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12 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 153 · F reitag, 5. Juli 2019<br />
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Berlin<br />
Günter Mekas blickt am<br />
liebsten in den Himmel.<br />
Besonders das Sternbild<br />
Orion hat es ihm angetan.<br />
ImWinter gelingt es ihm manchmal,<br />
den Orionnebel mit bloßem<br />
Auge zu erkennen. Solche Momente<br />
machen den 65-jährigen Hobbyastronomen<br />
glücklich. Er beobachtet<br />
ferne Galaxien durch das riesige<br />
Spiegelteleskop der Bruno-H.-Bürgel-Sternwarte,<br />
deren Vereinschef<br />
Günter Mekas ist. Der neue künstliche<br />
Hahneberg mit der Kuppel ist<br />
sein liebster Ortinder Stadt. DerHügel<br />
ist 87 Meter hoch und gehörtzum<br />
Naherholungsgebiet im westlichen<br />
Berlin, gleich an der GrenzezuBrandenburg.<br />
Doch die eigentliche Arbeit der<br />
Sternengucker findet an einem anderen<br />
Ortstatt, der einst so gar nichts<br />
mit seiner heutigen Funktion zu tun<br />
hatte. Nur wenige Hundert Meter<br />
von der kleinen Sternwarte entfernt<br />
befindet sich an der Heerstraße 531<br />
das Quartier desVereins.Dass es hier<br />
um Astronomie geht, sieht man sofort:<br />
Graffiti zeigen Jupiter, Saturn<br />
und angedeutete Sternbilder. Die<br />
Fensterscheiben sind mit schwarzem<br />
Lack bemalt, damit es bei Vorträgen<br />
dunkel ist.<br />
Es handelt sich um das alte Zollgebäude<br />
an der Grenzkontrollstelle<br />
Heerstraße, eine ehemalige Grenze<br />
für den Transitverkehr auf West-<strong>Berliner</strong><br />
Territorium. Während es dort<br />
verglichen mit anderen Grenzkontrollpunkten<br />
nachts verhältnismäßig<br />
ruhig zuging, passierten tagsüber<br />
häufig Müllfahrzeuge.„Diemachten<br />
sicherlich 20 bis 30 Prozent aus“,<br />
schätzt Karl-Heinz Bannasch, Vorsitzender<br />
der Heimatkundlichen Vereinigung<br />
Spandau. „Viele West-<strong>Berliner</strong><br />
wissen gar nicht, dass ihr Abfall<br />
mitten in der DDR landete, nämlich<br />
auf der Deponie in Ketzin.“<br />
Leidenschaft für Astronomie<br />
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Unterm Blech reichlich Power:<br />
Der Hyundai i30 Fastback N<br />
Wo früher die Lkw kontrolliert wurden<br />
sind heute Parkbuchten. Etwas<br />
weiter,ander Heerstraße/Ecke Bergstraße,<br />
haben Bannasch und seine<br />
Mitstreiter einen kleinen Gedenkort<br />
für die Mauer-Toten errichtet.<br />
Für Günter Mekas spielte der<br />
Kontrollpunkt vor der Wende kaum<br />
eine Rolle. Erst am Abend des Mauerfalls<br />
am 9. November 1989 wurde<br />
das alte Zoll-Gebäude für ihn interessant.<br />
Kurz nachdem die innerstädtischen<br />
<strong>Berliner</strong> Grenzübergänge geöffnet<br />
worden waren, gab man in der<br />
selben Nacht auch die DDR-Grenzübergangsstelle<br />
Heerstraße frei. Im<br />
Rahmen der Wiedervereinigung<br />
wurden wenig später die getrennten<br />
Ortsteile wieder im <strong>Berliner</strong> Bezirk<br />
Spandau zusammengeführt, West-<br />
Staaken zählte zum Beitrittsgebiet.<br />
In der Nacht selbst feierte Mekas in<br />
der Nähe vom Reichstagsgebäude.<br />
Er stand wie viele andere Menschen<br />
auf der Mauer und jubelte über die<br />
neue Freiheit. Mit einem mitgebrachten<br />
Hammer habe er sich ein<br />
Stück Mauer abgeschlagen und es<br />
als Erinnerungsstück mit nach<br />
Hause genommen, erzählt er.<br />
Als er vondem freiwerdenden Gebäude<br />
des Zolls hörte, sah Günter<br />
Mekas für seinen Verein eine<br />
Chance. Bereits seit 1982 trafen sich<br />
die Mitglieder des Sternwarte-Vereins<br />
provisorisch in einem evangeli-<br />
Dem Himmel<br />
ein Stück näher<br />
Günter Mekas ist Chef der Bruno-H.-Bürgel-Sternwarte.<br />
Der gemeinnützige Verein residiertheute in dem ehemaligen<br />
Zollgebäude an der Grenzkontrollstelle Heerstraße<br />
Günter Mekas in der Sternwarte seines Vereins auf dem Hahneberg.<br />
Job, Familie, Alltag: 30 Jahre nach<br />
dem Fall der Mauer prägt die einstigeTeilung<br />
der Stadt noch das Leben vieler <strong>Berliner</strong>.<br />
Wirstellen bis zum bis 9. November Menschen<br />
und ihre Geschichte vor. Heute:<br />
Günter Mekas, Jahrgang 1954,<br />
aufgewachsen in Wilmersdorf.<br />
VonKristin Hermann<br />
DIE SERIE<br />
BLZ/MARKUS WÄCHTER<br />
Im Internet: Die bisher erschienenen Teile<br />
unserer Serie zum Mauerfall finden Sie<br />
im Internet unter folgender Adresse:<br />
www.berliner-zeitung.de/mauerfall oder auf<br />
der neuen App der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> (kostenlos<br />
zu finden im Apple Store oder Google<br />
Play).<br />
schen Gemeindezentrum,<br />
suchten<br />
aber nach passenden<br />
Räumlichkeiten<br />
in der Nähe der<br />
Beobachtungskuppel auf dem Hahneberg.<br />
„Ich habe damals den Chef<br />
vom Zoll angerufen“, erzählt Mekas.<br />
„In der Satzung stand nämlich, sobald<br />
Grenzkontrollpunkte wegfallen,<br />
sind sie ausschließlich für gemeinnützige<br />
Zwecke zu verwenden.<br />
Deshalbdurften wir einziehen.“<br />
Vondem ehemaligen Grenzkontrollpunkt<br />
ist nicht viel übrig geblieben.<br />
„Als einziges Überbleibsel aus<br />
der Vorwendezeit gibt es noch an der<br />
Wand unter dem Fensterbrett Kabelschächte<br />
mit der umfangreichen<br />
Verkabelung des überdachten Kontrollpunktes“,<br />
sagt er. Indem ehemaligen<br />
Raum mit dem einstigen<br />
Abfertigungsschalter befindet sich<br />
heute der Vortragsraum des Vereins.<br />
Es entstanden eine Bibliothek, eine<br />
astronomische Galerie, eine kleine<br />
Ausstellung im Foyerund eine Werkstatt<br />
zum Bau von Teleskopen. „Vorher<br />
musste aber erst mal der 50 000-<br />
Liter Heizöltank raus“, sagt Mekas.<br />
Seit der Gründung des Vereins ist<br />
Mekas dessen Vorsitzender. Für die<br />
Astronomie begeisterte er sich aber<br />
schon viel länger.ImAlter vonsechs<br />
Jahren habe er in seinem Elternhaus<br />
in Wilmersdorf sein erstes Fernrohr<br />
gebaut: aus einem Brillenglas,einem<br />
Plastikrohr, einer Fahrradluftpumpe<br />
und einem Mikroskopokular.„Damit<br />
habe ich die bunten Lichter auf der<br />
anderen Straßenseite angeguckt“,<br />
sagt er.Über das Interesse an der Astronomie<br />
sei er auch zu seinem Studienfach<br />
Vermessung gekommen.<br />
In der Wendezeit arbeitete Mekas<br />
als Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes<br />
Spandau. Er betreute unter<br />
anderem die Planung für die Staakener<br />
Felder,auf denen 2500Wohnungen<br />
entstanden. „Nach der Wende<br />
wollten jede Menge Menschen nach<br />
Berlin, da wurden viele Wohnungen<br />
gebraucht“, sagt er.<br />
Freude am Dunkel<br />
Mekas selbst zogzuseiner damaligen<br />
Lebensgefährtin nach West-Staaken,<br />
das 1951 bis 1990 DDR-Gebiet war<br />
und jetzt wieder zu Spandau gehört.<br />
Mekas berichtet von Startschwierigkeiten:<br />
Grundstückseigentümer bekamen<br />
mit dem Einigungsvertrag ihr<br />
Alteigentum wieder und versuchten<br />
mit allen Mitteln, die damaligen Bewohner<br />
zu vertreiben. Er habe versucht<br />
zu schlichten, sagt Mekas.<br />
Inzwischen ist Mekas Rentner<br />
und kümmert sich beinahe täglich<br />
um den Verein, werkelt an Okularen<br />
und Teleskopen oder bereitet Vorträge<br />
vor. 60 Mitglieder hat derVerein<br />
heute. Nach der Wende kamen auch<br />
einige Ostdeutsche hinzu.<br />
Die Stadt sei heller geworden seit<br />
der Wende, sagt Mekas – was die<br />
Sternengucker aus astrologischer<br />
Sicht nicht freut, weil sie dadurch<br />
weniger am Himmel erkennen können.<br />
Aber durch den Mauerfall haben<br />
sich für die Hobbyastronomen<br />
neue Möglichkeiten eröffnet. „Wir<br />
sind gleich ins Umland ausgeschwärmt.<br />
Es war toll, mal hinter den<br />
Horizont zu sehen, jenseits der<br />
Stelle, wofrüher für uns die Welt zu<br />
Ende war.“ Immer wieder macht er<br />
„Astrourlaub“ im SternenparkWesthavelland<br />
oder im brandenburgischen<br />
Perleberg. „Das gehört zuden<br />
dunkelsten Stellen in Nordeuropa.<br />
So dunkel ist es erst wieder südlich<br />
des Alpen-Hauptkammes in Kärnten<br />
oder in Polen“, schwärmt Mekas.<br />
Kristin Hermann<br />
wandelt auf den Spuren der<br />
Sternengucker.<br />
VonKristin Hermann<br />
Wie sollte es anders sein: Das Fundstück,<br />
das Amateurastronom Günter<br />
Mekas zu dem Gespräch mitbringt, hat etwas<br />
mit seinem Hobby zutun. Es ist ein<br />
Okularrevolver, und der Vorsitzende der<br />
Bruno-H.-Bürgel-Sternwarte hat einiges<br />
auf sich genommen, um an dieses spezielle<br />
Modell zu kommen. Mekas schätzt, dass es<br />
Mitte der 1980er-Jahre gewesen sein muss.<br />
Immer mal wieder besuchte er zu dieser<br />
Zeit seine Verwandten in Ost-Berlin. Doch<br />
neben seiner Familie besuchter er noch einen<br />
Ort: den Industrieladen von Carl Zeiss<br />
Jena am Alexanderplatz. Dort gab es einen<br />
Amateur-Okularrevolver, der den Wechsel<br />
Schmuggel für Jupiter und Saturn<br />
von Vergrößerungen binnen Sekunden ermöglicht.<br />
Außerdem verfügt er über ein<br />
Prisma, das den Betrachter den Mond so<br />
sehen lässt, wie er wirklich ist –nur eben<br />
größer. Doch es gab ein Problem: „Die Beschäftigten<br />
im Laden waren angewiesen,<br />
diese Warennur gegen Vorlage des Ausweises<br />
zu verkaufen“, sagt Mekas.„AlsWestler<br />
musste man dann nachweisen, dass man<br />
die DDR-Mark 1:1 umgetauscht hat. Das<br />
wärefür mich natürlich viel zu teuer gewesen.<br />
Die Ausfuhr von Zeiss-Produkten war<br />
außerdem verboten.“<br />
Mekas wagte deshalb eine riskante Aktion.<br />
Einhalbes Jahr vorher bestellte er das<br />
gewünschte Objekt mit dem Ausweis eines<br />
Verwandten und bezahlte es Monate später<br />
Das besondere Ding<br />
Schmuggelware: „Multiokular“ für Teleskope,<br />
auch Okularrevolver genannt. BLZ/MARKUS WÄCHTER<br />
mit DDR-Mark. In seinem Mitsubishi Colt<br />
habe es links und rechts am Kofferraum ein<br />
Geheimfach gegeben, fast einen Meter tief,<br />
erzählt er. Der perfekte Ort zum Schmuggeln.<br />
Mekas war sich sicher: Die Grenzbeamten<br />
würden diesesVersteck nicht finden.<br />
Beiden Fahrten zuvor wurde Mekas immer<br />
mal wieder kontrolliert. Wie viele seiner<br />
Altersgenossen trug er zu dieser Zeit<br />
lange Haare, Schlaghosen und hohe Absätze.<br />
„Das kam nicht gut an, und die Beamten<br />
versuchten manchmal, mich zu provozieren“,<br />
sagt er.Gelegentlich sei vonden<br />
Grenzern die Rückbank angehoben worden,<br />
doch nicht bei der Schmuggelfahrtmit<br />
seinem Okularrevolver.GünterMekas hatte<br />
Glück. Noch heute kann er sich an jenen<br />
Moment erinnern, als er das Gerät zum ersten<br />
Mal benutzte. „Ich besaß damals ein<br />
amerikanisches Spiegelteleskop,das bei einem<br />
Kollegen in Spandau stand. Ich beobachtete<br />
Jupiter und Saturn und es war<br />
fantastisch. Der Okularwechsel war viel<br />
praktischer.“<br />
Mehr als30Jahre lang hatte Mekas seine<br />
Schmuggelware benutzt und aufbewahrt.<br />
Inzwischen hat der Sternenfreak so viele<br />
Objekte zusammengesammelt, dass er<br />
kaum noch Platz hat. Er sagt,die Zeit sei gekommen,<br />
sich von dem Okularrevolver zu<br />
trennen. Erst vor wenigen Tagen hat er ihn<br />
frisch aufpoliert. Er will er ihn im Internet<br />
zum Kauf anbieten. Damit, sagt er,ende für<br />
ihn auch eine Ära.