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14 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 137 · M ontag, 17. Juni 2019<br />
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Berlin<br />
Der bedrohte Raum<br />
An der Mörickestraße verlieren 35 Künstler ihre Ateliers –erstmal, vielleicht für immer.Ein Besuch in den Treptow Ateliers bei der gefährdeten freien Kunstszene<br />
VonJulia Haak<br />
Die Gänge sind lang, die<br />
Räume groß. Es gibt viel<br />
Platz überall für Filmemacher,<br />
Maler, Schneider,<br />
Designer, Bühnenbildner. Bei<br />
Lorcan O’Byrne, 58Jahre alt, steht<br />
das Atelier voll mit Farbtöpfen, Pinseln<br />
und Leinwänden. Ein paar<br />
Räume weiter, bei Sebastian Körbs,<br />
35, sieht es ganz anders aus. Erhat<br />
das mehrere Meter lange Bild, an<br />
dem er gerade arbeitet, mitten in seinem<br />
Atelier auf Böcken platziert. Bei<br />
Michele Caliari, 49, hängt ein großformatiges<br />
Foto von einem Berg im<br />
Trentino, Italien, an der Wand, der<br />
eine unglaubliche dreidimensionale<br />
Präsenz vermittelt. Es ist, als ob der<br />
Berg aus dem Foto herausragt. Dieses<br />
Foto ist wie ein Skulptur.<br />
„Die Ateliers hier sind ein Traum“,<br />
sagt Sebastian Körbs. Nicht nur das<br />
Räumliche, auch das Gemeinsame<br />
ist bei den TreptowAteliers ist außergewöhnlich.<br />
Man besucht sich gegenseitig,<br />
spricht über die Arbeiten,<br />
verbringt Zeit miteinander. Etwa 35<br />
Künstler arbeiten an der Mörickestraße<br />
in Treptow unter dem Dach<br />
eines ehemaligen Industrie- und<br />
später Schulgebäudes.Gerade gründen<br />
sie einen gemeinsamen Verein.<br />
Sie wollen mehr sein als nur Ateliernachbarn.<br />
Gemeinsam sind sie<br />
nämlich auch in einer existenzgefährdenden<br />
Lage,und dann kann gemeinsames<br />
Auftreten als Verein nur<br />
gut sein.<br />
Denn der Traum, vondem Sebastian<br />
Körbs spricht, ist bedroht. Die<br />
Künstler fürchten, dass sie Ende September<br />
ausziehen müssen, weil der<br />
Eigentümer dann eineinhalb Jahre<br />
lang das jetzt zweigeschossige Gebäude<br />
um weitere drei Stockwerke<br />
aufstocken und den Altbestand sanieren<br />
will. Die Kündigungen für<br />
ihre Atelierräume sind ausgesprochen.<br />
Am 30. September sollen die<br />
Künstler ausziehen.<br />
350 Ateliers weniger jedes Jahr<br />
Viel Platz für Kunst: Michele Caliari, Sebastian Körbs und Lorcan O’Byrne im Atelier an der Mörickestraße.<br />
Überall in Berlin gibt es solche oder<br />
ähnliche Probleme. Künstler verlierenihreAteliers,weil<br />
Mieten steigen,<br />
alte Gebäude zugunsten teurer Neubauten<br />
abgerissen werden, mit denen<br />
sich dann höhere Renditen erzielen<br />
lassen. Jedes Jahr gehen in<br />
Berlin 350 Ateliers verloren. Der Senat<br />
versucht gegenzusteuern, noch<br />
in dieser Legislaturperiode sollen<br />
aus 1000 vom Land geförderten<br />
Künstlerateliers 2000 werden. Die<br />
ganze Atelierbeschaffung wurde<br />
professionalisiert und die <strong>Berliner</strong><br />
Immobilienmanagement Gesellschaft<br />
(BIM) eingebunden. Trotzdem<br />
passiert anvielen Orten in der<br />
Stadt ähnliches wie jetzt an der Mörickestraße.Und<br />
wie Wohnungsmieter<br />
finden auch Künstler nur schwer<br />
noch bezahlbareRäume in der Stadt.<br />
Wohnungen, Kitaplätze, Ateliers –<br />
von allem gibt es zu wenig. Einer<br />
frisst den anderen.<br />
An der Mörickestraße hatte der<br />
heutige Eigentümer das Haus Ende<br />
2012 als Atelierhaus ausgeschrieben,<br />
kuratiert. Damals sind die meisten<br />
der Künstler,die heute dortarbeiten,<br />
eingezogen. „Uns wurde gesagt, dies<br />
soll ein dauerhaftes Atelierhaus werden.<br />
Der Besitzer hat eine Party für<br />
uns gemacht. Er wollte einen Ausstellungsraum<br />
herrichten, was dann<br />
aber nicht passiert ist“, sagt Sebastian<br />
Körbs.<br />
DieKünstler zahlten vier Euro pro<br />
Quadratmeter, mittlerweile sind es<br />
bei manchen sechs Euro. „Es hieß<br />
immer, irgendwann muss was gemacht<br />
werden am Haus“, sagt Körbs,<br />
bei laufendem Betrieb allerdings,<br />
erst die eine Seite des Hauses, dann<br />
die andere. So stellten sich das jedenfalls<br />
die Künstler vor. „Es wurde<br />
gesagt, wir würden hier bleiben,<br />
„Ich wäre nicht hierhergekommen,<br />
wenn ich gewusst hätte, dass es nur<br />
für ein paar Jahre ist.“<br />
Lorcan O’Byrne<br />
kommt aus Irland und arbeitet als Maler in Berlin seit 1985<br />
auch während einer Sanierung“, sagt<br />
Sebastian Körbs.<br />
Dann allerdings kam die Kündigung.<br />
Für die Betroffenen vollkommen<br />
überraschend. Es sind Gewerbemietverträge.<br />
Die Künstler sollen<br />
Ende September das Haus verlassen.<br />
Kommuniziert wurde erst, das Haus<br />
werdeabgerissen, um neu zu bauen:<br />
Wohnungen, eine Kita und mehrere<br />
Künstlerateliers. Die jetzigen Nutzer<br />
der Räume reagierten schockiert.<br />
„Ich wäre nicht hierhergekommen,<br />
wenn ich gewusst hätte, dass es nur<br />
für ein paar Jahre ist. Ich hatte mich<br />
beim Berufsverband Bildender<br />
Künstler für einen Raum beworben,<br />
dann habe ich von diesem Ort gehört.<br />
Er ist perfekt für mich“, sagt<br />
Lorcan O’Byrne.<br />
SABINE GUDATH<br />
Seit fast einem Jahr geht es nun<br />
hin und her.Der Eigentümer,ein Architekt<br />
aus München, sagt, die<br />
Künstler sollen ja Teil des neuen<br />
Konzepts sein. „Durch eine Aufstockung<br />
des historischen Bestandes<br />
soll das derzeit als Atelierhaus genutzte<br />
Gebäude in Zukunft eine Kita<br />
für 70 Kinder, 24Familienwohnungen<br />
zur Miete und 25 nachhaltige<br />
Ateliers umfassen“, teilt ein mit der<br />
Projektkommunikation Beauftragter<br />
mit. Es gibt eine Internetseite, auf<br />
der das Projekt als „Beitrag gegen die<br />
gängige Gentrifizierung“ vorgestellt<br />
wird. Derschlechte Bauzustand und<br />
das Entwicklungspotenzial mache<br />
Sanierung und Aufstockung nötig:<br />
4500 Quadratmeter Mietfläche auf<br />
fünf Geschossen sollen entstehen.<br />
Im alten Gebäudeteil sollen Kita und<br />
Künstler einziehen. Die drei neuen<br />
Geschosse sollen aus Holz sein, die<br />
Wohnungen großzügig, mit 100<br />
Quadratmetern Wohnfläche, Wohnküchen,<br />
Maissonette wie bei Le Corbusier.<br />
Gemeinschaftsbereiche sollen<br />
entstehen und Terrassen, ein<br />
Ausstellungsraum, Photovoltaik.<br />
Das klingt alles sehr schön. Den<br />
Betroffenen ist das allerdings viel zu<br />
unkonkret. Sie haben nichts in der<br />
Hand. Ihre bisherigen Verträge laufen<br />
am 30. September aus.„Hier geht es<br />
um unsere Existenz. Wir können uns<br />
nicht auf eine Liste schreiben, in der<br />
Hoffnung, dass wir dann nach der Sanierung<br />
zurückkehren dürfen. Vielleicht<br />
wird die Miete verdoppelt,<br />
dann können wir uns das nicht leisten.<br />
Wir brauchen konkrete Verträge<br />
und auch eine Lösung für die Zeit von<br />
Sanierung und Neubau. Ich kann<br />
mich mit meinen Bildernjanicht jahrelang<br />
in meine Wohnung setzen und<br />
da malen“, sagt O’Byrne. Die Treptower<br />
Künstler wollen mindestens<br />
1200 Quadratmeter Fläche zu einem<br />
Preis,den sie sich leisten können, das<br />
wären, so haben sie sich gemeinsam<br />
festgelegt, höchstens zehn Euro pro<br />
QuadratmeterWarmmiete.<br />
Das, was der Eigentümer auf seiner<br />
Internetseite beschreibt, und die<br />
Wahrnehmung der Künstler sind<br />
zwei verschiedene Welten. „Ich sehe<br />
nicht, dass wir bleiben können. Dass<br />
was der Eigentümer sagt und was er<br />
tut, sind zwei verschiedene Schuhe“,<br />
sagt Sebastian Körbs.<br />
Problem für den kreativen Output<br />
DieKünstler haben sich mittlerweile<br />
Hilfe geholt, beim Bezirksbaustadtrat,<br />
beim Regierenden Bürgermeister,<br />
beim Atelierbeauftragten. Vielleicht,<br />
so heißt es jetzt, können sie<br />
umziehen in ein Haus der BIM. Es<br />
gibt bereits Gespräche über Finanzierung<br />
und Konditionen, aber das<br />
Ganze ist noch vage. Und selbst,<br />
wenn es klappt, ist es keine Lösung<br />
zu diesem Zeitpunkt: Ende September.<br />
Die Treptow Ateliers bräuchten<br />
wenigstens eine Verlängerung ihrer<br />
Verträge für den Übergang.<br />
Fragt man in der Senatskulturverwaltung<br />
nach Möglichkeiten, vermittelnd<br />
in die Kommunikation zwischen<br />
Künstlern und Eigentümer<br />
einzugreifen, offenbartsich eine Hilflosigkeit,<br />
die nicht auf diesen einen<br />
konkreten Fall begrenzt ist. „Es sind<br />
privatrechtliche Verträge, unsere<br />
Möglichkeiten sind extrem begrenzt“,<br />
sagt Sprecher Daniel Bartsch.<br />
Immerhin, der Atelierbeauftragte<br />
kümmeresich, versuche eine Lösung<br />
zu finden. Darüber hinaus findet aber<br />
auch Bartsch, Berlin habe,was die Situation<br />
der freien Kunstszene betrifft,<br />
ein manifestes Problem. Damit sei es<br />
aber auch ein Problem des kreativen<br />
Outputs dieser Stadt. „Wir verstehen<br />
die Sorgen“, sagt Bartsch. Nicht nur in<br />
Treptow.<br />
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