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Berliner Zeitung 05.07.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 153 · F reitag, 5. Juli 2019 – S eite 21 *<br />

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Feuilleton<br />

Corinna Harfouch<br />

und andere beim<br />

Filmfest München<br />

Seite 23<br />

„Solidarität ist das Mittel gegen die Angst.“<br />

Der Soziologe Heinz Bude über den Weg, dendie Sozialdemokratie jetzt einschlagen muss. Seite 22<br />

Buchwerbung<br />

Der richtige<br />

Moment<br />

Cornelia Geißler<br />

liest nicht neben der<br />

Waschmaschine.<br />

Wie berichtet, beunruhigt das<br />

schwindende Interesse der<br />

Menschen an Büchern die Verlage<br />

und Buchhändler in Deutschland.<br />

Bei Befragungen gaben zahlreiche<br />

Nicht-mehr-Leser an, dass sie ja eigentlich<br />

Bücher mögen, sie aber<br />

keine Ruhe mehr dafür fänden. Es<br />

gebe der Ablenkungen zu viele, sagten<br />

sie, vor allem die Pflichten, die<br />

Internet und soziale Medien mit sich<br />

brächten, hielten sie vomLesen ab.<br />

Eine Werbekampagne soll helfen,<br />

sie zurückzuholen. Vonseinem langjährigen<br />

Slogan „Vorsicht Buch!“ hat<br />

sich der Börsenverein des deutschen<br />

Buchhandels glücklicherweise verabschiedet.<br />

Der war zwar „augenzwinkernd“<br />

gemeint, aber Ironie<br />

klappt ja nicht immer. Inzwischen<br />

heißt es: „Jetzt ein Buch!“ DerAusruf<br />

soll anregen, die möglichen Lese-Lücken<br />

im Tagesablauf zu finden.<br />

Dazu gesellt sich nun der„#Buchmoment“.<br />

Für die modernen Zeiten<br />

steht das Hashtag –das #-Kreuzchen<br />

als Finde-Symbol für Instagram, Facebook<br />

und Twitter. Das Buch soll<br />

„als selbstverständlicher Teil des täglichen<br />

Lebens“ gezeigt werden und<br />

zwar „auf emotionale Art und<br />

Weise“. Zur Weiterverbreitung stehen<br />

denVerlagen und Buchhandlungen<br />

zwei Bilder zur Verfügung, als<br />

Anhängsel vonE-Mails oder Webseiten<br />

nutzbar: Einen Vater mit Kind<br />

beimVorlesen sowie eine Frau voreiner<br />

Reihe vonWaschmaschinen mit<br />

Buch in der Hand, neben sich einen<br />

vollen Korb mit Textilien stehend.<br />

Beide Fotos sind von Text begleitet:<br />

„Sonntagsfrühstück. Aufmittags verschoben“,<br />

heißt es neben dem einen,<br />

„Kurzwäsche. Drei Mal in Folge“<br />

beim anderen.<br />

Sich mit dem Kind in Geschichten<br />

zu verlieren und die Zeit zu vergegessen,<br />

sieht verlockend aus.Aber<br />

sich vor rumpelnden Waschmaschinen<br />

einen Roman reinzuziehen,<br />

wirkt äußerst unattraktiv. Da wird<br />

das Lesen zur Aschenputtelbeschäftigung,<br />

von der Hausfrau heimlich<br />

dazwischengeschoben. Nein danke,<br />

ich lese lieber auf dem Sofa.<br />

VonFrank Junghänel<br />

Man ist ja mittlerweile<br />

daran gewöhnt, dass<br />

Rockkonzerte der gehobenen<br />

Preisklasse<br />

pünktlich auf die Minute anfangen.<br />

In unserem durchgetakteten Alltag<br />

geht das gar nicht anders. Alles just<br />

in time,jede Sekunde ist kostbar.Als<br />

am Mittwochabend zehn nach halb<br />

acht, also zwanzig Minuten vor dem<br />

annoncierten Konzertbeginn, ein<br />

paar Musiker auf das Podium der<br />

Waldbühne schlurfen und einfach<br />

schon mal zu spielen beginnen,<br />

wirkt das Ordnungspersonal einen<br />

Moment lang irritiert. Daswirdnoch<br />

nicht Neil Young sein, der Steward<br />

mit der Nummer 0858 schüttelt den<br />

Kopf. „Doch das ist er!“, brüllt ihm<br />

seine Kollegin ins Ohr. Mankann die<br />

Worteauf ihren Lippen ablesen.<br />

Die Frau kennt sich aus, erist es<br />

wirklich. DasStück „CountryHome“<br />

vom drei Jahrzehnte alten Album<br />

„Ragged Glory“, mit dem Neil Young<br />

sein zweistündiges Programm fast<br />

ein wenig zu beiläufig eröffnet, sollte<br />

symptomatisch für diesen Abend<br />

sein. Es sind einige Songs aus der<br />

zweiten Reihe seines Repertoires zu<br />

hören, selten gespielt, was die einen<br />

glücklich macht und andere etwas<br />

ratlos zurücklässt. Aber ein paar Hits<br />

(„Helpless“, „Old Man“, „Heart Of<br />

Gold“) gibt es natürlich auch, sodass<br />

am Ende alle gut bedient sind.<br />

Im Grunde genommen kann man<br />

von Neil Young gar nicht enttäuscht<br />

werden, seine Auftritte,ganz egal mit<br />

welcher Band er spielt, wirken über<br />

all die Jahre wie ein unheimlicher<br />

Mahlstrom, der einen immer wieder<br />

hineinzieht in seine bipolare Welt<br />

aus pastoraler Empfindsamkeit und<br />

brachialem Gitarrenrock, der sich<br />

phasenweise auch einer gewissen<br />

Stupidität nicht zu schade ist. In den<br />

genialischen Phasen erwächst aus<br />

der Simplizität der musikalischen<br />

Motive etwas Tranceartiges, hier bei<br />

dem cirka zwanzigminütigen „Love<br />

AndOnly Love“, das nach einer sehr<br />

langen Einstimmungszeit mit einer<br />

Kollektivimprovisation über einem<br />

Groove endet, bei der zum Schluss<br />

die drei mitteljungen Gitarristen der<br />

Begleitband auf der Stelle hüpfen<br />

und der alte Mann ihnen gegenüber,<br />

rein rechnerisch 73, mit gebeugtem<br />

Rücken im Feedback versinkt.<br />

Rost schläft nicht<br />

Aus Erfahrung gut –NeilYoung gastierte in der <strong>Berliner</strong> Waldbühne<br />

Ganz bei sich: Neil Young in der <strong>Berliner</strong> Waldbühne<br />

„It’s all one song“ hat Neil Young<br />

einmal sein Werk charakterisiert.<br />

Wenn es vonBob Dylan heißt, er befinde<br />

sich auf einer Never Ending<br />

Tour, dann ist es bei Neil Young ein<br />

Never Ending Song. In der nächsten<br />

Wochewerdenbeide gemeinsam im<br />

Londoner Hyde Park gastieren. Ohne<br />

den Sponsor Barclay Bank. Weil das<br />

Unternehmen in fossile Energien investiert<br />

und das umweltschädliche<br />

DAVIDS/CHRISTINA KRATSCH<br />

Fracking finanziert, hatte Young sich<br />

als Naturschutzaktivist geweigert,<br />

unter dem schmutzigen Logo aufzutreten.<br />

DerVeranstalter gab nach. Es<br />

ist alles eine Frage der Sturheit.<br />

Im Vergleich zum Vorabend auf<br />

den Dresdener Elbwiesen hat Neil<br />

Young seine Titelauswahl gleich im<br />

Dutzend verändert. Statt „Cortezthe<br />

Killer“ spielt er „Danger Bird“, statt<br />

„Powderfinger“ ist„Hey Hey, My My“<br />

zu hören, das die Leute erstmals von<br />

den Sitzbänken hebt. Es hat ein bisschen<br />

gedauert, aber jetzt sind alle<br />

unter der Losung „Rock and roll can<br />

never die“ versammelt. Ob der<br />

Rock’n’Roll tatsächlich unsterblich<br />

ist, kann keiner wissen, aber heute<br />

und hier wollen wir dran glauben.<br />

Dasdazugehörige Album heißt„Rust<br />

NeverSleeps“, Rost schläft nicht und<br />

er frisst sich an jedem Tagweiter ins<br />

Leben hinein. Umso wichtiger ist es,<br />

ab und zu mal mit der Drahtbürste<br />

drüberzugehen. Young schmirgelt<br />

seit einem halben Jahrhundert. Sein<br />

erstes Soloalbum erschien 1968. Er<br />

gehört zuden vielen, die immer da<br />

waren und zu den wenigen, die noch<br />

da sind. In den sechs Monaten seit<br />

Jahresbeginn war er in drei verschiedenen<br />

Formationen auf Tournee,<br />

erst mit seiner alten Band Crazy<br />

Horse,dann mit den jungen Promise<br />

Of The Real, die ihn auch in Berlin<br />

begleiten, und in ein paar Wochen<br />

solo. Zwischendurch hat er dann<br />

noch ein neues Album aufgenommen,<br />

das im Herbst erscheinen soll.<br />

DieGedanken können schon mal<br />

abschweifen, wenn ein Stückimstoisch<br />

pulsierenden Sound zerbröselt.<br />

Nichtalle seine Gitarrenausflüge finden<br />

den Wegnach Hause.Aber dann<br />

ist es ausgerechnet ein Gassenhauer<br />

wie „Rockin’ inthe Free World“, der<br />

die Stimmung wieder hochreißt. Das<br />

ist nicht die originellste Komposition<br />

aus seinem Kanon, doch in der Darbietung<br />

dieses Abends kann und will<br />

man sich ihrem hymnischen Furor<br />

nicht entziehen. Viermal steuert das<br />

Stück auf ein Ende zu, um immer<br />

von Neuem aufzutrumpfen. Beim<br />

großen Finale sind alle Saiten von<br />

Youngs Gitarre gerissen, die er dann<br />

zur Gehhilfe umwidmet.<br />

Besser kann es nicht werden, der<br />

gebatikte Synthesizer wirdnicht vom<br />

Bühnenhimmel abgeseilt. Diesmal<br />

kein „Like aHurricane“, was nicht so<br />

schlimm ist. Stattdessen gibt es das<br />

rumpelige„Roll Another Number“ als<br />

Zugabe und als Rausschmeißer<br />

„Piece of Crap“. Als das Konzertnach<br />

zwei Stunden vorbei ist, scheint am<br />

Horizont noch die Sonne.<br />

FrankJunghänel<br />

kommtzum Glück immer<br />

überpünktlich.<br />

NACHRICHTEN<br />

Dahlemer Museen sollen<br />

Forschungscampus werden<br />

DerMuseumskomplex in Berlin-<br />

Dahlem soll in den kommenden Jahrenzueinem<br />

Forschungscampus<br />

ausgebaut werden (siehe <strong>Berliner</strong><br />

<strong>Zeitung</strong> vom2.Juli). DieStiftung<br />

Preußischer Kulturbesitz und die<br />

Staatlichen Museen zu Berlin haben<br />

deshalb eine Potenzialanalyse angestrengt.<br />

Diese schlägt die Verteilung<br />

der verschiedenen Nutzungszonen –<br />

Ausstellungsflächen, Bibliothek, Archiv,Verwaltungsräume,Restaurierungswerkstätten,<br />

Depots entlang<br />

einer sogenannten Campusachse<br />

vor, die wie ein Rückgrat die beiden<br />

Foyers in der Arnimallee und Lansstraße<br />

verbinden soll. (BLZ)<br />

Anklage wegen illegalen<br />

E-Book-Handels<br />

DieZentralstelle Cybercrime Bayern<br />

hat gegen drei Männer wegen der illegalenVerbreitung<br />

vonE-Books Anklage<br />

beim Landgericht München I<br />

erhoben. Siesollen nach Angaben der<br />

Ermittler auf einem inzwischen abgeschalteten<br />

Internetportal mehr als<br />

200 000 Titel, überwiegend elektronische<br />

Bücher und Hörbücher,gegen<br />

geringe Beträge zum Herunterladen<br />

angeboten haben. Es wirdauch geprüft,<br />

ob die Kunden nach dem illegalen<br />

Download vonTiteln mit Strafverfahren<br />

rechnen müssen. Denbeiden<br />

Hauptangeschuldigten werden fast<br />

36000 Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen<br />

Computerbetrugs vorgeworfen,<br />

außerdem nahezu 145000<br />

Fälle der unerlaubtenVerwertung urheberrechtlich<br />

geschützterWerke.<br />

Derdritte Mann soll die Zahlungsströme<br />

der illegalen Geschäfte verschleierthaben.<br />

Alle drei haben gestanden.<br />

(dpa)<br />

Dresden: „Glanzlichter“ der<br />

Alten Meister ausgestellt<br />

Vorihrer Neueinrichtung zeigt die<br />

Gemäldegalerie Alte Meister im<br />

Dresdner Zwinger das „Who is who“<br />

der Malerei aus ihrem Bestand. Unter<br />

dem Titel „Glanzlichter“ (2. August<br />

bis 3. November) sind Werke<br />

vonKünstlernvon der Frührenaissance<br />

bis zur Aufklärung vereint, teilten<br />

die Staatlichen Kunstsammlungen<br />

Dresden mit. (dpa)<br />

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