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Berliner Zeitung 09.07.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 156 · D ienstag, 9. Juli 2019 15 *<br />

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·<br />

Berlin<br />

Ein Foto zur Erinnerung:<br />

Hannes Rossacher (rechts)<br />

und sein Kollege Rudi Dolezal<br />

(links) mit Bruce Springsteen<br />

auf der Museumsinsel.<br />

ROSSACHER<br />

sacher sucht nach einem geeigneten Ort, er<br />

vermutet ihn in Prenzlauer Berg und entdeckt<br />

im Vorbeifahren das Café Eckstein:<br />

ein unsanierter Altbau an einer Straßenecke,<br />

ein Platz ist davor. Das Café hat große<br />

Fenster, sie lassen sich komplett öffnen.<br />

„Ein guter Ort für den Dreh“, sagt Rossacher.<br />

Doch der Wirt vom Eckstein will von<br />

Springsteen erstmals nichts wissen. Er hat<br />

sein Café gerade erst renoviert. Alles ist neu.<br />

Einst wurden dort Butter und Kolonialwarenverkauft,<br />

in der DDR lagerte Kleidung in<br />

den Räumen. Nun ist der Dielenboden geschliffen,<br />

die Wände frisch gestrichen. Den<br />

Tresen haben die Inhaberaus dem Material<br />

eines abgerissenen Hauses gebaut, die Regale<br />

der Barstammen aus großen Industriefenstern.<br />

Nurdie eigens angefertigten Lampen<br />

über dem Tresen funktionieren noch<br />

nicht. Wenn sich Springsteens Techniker<br />

darum kümmern würden, könnten sie das<br />

Lokal als Drehort nutzen, schlägt der Wirt<br />

vor. DasDrehteam sagt zu.<br />

Für zwei Tage mietet die Crew das Lokal,<br />

sie bauen ein Podest über die Treppenstufen<br />

links vomTresen. DaswirdSpringsteens<br />

Bühne. Die Lampen leuchten nun in warmen<br />

Licht, man sieht das im Video.Sie hängen<br />

heute noch im Café.<br />

Hannes Rossacher sagt, Bruce Springsteen<br />

hätten die Dreharbeiten zum Video<br />

„wahnsinnig gut gefallen. Er war sehr begeistert,<br />

er kannte Ost-Berlin ja schon.“<br />

160 000 verkaufte Karten<br />

Ein großer Hit: „HungryHeart“<br />

erschien 1980 und schaffteesin<br />

die Top10der Single-Charts in<br />

den USA.<br />

SONY<br />

Wieder muss Bertram Engel laut lachen<br />

und er wiederholt, weil es für ihn heute immer<br />

noch unfassbar klingt: „Springsteen<br />

fragt mich, was wir spielen wollen! Das war<br />

so unglaublich!“<br />

Das Konzert imCafé Eckstein soll nämlich<br />

nicht nur aus Halbplayback-Aufnahmen<br />

für das Musikvideo „Hungry Heart“ bestehen,<br />

Springsteen will seinen Fans auch musikalisch<br />

etwas Besonderes bieten: ein kleines<br />

Live-Konzert. Deswegen hat er sich die Profi-<br />

Musiker ausgesucht. Neben BAP-Sänger<br />

Wolfgang Niedecken und Schlagzeuger Hartmut<br />

Engel sind der Bassist KenTaylor dabei<br />

und der Pianist Pascal Kravetz, der im Panikorchester<br />

von Udo Lindenberg Keyboard<br />

spielt. Pascal Kravetz hat schon als Kind mit<br />

Udo Lindenberg auf der Bühne gestanden.<br />

Als Zehnjähriger sang er mit Lindenbergden<br />

Antikriegssong „Wozusind Kriege da?“<br />

Für den Auftritt mit Bruce Springsteen<br />

unterbricht Pascal Kravetz im Juli 1995 sogar<br />

seinen Urlaub in Südfrankreich. Er mag<br />

eigentlich keineVideodrehs,sagt er,aber für<br />

einen Auftritt mit Bruce Springsteen gilt<br />

diese Ablehnung natürlich nicht. „Dieser<br />

Abend im Café Eckstein ist mir nachhaltig<br />

im Gedächtnis geblieben“, sagt der 49-Jährige<br />

heute. „Das Konzert war überwältigend,<br />

die Atmosphärevöllig entspannt.“<br />

Am späten Nachmittag besprichtSpringsteen<br />

im Café Eckstein mit den Musikern<br />

das Programm für den Abend. Sie wählen<br />

bekannte Rocksongs aus,Lieder der Rolling<br />

Stones, von Bob Dylan und John Lee Hooker:Jumpin’<br />

Jack Flash schreiben sie auf die<br />

Setliste, ebenso Highway 61 und Knockin’<br />

on Heavens Door. Diese Songs können die<br />

Musiker sofort spielen.<br />

ZumProbender Songs treffen sie sich im<br />

Wohnwagenvon Bruce Springsteen, der neben<br />

dem Café Eckstein parkt. Die Musiker<br />

bringen ihre Gitarren mit, Schlagzeuger<br />

Bertram Engel dreht einen Mülleimer um,<br />

setzt sich darauf und trommelt den Rhythbereitet.<br />

Ich wusste gar nicht, was Springsteen<br />

spielen wird.“ Bertram Engel lacht<br />

ganz laut, als er das erzählt. Denn heute, 24<br />

Jahrespäter,ist diese Storysehramüsant.<br />

Der Schlagzeuger ist heute 61, er hat sich<br />

zu Hannes Rossacher an den schmalen Holztisch<br />

im Catering der Mercedes-Benz Arena<br />

gesetzt. Bertram Engel gehört zum Panikorchester<br />

von Udo Lindenberg. Doch jetzt will<br />

er weitererzählen vom Konzert mit Springsteen.<br />

„Ich habe ihm schüchtern Guten Tag<br />

gesagt“, erzählt er. „Und dann fragt mich<br />

Springsteen, was wir am Abend zusammen<br />

aufder Bühne spielen wollen.“<br />

1981 reist Springsteen zum ersten Malindie<br />

DDR, später bezeichnet er diesen Besuch als<br />

„sehr bedrückend“. Sieben Jahr später folgt<br />

dort sein erstes Konzert. Am 19. Juli 1988<br />

singt Springsteen vorhunderttausenden Zuschauernauf<br />

der Radrennbahn Weißensee.<br />

Es ist das größte Konzert inder DDR-Geschichte,<br />

organisiert von der FDJ. Für sie ist<br />

Springsteen ein Sänger aus der Arbeiterschicht,<br />

ein Kämpfer fürdie Armenund Entrechteten.<br />

160 000 Konzertkarten verkauft<br />

die Jugendorganisation. Fans aus dem ganzenLand<br />

fahren nach Berlin-Weißensee.Alle<br />

stürmen auf die Rennbahn. 250 000 Zuschauer<br />

sollen es an diesem Abend sein,<br />

manche schätzen die Zahl der Besucher sogar<br />

auf 500 000 Fans. „Born in the U.S.A.“<br />

singt Spingsteen. Undruftauf Deutschindie<br />

Menge: „Es ist schön, in Ost-Berlin zu sein.“<br />

Später interpretiert die Cottbusser Band<br />

Sandow dieses Konzert mit den ironischen<br />

Zeilen: „Wir können bis an unsere Grenzen<br />

geh’n, hast du schon mal drüber hinweg geseh’n?<br />

Ich habe 160 000 Menschen geseh'n,<br />

die sangen so schön, die sangen so schön:<br />

Born in the G.D.R....“<br />

Springsteen spielt seit 1972 mit der E<br />

Street Band, er ist ihr Sänger. Doch für den<br />

Videodreh von„HungryHeart“ in Berlin sollen<br />

ihn Musiker aus Deutschland begleiten.<br />

Hannes Rossacher und Wolfgang Niedecken<br />

kümmern sich darum. Den Sänger der Kölner<br />

Gruppe BAP hat Springsteen kurz zuvor<br />

kennengelernt. Niedecken hat ihn für eine<br />

ARD-Dokumentation in den USA interviewt.<br />

Rossacher und Niedecken stellen die<br />

Band für das Video zusammen. Laut Vertrag<br />

gehe es darum, Bruce Springsteen im Halbplayback<br />

zu begleiten. Das heißt, die Musik<br />

kommt vom Band, eingespielt von Springsteens<br />

Originalband. Für das Video wird nur<br />

Springsteens Gesang aus dem Café Eckstein<br />

hinzugefügt. DieMusiker auf der Bühne dort<br />

müssen also nur so tun, als ob sie spielen. Ein<br />

Traumjob,und dann noch mit dem Boss.<br />

So denkt auch Bertram Engel, als ihn ein<br />

Taxi am Nachmittag des 9. Juli 1995 vomLuxushotel<br />

Vier Jahreszeiten im Grunewald abholt.<br />

Dort wohnen Bruce Springsteen, seine<br />

etwa 30 Crewmitglieder und die Musiker<br />

während des Videodrehs in Berlin.<br />

BertramEngel ist damals 38 Jahrealt und<br />

einer der bekanntesten Schlagzeuger des<br />

Landes. Erspielt in den Bands von Udo Lindenbergund<br />

PeterMaffay.Bertram Engel ist<br />

ein großer Fan von Bruce Springsteen. Und<br />

an diesem Sonntag im Juli 1995 wird erihm<br />

zum ersten Mal begegnen. Er freut sich darauf.<br />

Doch dann hörterimRadio desTaxis die<br />

Nachricht auf radio Fritz, dass Bruce Springsteen<br />

an diesem Abend ein Spontankonzert<br />

in Prenzlauer Berg geben wird. „Von einem<br />

Liveauftritt habe ich gar nichts gewusst“,<br />

sagt er.„Ichwar darauf überhaupt nicht vormusmit.<br />

Für ihn wirddieser Abendzum unvergesslichen<br />

Erlebnis, erschwärmt noch<br />

heute davon. „Ich hatte nie zuvor so ein Gefühl,<br />

an die Hand genommen und in kürzester<br />

Zeit ins gelobte Land geführt zuwerden“,sagter.<br />

„Das warwirklich Wahnsinn.“<br />

Das Café Eckstein heißt heute Café Butter.<br />

Werdas Video gesehen hat, erkennt die<br />

Innenausstattung wieder. Doch für Fremde<br />

gibt es nirgendwo einen Hinweis, dass<br />

Bruce Springsteen dort gespielt hat. Keine<br />

Fotos, keine <strong>Zeitung</strong>sartikel. Überhaupt<br />

keine Werbung für irgendwas.Dezentes Design<br />

ohne Markenkunde.<br />

Inhaber Axel Janisch sagt, er wolle keinen<br />

Wallfahrtsort aus seinem Lokal machen.<br />

„Die Fans von Springsteen wissen<br />

doch, dass er hier einmal gespielt hat. Und<br />

das reicht dann auch.“ Der frühere Besitzer<br />

vom Café Eckstein hat ihm von dem Videodreh<br />

mit Springsteen erzählt. Begeistert<br />

klang er nicht.<br />

Manchmal sitzt Niedecken im Café<br />

Auch Axel Janisch ist kein Springsteen-Fan.<br />

Er sagt, der amerikanische Rockmusiker<br />

habe ihn in den Neunzigern überhaupt<br />

nicht interessiert. Da war erMitte 20. „Die<br />

Älteren verbinden mehr mit Springsteen“,<br />

sagt er. Axel Janisch war Punk und Punks in<br />

Ost-Berlin hören Bands aus der Subkultur,<br />

die nennen sich Die anderen Bands. Sandow<br />

gehört dazu und Axel Janisch kann die<br />

Textzeilen aus „Born in the G.D.R.“ zum<br />

Springsteen Konzert in Weißensee sofort<br />

auswendig zitieren.<br />

Manchmal besucht Wolfgang Niedecken<br />

das Café Butter. Ab und zu fragen einige<br />

Gäste,wie es damals war,als Springsteen im<br />

Juli 1995 im Café Eckstein gesungen hat.<br />

VomSpringsteen-Konzertkann Axel Janisch<br />

nicht viel erzählen, aber von der Zeit. „Es<br />

herrschte Aufbruchstimmung“, sagt er. „Es<br />

war eine Zeit des Ausprobierens und der<br />

Freiheit.“<br />

„In Ost-Berlin<br />

herrschte damals<br />

eine unheimliche<br />

Aufbruchstimmung.<br />

Und diese Stimmung<br />

passte so<br />

wunderbar zum<br />

Song ,Hungry<br />

Heart’.“<br />

„Das Café soll<br />

kein Wallfahrtsort<br />

werden. Die Fans<br />

von Bruce Springsteen<br />

wissen,<br />

dass er hier einmal<br />

gespielt hat.<br />

Und das reicht<br />

dann auch.“<br />

VOLKMAR OTTO<br />

Hannes Rossacher, Regisseur<br />

des Videos „Hungry Heart“<br />

THOMAS UHLEMANN<br />

Axel Janisch, Inhaber vom Café Butter,<br />

das früher Café Eckstein hieß

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