armbanduhr<br />
entwendet. Dabei kam es zur Rangelei,<br />
bei der der Täter dem 26-Jährigen<br />
in die Hand biss und versuchte,ihn<br />
mit Schlägen am Kopf zu treffen.<br />
Dem26-Jährigen gelang es,den Täter<br />
am Boden zu fixieren. Daraufhin<br />
rief der Räuber nach Hilfe.Plötzlich<br />
bewarfen 15 bis 20 Personen den Beraubten<br />
mit Flaschen und Steinen.<br />
DerTäter konnte sich losreißen und<br />
flüchtete mit der Uhrdes 26-Jährigen.<br />
Polizisten konnten einen Mann<br />
aus der attackierenden Gruppe vorläufig<br />
festnehmen. Der28-Jährige<br />
wurde erkennungsdienstlich behandelt<br />
und danach entlassen. Anschließende<br />
Ermittlungen ergaben darüber<br />
hinaus,dass der Räuber zuvor<br />
dem 26-Jährigen Drogen zum Kauf<br />
angeboten hatte,was dieser abgelehnt<br />
hatte.Die Polizei ermittelt nun<br />
wegen Raubes und schweren Landfriedensbruchs.<br />
Verprügelt vor den Augen des Kindes.<br />
In Wedding ist in der Nacht zum<br />
Sonntag ein Mann schwer verletzt<br />
worden. Laut Polizei war der 33-Jährige<br />
gegen 23.30 Uhrmit seinem<br />
neunjährigen Sohn in der Lindower<br />
Straße unterwegs,als er vonzwei<br />
Männernmit Holzlatten attackiert<br />
wurde.Der Angegriffene ging zu Boden.<br />
Dortschlugen die beiden Männer<br />
weiter auf ihn ein. Als Passanten<br />
hinzukamen, flüchteten die Angreifer.Der<br />
33-Jährige konnte der Polizei<br />
einen der Täter namentlich benennen.<br />
Beieiner anschließenden Wohnungsdurchsuchung<br />
konnte der 29-<br />
jährige Tatverdächtige festgenommen<br />
und eine Holzlatte beschlagnahmt<br />
werden. DerAttackierte kam<br />
zur stationären Behandlung in eine<br />
Klinik. Sein Sohn blieb unverletzt.<br />
Verletzte bei Wohnungsbrand.<br />
Beieinem Wohnungsbrand in Hellersdorfsind<br />
am Sonntag vier Menschen<br />
verletzt worden. Kurz vor2<br />
Uhrrief ein Ehepaar die Feuerwehr<br />
in die Lion-Feuchtwanger-Straße,<br />
weil es in ihrer Wohnung brannte.<br />
Die56-Jährige und ihr drei Jahreälterer<br />
Mann verließen die Wohnung<br />
im fünften Stock und informierten<br />
die anderen Mieter.DreiBewohnerinnen<br />
im Alter von62, 76 und 95<br />
Jahren und ein 82-jähriger Mann<br />
verließen allein das Haus.ZweiMänner,69und<br />
86 Jahrealt, wurden von<br />
der Feuerwehr aus ihren Wohnungen<br />
gebracht. DieWohnung brannte<br />
komplett aus.Die 95-Jährige und der<br />
86-Jährige erlitten einen Schock und<br />
wurden am Ortvon Rettungssanitäternbehandelt.<br />
DieMieterin der<br />
Brandwohnung und ihr Mann erlitten<br />
Rauchvergiftungen und kamen<br />
in eine Klinik. DiePolizei geht von<br />
fahrlässiger Brandstiftung aus.<br />
Radfahrerin schwer verletzt.<br />
Eine Radfahrerin ist am Samstag bei<br />
einem Unfall in Reinickendorf<br />
schwer verletzt worden. Zeugenaussagen<br />
zufolge überquerte die 52-Jährige<br />
gegen 12.30 Uhraneiner Fußgängerampel<br />
bei Grün den Eichborndamm<br />
in Richtung Reinickendorfer<br />
Park.Ein 84-jähriger<br />
VW-Fahrer soll die für ihn Rotanzeigende<br />
Ampel übersehen haben und<br />
ungebremst gegen die Radfahrerin<br />
gefahren sein. Die52-Jährige erlitt<br />
schwereVerletzungen am Kopf und<br />
Rumpf und wurde in ein Krankenhaus<br />
gebracht. Der84-jährige Autofahrer<br />
erlitt einen leichten Schock.<br />
Bundeswehrplakate überklebt.<br />
Unbekannte haben in Tempelhof<br />
Werbeplakate der Bundeswehr überklebt.<br />
Dies wurde am Samstagnachmittag<br />
bemerkt. Nach Angaben der<br />
Polizei wurden an drei Bushaltestellen<br />
im Tempelhofer Damm und an<br />
zwei WartehäusernimColumbiadamm<br />
die Werbeschaukästen geöffnet<br />
und Zettel mit gegen die Bundeswehr<br />
gerichteten Aufschriften auf<br />
die Plakate geklebt. Polizisten stellten<br />
die Plakate sicher. (kop.)<br />
CHRISTIANE PAUL<br />
verhielt sich am Sonnabend zur Mittagsstunde<br />
völlig anders als viele andere<br />
<strong>Berliner</strong>, die in der drückenden<br />
Schwüle nach Abkühlung suchten.<br />
Die Schauspielerin warf sich in ein<br />
langes Kleid und fuhr in die Staatsoper.Um15Uhr<br />
begann dortdieVorstellung<br />
der Wagner-Oper „Tristan<br />
und Isolde“, die mit zwei Pausen bis<br />
20.45 Uhr dauerte. Nun vermutet<br />
man sofort: Christiane Paul kannte<br />
diese Inszenierung bestimmt noch<br />
nicht und nahm deshalb die Strapazen<br />
ansoeinem besonders heißen<br />
Tagauf sich. Falsch! Schon bei der<br />
Premiere imFebruar 2018 saß sie im<br />
Saal und erlebte die Wagner-Oper in<br />
der Regie von Dmitri Tcherniakov<br />
und mit Daniel Barenboim als Dirigent.<br />
Sie nahm die Einladung zu<br />
„Staatsoper für alle“ gern an und<br />
tauchte noch einmal in die Handlung<br />
ein: „Man ist in einer anderen Welt.“<br />
Sielobt:„Was für ein Kraftakt der Sänger!“<br />
Undfreut sich noch dazu: „Das<br />
ist ein Frauenstück. Wir reden ja immer<br />
von starken Frauen, in dieser<br />
Oper kann man sie erleben.“ Schon<br />
seit Kindertagen gehört Christiane<br />
Paul zu den Stammgästen des Opernhauses.<br />
Ihr Vater war der Orthopäde<br />
des Balletts.Und seineTochter begleitete<br />
die Eltern oft in die Staatsoper.<br />
Eine Tradition, die mit der nächsten<br />
Generation weitergeführt wird.<br />
Christiane Paul: „Ich schleppe die<br />
Kinder auch in die Oper.Und die hassen<br />
mich dafür.“ Siegrinst: „Damüssen<br />
sie durch.“<br />
FLORIAN DAVID FITZ<br />
kam für„Staatsoper für alle“ extraaus<br />
München nach Berlin. Undhatte sich<br />
vor „Tristan und Isolde“ ins Thema<br />
eingelesen: „Ich habe mich über den<br />
Tristan-Akkord informiert.“ So eine<br />
Wagner-Oper ist für ihn schon wegen<br />
der Länge „ein Brett“, aber eines, mit<br />
dem er sich auch mal gern beschäftigt:„Ich<br />
habe schon beim Parsifal die<br />
Erfahrung gemacht, dass da musikalisch<br />
Wunderbares dabei ist. Aber die<br />
Texte! Diese Schwülstigkeit …“ Das<br />
Argument, dassWagner-Texte ja auch<br />
schon älter sind, lässt er nicht gelten:<br />
„Es gibt so wundervoll poetische<br />
Texte von Shakespeare, die noch viel<br />
älter sind.“<br />
DÉSIRÉE NOSBUSCH<br />
freute sich darüber, dass ihre Freundin<br />
Ursula Karven sieüberredet hatte,<br />
mit ihr gemeinsam „Tristan und<br />
Isolde“ zu erleben: „Man tut das viel<br />
zu selten, dass man sich am Nachmit-<br />
Blindgänger bleiben noch lange ein Problem<br />
Im Boden unter Berlin werden noch immer etwa 4600 nicht explodierte Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg vermutet<br />
VonJens Blankennagel<br />
und Andreas Kopietz<br />
Nach der erfolgreichen Entschärfung<br />
der 100-Kilo-Bombe aus<br />
dem Zweiten Weltkrieg nahe des<br />
Kaufhauses Alexa ist klar, dass die<br />
Suche nach nicht explodierten<br />
Sprengkörpern weiter geht. Blindgänger<br />
werden noch lange ein Problem<br />
bleiben, da Berlin-Brandenburg<br />
noch immer die am stärksten mit<br />
Altmunition belastete Region in<br />
Deutschland ist. Denn die schwersten<br />
Gefechte wurden 1945 um die<br />
damalige Reichshauptstadt geführt.<br />
Über Berlin gingen 45 000 Tonnen<br />
Bomben nieder. Experten schätzen,<br />
dass zehn Prozent der abgeworfenen<br />
Bomben nicht explodierten.<br />
In Berlin wurden seit dem Krieg<br />
7500 solcher Blindgänger geborgen,<br />
etwa 4600 werden noch im Boden<br />
vermutet. Davongeht zumindest der<br />
Senat im Moment aus.Zuvor hieß es<br />
lange Zeit, es seien nur 3000. 2018<br />
wurden in Berlin 38,7 Tonnen Bomben<br />
und Munition geborgen.<br />
Viel Altmunition liegt auch in Oranienburg<br />
(Oberhavel). Die Stadt<br />
wurde so heftig angegriffen, weil die<br />
Alliierten dortTeile des Atomwaffenprogramms<br />
der Nazis vermuteten. In<br />
In die Oper verschleppt<br />
„Staatsoper für alle“ mit „Tristan<br />
und Isolde“ wird zum Stelldichein<br />
der Prominenz. Und Christiane Paul<br />
führt eine Familientradition fort<br />
Désirée Nosbusch (r.) wurde von Ursula<br />
Karven zum Opernabend überredet. SCHULZ<br />
Florian David Fitz kam für Tristan und<br />
Isolde extra aus München.<br />
SCHULZ<br />
Ein Experte räumt die 100-Kilo-Bombe in den Lkw des Kampfmittelräumdienstes.<br />
Oranienburg –auch „Stadt der Bomben“<br />
genannt –werden noch immer<br />
1000 Blindgänger vermutet. Vergangene<br />
Woche wurden in Oranienburg<br />
die Blindgänger Nr. 204 und 205 entschärft.<br />
In Berlin und in Oranienburg<br />
wird empfohlen, jede Baustelle vor<br />
dem Bau nach Altmunition abzusuchen.<br />
Das geschah auch auf dem<br />
Areal nahe der Alexa. Doch die recht<br />
kleine Bombe wurde übersehen,<br />
weil sehr viel Metall im Boden liegt.<br />
Die Suche nach Blindgängern ist<br />
sehr aufwendig. Denn bei den großflächigen<br />
Bombardements der West-<br />
Alliierten flogen die Flugzeuge sehr<br />
von Andreas Kurtz<br />
ak@andreaskurtz.net<br />
Schon seit Kin-<br />
Christiane Paul<br />
dertagen gehört<br />
zu den Stamm-<br />
gästen des<br />
Opernhauses.<br />
CHRISTIAN SCHULZ<br />
DPA<br />
hoch, um den Geschossen der Flugabwehr<br />
zu entgehen. So landeten die<br />
Bomben oft nicht dort, so sie eigentlich<br />
einschlagen sollten. Nach jedem<br />
Angriff fotografierten die Alliierten<br />
die bombardierten Gebiete. Damit<br />
sollte kontrolliertwerden, wie erfolgreich<br />
die Angriffe waren. Die Bundesrepublik<br />
kaufte große Bestände<br />
der Luftbilder auf, um die Suche zu<br />
erleichtern. Für 90 Prozent der <strong>Berliner</strong><br />
Stadtfläche gibt es Luftbilder.<br />
Das Problem bei Blindgängern<br />
ist, dass ihre Einschlagstellen nur<br />
schwer zu finden sind. Wenn eine<br />
Bombe explodiert, bleibt ein großer<br />
tag in ein schickes Kleid schmeißt<br />
und in die Oper geht.“ Gleich das<br />
Bühnenbild für den ersten Akt irritierte<br />
sie: „Ich hatte kurz das Gefühl,<br />
in einem Küchenstudio zu sein.“ Die<br />
Schauspielerin, deren aktuelle Serie<br />
„Bad Banks“ jeden Preis, den es gibt,<br />
schon bekommen hat oder demnächst<br />
bestimmt bekommen wird,<br />
hält sich für keine Opern-Kennerin:<br />
„ZuHause höre ichoft nur die Ouvertüre.<br />
Richtig reinfallen lasse ich mich<br />
nur einmal oder zweimal im Jahr in<br />
das ganzeWerk.“<br />
ANDREAS GEISEL<br />
genoss nicht nur die Musik. Der Innensenator<br />
erfreute sich auch an der<br />
gut funktionierenden Klimaanlage<br />
des Opernhauses. „Zu Hause ist ge-<br />
rade eigentlichnur ein Raum im Kel-<br />
kühl.“ SeineFrauAnke<br />
ler angenehm<br />
Geisel widerspricht ihm dezent: „Im<br />
Erdgescho ossgeht es auch.“<br />
HANS-REINER SCHRÖDER<br />
gehörte alsDirektor vonBMW Berlin<br />
gemeinsa am mit Intendant Matthias<br />
Schulz zu den Gastgebern von<br />
„Staatsoper für alle“. Er scherzte<br />
in Richtung von Thomas Gott-<br />
der die Moderation für<br />
schalk,<br />
die Besucher draußen in der<br />
Hitze des Bebel-Platzes über-<br />
hatte,dassder ja da-<br />
nommen<br />
mitden ultimativen Aufstieg<br />
geschafft hätte. Nach Jahren<br />
als Moderator von „Oper für<br />
alle“ in München nun also<br />
Staatsoper: „Das klingt doch<br />
gleich ganz anders!“<br />
DANIEL BARENBOIM<br />
deutete nach dem Schlussakkord<br />
der Oper beim an-<br />
Dinner im<br />
schließenden<br />
Apollo-Saal die Abkürzung<br />
BMW –sicher zum Entzücken<br />
des Sponsors von<br />
„Staatsoper für alle“ –so<br />
um: „Das heißt ausgesprochen:<br />
Barenboim<br />
Macht Weltkarriere.“ Die Idee diehenendes<br />
mit einer Opern-<br />
ses Woch<br />
übertragu ung aus der Staatsoper auf<br />
den Bebelplatz und einem Konzert<br />
der Staats skapelle draußen findet Barichtig<br />
gut: „Ich finde, die<br />
renboim<br />
Oper musss entweder verdammt teuer<br />
oder umsonst sein.“ Daniel Barenaber<br />
auch Mitleid mit den<br />
boim ließ<br />
in der sengenden Hitze draußen neben<br />
der Oper sitzenden Menschen<br />
durchblick ken: „Lasst mich die Wahr-<br />
heit sagen:Tristan und Isolde ist keine<br />
Sommer-Oper!“<br />
Bombentrichter, bei Blindgängern<br />
ist aber nicht viel zu sehen –nur ein<br />
kleines Loch, im Durchmesser nur<br />
wenig breiter als der Sprengkörper.<br />
Oft wurden diese Löcher im Krieg<br />
von den Anwohnern einfach wieder<br />
zugeschüttet. Die Einschlagstellen<br />
wurden von deutscher Seite auch<br />
nicht erfasst. Dadurch ist unklar, wo<br />
noch Blindgänger liegen.<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass<br />
auch kurz nach einem Blindgänger<br />
in unmittelbarer Nähe eine Bombe<br />
explodiert sein kann. Die wirbelte<br />
dann Schutt oder Ziegel durch die<br />
Gegend und schüttete dadurch das<br />
Einschlagloch des Blindgängers wieder<br />
zu. So kann es sein, dass selbst<br />
bei der Auswertung der besten Luftbilder<br />
einzelne Blindgänger nicht erkannt<br />
werden können.<br />
Es gibt weitere Probleme: Immer<br />
mehr Blindgänger rosten durch und<br />
der giftige Sprengstoff gelangt in den<br />
Boden und ins Grundwasser.Außerdem<br />
sind die chemischen Langzeitzünder<br />
hochgefährlich. Sie lösten<br />
die Bombe nicht beim Aufschlag aus,<br />
sondernerst später,wenn eine Säure<br />
eine dünne Papiermembran im Zünder<br />
durchgeätzt hatte. Bei einem<br />
Blindgängern weiß niemand, ob das<br />
noch passiert–und wann.<br />
Zwangsehe<br />
statt<br />
Sommerferien<br />
Terre des Femmes warnt<br />
vor gefährlichen Reisen<br />
VonUlrikevon Leszczynski<br />
Bloß nicht ins Flugzeug steigen!<br />
Wasnach einem klimafreundlichen<br />
Ratschlag für die Sommerferien<br />
klingt, kann für Schülerinnen<br />
mit ausländischen Wurzeln eine<br />
ganz andere Bedeutung haben.<br />
Manchen jungen Mädchen drohe im<br />
Heimatland ihrer Elterndie Zwangsverheiratung,<br />
sagt Petra Koch-Knöbel,<br />
Frauenbeauftragte im <strong>Berliner</strong><br />
BezirkFriedrichshain-Kreuzberg. Jedes<br />
Jahr blieben nach den Ferien einige<br />
Plätze inden Klassenzimmern<br />
leer.<br />
Auch bei der Frauenrechtsorganisation<br />
Terredes Femmes kennt Referentin<br />
Myria Böhmecke das Risiko<br />
Sommerferien. Oft steigen kurz vorher<br />
die Anfragen verängstigter Mädchen<br />
in Hilfs- und Beratungsstellen.<br />
„Zwangsverheiratungen in Berlin<br />
sind keine Einzelfälle“, betont<br />
Böhmecke. Sie drohten Mädchen<br />
und jungen Frauen auch bundesweit<br />
noch in der zweiten und dritten Migranten-Generation.<br />
Es sei nicht allein<br />
ein islamisches Phänomen, sondern<br />
liege vor allem an streng patriarchalischen<br />
Strukturen in Familien.<br />
„Die meisten Mädchen haben<br />
eine Ahnung, um was es geht. Aber<br />
viele glauben, dass sie vor Ort noch<br />
Nein sagen können oder dass es nur<br />
um eine Verlobung geht“, berichtet<br />
Böhmecke. „Das stimmt aber oft<br />
nicht. Sobald sie dort sind, werden<br />
ihnen der Pass, das Rückflugticket<br />
und das Handy abgenommen. Sie<br />
werden entweder eingesperrt oder<br />
stehen unter massiver Kontrolle.“<br />
Verlässliche Zahlen für das Ausmaß<br />
von Zwangsehen gibt es nicht,<br />
nur Annäherungen. Im November<br />
2018 veröffentlichte der <strong>Berliner</strong> Arbeitskreis<br />
gegen Zwangsverheiratung<br />
die jüngsten Zahlen aus einer Umfrage<br />
bei rund 1000 Hilfseinrichtungen<br />
und Schulen in der Hauptstadt.<br />
Danach gab es 2017 in 570 Fällen Beratungen<br />
zum Thema Zwangsehe.<br />
Die meisten Betroffenen waren<br />
Mädchen zwischen 16 und 21 Jahren<br />
mit arabischen und türkischen Wurzeln.<br />
Familien stammten aber auch<br />
aus kurdischen Gebieten, vom Balkan,<br />
aus Bulgarien und Rumänien.<br />
Es gab jüdische, jesidische und<br />
christliche Elternhäuser. 117 Mal<br />
wurde eine Zwangsheirat nach der<br />
<strong>Berliner</strong> Umfrage vollzogen, 92 Mal<br />
war sie konkret geplant, 113 Mal<br />
wurde sie befürchtet. „Wir gehen davon<br />
aus, dass die Dunkelziffer viel<br />
höher ist“, sagt Koch-Knöbel.<br />
Bundesweite Umfrage-Zahlen<br />
sind mehr als zehn Jahre alt. 2008<br />
wurden für eine Studie des Bundesfamilienministeriums<br />
fast 3500 Beratungen<br />
erfasst. Davon fanden<br />
1771 vor einer Zwangsehe statt, 937<br />
danach und 235 sowohl vorher als<br />
nachher.Auch diese Annäherung gilt<br />
nicht als repräsentativ. Terre des<br />
Femmes hält eine neue Studie für<br />
dringend nötig und schätzt, dass die<br />
Zahlen heute höher liegen.<br />
Auch mitdeutscher Staatsangehörigkeit<br />
sei es nach einer Zwangsehe<br />
schwer, zurückzukehren, berichtet<br />
Referentin Böhmecke. „Daher raten<br />
wir dringend davon ab, inein Flugzeug<br />
zu steigen. Auch, wenn es nur<br />
um einen Verdacht geht, dass eine<br />
Zwangsheirat geplant ist.“ Denn<br />
ohne Geld kämen die Mädchen im<br />
Ausland nicht zur deutschen Botschaft.<br />
Unddie Polizei dortbringe sie<br />
meist sofortwieder zu ihren Familien<br />
zurück.<br />
Nein zu sagen sei aber oft gar<br />
nicht so einfach, betont Böhmecke.<br />
„Mädchen werden manchmal unter<br />
falschen Versprechungen in das Herkunftsland<br />
ihrer Eltern gelockt. Ihnen<br />
wird zum Beispiel gesagt, dass<br />
sie nur in die Ferien fahren.“ Oder<br />
aber es werde sozialer Druck ausgeübt:<br />
Der Großvater sei sehr krank<br />
und man wolle ihn zum letzten Mal<br />
besuchen. (dpa)