Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 153 · F reitag, 5. Juli 2019 23 *<br />
·························································································································································································································································································<br />
Feuilleton<br />
Noch<br />
achthundert<br />
Mal<br />
Anne Cathrine Bomanns<br />
kleiner Roman „Agathe“<br />
VonJudith von Sternburg<br />
Wer Therapiesituationen misstraut,<br />
in denen man selbst auf<br />
einem Sofa liegt, wird die Skepsis<br />
durch diesen schmalen, aber nicht<br />
kargen Roman kaum verlieren. Jedoch<br />
ist der Gesamtverlauf positiv<br />
und es gelingt der dänischen Autorin<br />
Anne Cathrine Bomann, uns unter<br />
der Hand fast eine friedfertige Liebesgeschichte<br />
zu erzählen. Das war<br />
nicht zu erwarten, während der psychoanalytisch<br />
arbeitende Psychiater<br />
die Sitzungen bis zu seinem Ruhestand<br />
herunterzählt. Noch achthundert<br />
Mal, sechshundertachtundachtzig<br />
Mal, vierhundertachtundvierzig<br />
Mal „musste ich mit diesen<br />
Menschen sprechen, die ich inzwischen<br />
nicht einmal mehr versuchte<br />
zu verstehen“.<br />
Der Psychiater hat sich eine Methode<br />
angeeignet, Laute von sich zu<br />
geben, die so klingen, als würde er<br />
zuhören. Dazu malt er Vögelchen in<br />
seinen Notizblock. Einstarkes Stück,<br />
aber darüber denkt er nicht mehr<br />
nach. Er ist knapp über siebzig, das<br />
Alter packt ihn mit Schärfe, und Bomann,<br />
Jahrgang 1983, findet harte,<br />
aber ausgesuchte Worte dafür.<br />
„Wieso ... sagt einem keiner,was mit<br />
dem Körper geschieht, wenn man alt<br />
wird?“, denkt sich der Mann. In einer<br />
winzigen Sequenz, einer Notiz bloß,<br />
erfährt man, wie motiviert erJahrzehnte<br />
zuvor zu Werkegegangen ist.<br />
AufLücke erzählt<br />
Bomanns lapidares Erzählen geht<br />
auf, ein Auf-Lücke-Erzählen, eine<br />
unaufdringliche Antupftechnik: Sie<br />
erfasst die Sekretärin, die ewig schon<br />
für den Psychiater tätig ist, sie erfasst<br />
den sterbenden Mann der Sekretärin,<br />
den tauben Nachbarndes Psychiaters,<br />
die unerträglich quengeligen<br />
Patientinnen, das eingefahrene Leben<br />
in einer netten Pariser Vorstadt,<br />
die Zeit des Geschehens.<br />
„Agathe“ spielt kurz nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg, im Grunde<br />
merkt man das nur an einigen datierten<br />
Briefen, und dann erst<br />
daran, dass die Figuren so unheutig<br />
wirken, die Beziehungen so förmlich.<br />
Der Erzähler selbst scheint in<br />
seiner eigenen Zeit kaum beheimatet.<br />
„Ich hatte das letzte Mal mit einem<br />
Kind gesprochen, als ich<br />
selbst eines gewesen war, und das<br />
zählte wohl kaum.“<br />
Die Irritation hat ihren Reiz und<br />
mehrere Ebenen. Gerade wundert<br />
sich die Leserin noch still für sich, da<br />
stupsen schon Psychiater und Sekretärin<br />
versehentlich aneinander, obwohl<br />
sie seit Jahrzehnten jeden Weg<br />
in der kleinen Praxis eingeübt haben.<br />
Dieser leichte, genaue und seinerseits<br />
völlig aus der Zeit gefallene<br />
Roman gehört zum Eröffnungsprogramm<br />
eines neuen Verlagsteils von<br />
Hanser.Erheißt Hanserblau, hat seinen<br />
Sitz in Berlin und gibt einerseits<br />
Rätsel auf. Wenn man sich in Ruhe<br />
erklären lässt, worum es hier geht,<br />
weiß man es hinterher nämlich<br />
gleich wieder nicht mehr.<br />
Andererseits zeigt sich das wachsende<br />
Bestreben der Verlage, den<br />
übergroßen Berg der Neuerscheinungen<br />
für Publikum und Handel<br />
ermutigend zu sortieren und zu portionieren,<br />
Titel durch Fünf- oder<br />
Sechs-Bücher-Programme auf ein<br />
wenigstens kleines Podest zu stellen<br />
– wobei Hanserblau rätselhafter<br />
wirkt als etwa „Ullstein fünf“, das<br />
stärker auf eine Gegenwartsliteratur<br />
blicken will. Dann wieder:<br />
Wollen wir das nicht<br />
alle? Aber schon hat<br />
man etwas davon<br />
und liest „Agathe“.<br />
Anne Cathrine Bomann:<br />
Agathe Roman.A.d.Dän.<br />
v. FranziskaHüther.Hanser<br />
(Hanserblau), Berlin 2019.<br />
157 S.,16Euro.<br />
„Lara“: Lara (Corinna Harfouch) und ihr Sohn Viktor (Tom Schilling) in dem lang erwarteten neuen Film von Jan-Ole Gerster („Oh Boy“)<br />
Irgendwas bewegt sich irgendwie<br />
VonAlexandraSeitz<br />
ImFilm vergeht die Zeit. Mitder<br />
Zeit vergeht das Leben. Und<br />
dann dämmertmit einem Male<br />
die Erkenntnis, dass so viel<br />
noch ungetan ist, oder anders hätte<br />
getan werden sollen, oder besser unterlassen<br />
geblieben wäre. Da entsteht<br />
ein Handlungsbedarf, dessen<br />
im Leben nicht immer fotogene Folgen<br />
sich im Film so schön verdichten<br />
und präsentieren lassen. Während<br />
also draußen am Isarstrand die Partyzone<br />
der Stadt München weiter eskaliert,<br />
spielt sich drinnen in den Kinos<br />
einmal mehr das wahre Leben<br />
ab, mit all seinen Widrigkeiten und<br />
Hindernissen und Problemzonen.<br />
Ganze 18Produktionen feierten<br />
in der Reihe Neues Deutsches Kino<br />
im Rahmen des Münchner Filmfestes<br />
ihre Weltpremieren und das formale<br />
Spektrum zwischen essayistisch-experimentell<br />
und konventionell-narrativ<br />
reichte vom Enfant terrible<br />
des Impro-Films über die<br />
berüchtigt-hirnverwirrende Fake-<br />
Doku bis zum wertschöpfenden<br />
Highend-Produkt; mal mit Mini-<br />
Budget quasi aus dem Boden gestampft,<br />
mal mit richtig viel Geld<br />
großgestisch in Szene gesetzt, mal<br />
auch nur der schön-schlichte Beweis<br />
dafür, dass da welche ihr Handwerk<br />
verstehen oder einfach mal was wagen.<br />
Wie Katharina Mihm in dem<br />
verträumten Filmgespinst „Mär“,<br />
das vonder Wiederkehr des Wolfs erzählt<br />
und vonall den Metaphernräumen,<br />
die das so mit sich bringt. Leider<br />
verläuft sich das Ganze dann<br />
konsequent im eigenen, solcherart<br />
entworfenen Wald.<br />
EinGefühl leiser Melancholie<br />
Oder auch Elisa Mishtos in ihrer<br />
Anti-Coming-of-Age-Geschichte<br />
„Stillstehen“, die das Movens der<br />
verkrachten Hauptfigur –dieVerweigerung<br />
gesellschaftlicher Teilnahme<br />
–auf sich selbst anwendet und Ideen<br />
zwar hat, aber nicht entwickelt. Auch<br />
nicht weiter kommt Mittzwanzigerin<br />
Ava, die zwar gerne gewisse Schritte<br />
unternehmen würde, aber nicht<br />
weiß, in welche Richtung, sind Entscheidungen<br />
in diesem Alter doch so<br />
furchteinflößend endgültig – und<br />
Sophie Kluge löst die resultierende<br />
Schockstarre in„Golden Twenties“<br />
in ein Gefühl leiser Melancholie auf.<br />
Das sich mit Ilker Çataks angenehm<br />
nüchternem Melodram „Es<br />
gilt das gesprochene Wort“ gleich<br />
wieder vertreiben lässt, nähert der<br />
18 Weltpremieren –das Neue Deutsche Kino auf dem Münchner Filmfest<br />
„Golden Twenties“: Ava(Henriette Confurius) und Jonas (Max Krause)<br />
„Mein Ende. Dein Anfang“: Nora (Saskia Rosendahl) und Aron (Julius Feldmeier) TRIMAFILM<br />
„Bruder Schwester Herz“: Franz (Sebastian Fräsdorf) und Sophie (JennySchily) KINOSTAR<br />
sich doch dem Thema Migration zur<br />
Abwechslung einmal nicht im Duktus<br />
hyperventilierender Verzweiflung,<br />
sondern konfrontiert zwei<br />
pragmatisch kalkulierende Menschen<br />
mit dem wie immer unwägbaren<br />
emotionalen Faktor. Und dann<br />
ist, auch wie immer,guter Ratteuer.<br />
Doch egal ob am Ende alles beim<br />
Alten geblieben ist, sich das ganze<br />
Leben auf dramatische Weise neu<br />
sortiert, oder zumindest irgendwas<br />
sich irgendwie bewegt hat –einen<br />
kathartische Moment, einen Impulsgeber,<br />
braucht es immer. Das kann<br />
FOX<br />
eine Schwangerschaft sein wie in Sabine<br />
Koders Beziehungsimprovisation<br />
„Zu Zweit Allein“, die vielleicht<br />
ein wenig zu nahe dran ist am alltäglich<br />
verpfuschten Leben der beiden<br />
unspektakulären Loser, von denen<br />
sie erzählt. Oder,anderes Extrem, ein<br />
Banküberfall mit Todesfolge in dem<br />
geschickt mit der narrativen Linearität<br />
experimentierenden Liebes- und<br />
Vergeltungsdrama „Mein Ende.Dein<br />
Anfang.“ vonMariko Minoguchi.<br />
Oder es ist Gründonnerstag, das<br />
geltende Tanzverbot droht das geplante<br />
Konzert zu verhindern und<br />
Kneipenwirtin Lene muss entscheiden,<br />
ob sie sich darüber hinweg setzen<br />
und bei der Gelegenheit auch<br />
gleich die Weichen in ihrem Leben<br />
neu stellen will. Luise Heyer spielt<br />
diese Lene in „Leif in Concert“, einer<br />
Ode an die Stammkneipe, mit<br />
Wärme und Energie und ihrem ganzen<br />
Talent für die Darstellung nicht<br />
leicht zu durchschauender Gemütslagen.<br />
Und esist ein Vergnügen, ihr<br />
dabei zuzusehen, wie sie den von<br />
Kristian Klandt mit Dialog und<br />
Handlung bis zum Bersten angeräumten<br />
Laden, äh, Film, zusammen<br />
hält. In dem auch Godehard<br />
Giese in der Rolle eines Weinhändlers<br />
vorbeischaut und seinen gefährlichen<br />
Charme spielen lässt. Bevorer<br />
sich ins deutsche Hinterland begibt<br />
und als Singer-Songwriter auf Volksfesttour<br />
in TomSommerlattes unbekümmert<br />
zwischen Problem-Overload<br />
und emotionalem Tohuwabohu<br />
manövrierendem Provinzwestern<br />
„Bruder Schwester Herz“ die eingefahrenen<br />
familiären Verhältnisse auf<br />
einer Rinderfarmaufmischt.<br />
Höchste Erwartungen<br />
STUDIOCANAL<br />
Insofern in München jene deutschen<br />
Filme präsentiert werden, die<br />
in den kommenden Monaten den<br />
Wegindie Kinos finden sollen, wird<br />
der alljährlichen Auswahl immer mit<br />
einer gewissen Spannung entgegengesehen;<br />
und die höchsten Erwartungen<br />
richteten sich in diesem Jahr<br />
wohl auf Jan-Ole Gersters neuen<br />
Film „Lara“. 2012 hatte Gerster mit<br />
seinem Debüt „Oh Boy“ auch gleich<br />
einen der besten deutschen Filme<br />
des Jahrzehnts in München vorgestellt,<br />
sieben lange Jahre später beweist<br />
„Lara“, dass „Oh Boy“ kein<br />
One-Hit-Wonder war.<br />
Wieder streift eine in ihrem Leben<br />
nicht ganz gefestigte Figur durch einen<br />
nicht ganz planmäßig verlaufenden<br />
Tag, der zum Ausgleich Gelegenheit<br />
genug bietet, die Verhältnisse<br />
und die Beziehungen aufzufächern.<br />
In der Titelrolle spielt Corinna<br />
Harfouch, begleitet von einem hervorragenden<br />
Ensemble, zu dem<br />
auch wieder Tom Schilling gehört,<br />
ein großes Solo. Peinliche Momente<br />
reihen sich an unangenehme Situationen,<br />
treffen ins Herz und rühren<br />
zu Tränen, bis am Ende das Porträt<br />
einer Mutter-Sohn-Bindung steht,<br />
welche zugleich die Auseinandersetzung<br />
zweier höchst anspruchsvoller<br />
Musiker mit ihrer Kunst und miteinander<br />
umfasst. Maximal komplex,<br />
minimal aufgeregt, sozusagen ideal.<br />
NACHRICHTEN<br />
Ermittlungen gegen<br />
Dieter Wedel dauernlänger<br />
DieErmittlungen gegen Dieter Wedel<br />
wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung<br />
gehen weiter und dauern<br />
länger als vonder Staatsanwaltschaft<br />
München Izunächst gedacht. Es<br />
seien noch Zeugenaussagen unter<br />
anderem im Ausland geplant, sagte<br />
Sprecherin Anne Leiding am Donnerstag.<br />
Danach habe der beschuldigte<br />
Regisseur Zeit, sich zu den Vorwürfen<br />
zu äußern. Eine ehemalige<br />
Schauspielerin wirft dem heute 76<br />
Jahrealten Wedel („Der große Bellheim“)<br />
vor, er habe sie im Sommer<br />
1996 in einem Münchner Hotel zum<br />
Sexgezwungen. Damals sei sie 27<br />
Jahrealt gewesen und habe für eine<br />
Rolle vorsprechen wollen. DieVorwürfe<br />
waren Anfang 2018 bekannt<br />
geworden. Kurz darauf war Wedel als<br />
Theater-Intendant der BadHersfelder<br />
Festspiele zurückgetreten. (dpa)<br />
Welterbe-Antrag zu<br />
Donaulimes vormScheitern<br />
Derursprünglich aussichtsreiche<br />
Antrag, den Donaulimes in Deutschland,<br />
Österreich, Slowakei und Ungarnzum<br />
Weltkulturerbe zu erklären,<br />
ist unmittelbar vorder Entscheidung<br />
vomScheiternbedroht. Ungarnwolle<br />
den gemeinsamen Antrag<br />
der vier Länder zum besondernStatus<br />
der Überreste der einstigen römischen<br />
Militärgrenzeinletzter Minute<br />
abändern, teilte die Unesco-<br />
Kommission Österreich am Donnerstag<br />
mit. Dieungarische<br />
Regierung wolle einen Teil des Limes<br />
in Budapest vomWelterbe-Status<br />
ausgenommen wissen, hieß es.(dpa)<br />
Sängerin Halle Bailey<br />
wird zur Film-Meerjungfrau<br />
DieR&B-Sängerin Halle Bailey<br />
spielt nach eigenen Angaben die<br />
Hauptrolle in der geplanten Realverfilmung<br />
vonDisneys Zeichentrick-Klassiker<br />
„Arielle,die kleine<br />
Meerjungfrau“. AufTwitter veröffentlichte<br />
sie eine Comicfigur der<br />
Meerjungfrau –mit dunkler Haut<br />
und schwarzenHaaren. Laut Regisseur<br />
RobMarshall fiel die Entscheidung<br />
für Bailey nach langer Suche.<br />
DieSängerin ist Teil des Duos Chloe<br />
xHalle,das im vergangenen Jahr für<br />
einen Grammy in der Kategorie<br />
„Bester neuer Künstler“ nominiert<br />
wurde. (AFP)<br />
Feine Sahne Fischfilet sagen<br />
KonzertinDresden ab<br />
DiePunkband Feine Sahne Fischfilet<br />
haben ihr für diesen Sonnabend bei<br />
den Filmnächten am Elbufer in Dresden<br />
geplantes Konzertabgesagt.„Unser<br />
Gitarrist Christoph hat sich gesternbei<br />
einem Fahrradunfall heftig<br />
verletzt und den linken ArminGips<br />
gelegt bekommen“, teilten die Musiker<br />
am Donnerstag mit.„Wir können<br />
es irgendwie noch gar nicht fassen“,<br />
hieß es.Nach einem Arzttermin am<br />
Freitag will die Gruppe bekannt geben,<br />
ob das Konzertzeitnah nachgeholt<br />
werden kann. DieKonzertkarten<br />
behalten ihreGültigkeit. (dpa)<br />
TOP 10<br />
Mittwoch, 3. Juli<br />
1 Fußball-WM ARD 4,42 19 %<br />
2 Tagesthemen ARD 4,22 16 %<br />
3 Tagesschau ARD 3,85 16 %<br />
4 heute-journal ZDF 3,72 14 %<br />
5 Das Traumschiff ZDF 3,59 13 %<br />
6 heute ZDF 3,27 17 %<br />
7 SOKOWismar ARD 2,70 18 %<br />
8 Fußball-WM, Studio ARD 2,70 11 %<br />
9 RTL aktuell RTL 2,57 15 %<br />
10 GZSZ RTL 2,49 11 %<br />
ZUSCHAUER IN MIO/MARKTANTEIL IN %