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Berliner Zeitung 23.07.2019

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10 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 168 · D ienstag, 23. Juli 2019<br />

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Berlin<br />

Gib’ mir ein O! Auch die Buchstaben an der Fassade des Kinos International werden saniert. BERLINER ZEITUNG/GERD ENGELSMANN (6)<br />

Gerade werden die Buchstaben<br />

abgenommen.<br />

17 an der Zahl. Jeder fast<br />

15 Kilo schwer und einen<br />

knappen Meter hoch. Siewerden abgestrahlt,<br />

von Staub und Schmutz<br />

gesäubert. Dann kommt neue Farbe<br />

darauf, im gelblichen Originalton,<br />

sie werden auch mit modernem<br />

Licht ausgestattet. „Kino international“<br />

wirddann wieder in der Dunkelheit<br />

über der breiten Glasfassade des<br />

alten Kinos in der Karl-Marx-Allee<br />

zwischen Alexanderplatz und<br />

Strausberger Platz erstrahlen. Noch<br />

Ende Juli, wenn die denkmalgerechte<br />

Sanierung der Fassaden des<br />

einstigen Prestige-Projektes der<br />

DDR-Oberen abgeschlossen ist, verschwindet<br />

das Baugerüst wieder.<br />

Beeindruckende Funktionalität<br />

Das Kino International, im November<br />

1963 vom damaligen DDR-<br />

Staatschef Walter Ulbricht eröffnet,<br />

diente bis 1990 als ein Premierenkino<br />

der DDR. Heute wirdesvon der<br />

Yorck-Gruppe betrieben und aufgrund<br />

seines Ambientes gernals Premieren-<br />

und Berlinale-Kino genutzt.<br />

„Ich kenne kein anderes Gebäude,<br />

das so komplex, so beeindruckend<br />

ist“, sagt Architekt Alexander Kühn<br />

vonder Kolb-Ripke-Gesellschaft, die<br />

die derzeitigen Sanierungsarbeiten –<br />

bei laufendem Betrieb –leitet. Kühn<br />

schwärmt vonder Funktionalität des<br />

Hauses mit der 17,20 Meter breiten<br />

Leinwand im Innern.<br />

So treffen sich hereinströmende<br />

Besucher und jene, die nach einem<br />

Film die Säle verlassen, nicht, weil<br />

sie unterschiedliche Zu- und Abgänge<br />

benutzen. Bibliothek und<br />

Klubräume stehen auch Nicht-Kinogängern<br />

offen. „Das International<br />

lässt sich mit keinem anderen Kinobau<br />

vergleichen“, sagt Kühn. „Das<br />

große Foyermit dem Panoramablick<br />

ist einzigartig, es ist eine Ikone der<br />

Kinoarchitektur,zeitlos und modern<br />

auch 56 Jahrenach der Eröffnung.“<br />

Das Kino wurde bisher nur Stück<br />

für Stück saniert. Mal gab es eine<br />

neue Kälteanlage, mal wurden die<br />

Sanitärräume erneuert, mal wurde<br />

ein Aufzug eingebaut. Seit 2016 werden<br />

alle Fassaden um das Kino saniert.<br />

Drei Seiten sind fertig.<br />

Gestaltet hat die Fassade Waldemar<br />

Grzimek, 1960 erhielt er den<br />

Auftrag, damals war er Professor an<br />

der Kunsthochschule Weißensee. Er<br />

durfte das Thema selbst wählen,<br />

später wurde es „Aus dem Leben der<br />

heutigen Menschen“ genannt. Dargestellt<br />

sind zum Beispiel Arbeiter<br />

im Gespräch, ein Liebespaar auf einer<br />

Bank, ein Traktorist auf einem<br />

Feld, eine Familie im Zoo. DieReliefs<br />

wurden jetzt gesäubertund fehlende<br />

Stücke ergänzt, nun leuchten sie<br />

wieder in Weiß. Gerade ist die Frontfassade<br />

dran. Die Buchstaben eben.<br />

Ertüchtigung<br />

einer Ikone<br />

Das Kino International wird aufwendig saniert<br />

VonGerd Engelsmann<br />

Verhüllt: Ende Juli soll das Baugerüst wieder verschwinden, wenn alles nach Plan läuft.<br />

Und die Glasfassade. Die riesigen<br />

Fenster schaffen Probleme. Die<br />

Sonne heizt das Bauwerk durch die<br />

Glasfront schnell auf. Eine Isolierverglasung<br />

wäre angebracht. Doch die<br />

ist zu teuer. InDeutschland gebe es<br />

keinen Hersteller für eine solche<br />

Spezialanfertigung mehr,sagt Architekt<br />

Kühn. Man könnte das Glas in<br />

China bestellen, aber der Preis ist<br />

enorm. Undauch das Gewicht. „Keiner<br />

kann sagen, was ein zusätzliches<br />

Gewicht von zirka sieben Tonnen<br />

Glas –Isolierglas ist deutlich schwerer<br />

– für das Gebäude bedeutet.“<br />

Darauf sei die Statik nicht vorbereitet.<br />

So bleibt es bei der herkömmlichen<br />

Glasfassade.<br />

Unterstützung vomSenat?<br />

Eigentlich müsste das Kino grundlegend<br />

saniert werden. Dach, Brandschutz<br />

und Entrauchungsanlage<br />

müssten an moderne Standards angepasst<br />

werden. Selbstschließende<br />

Türen für den großen Saal sind geplant.<br />

„Wenn man das jetzt richtig<br />

machte,dann würde das den Betrieb<br />

für Jahrzehnte sichern“, sagt Christian<br />

Bräuer, Geschäftsführer der<br />

Yorck-Kino GmbH, die das Kino 1990<br />

übernahm. „Dazu müssten wir das<br />

Kino allerdings für rund ein Jahr<br />

schließen.“ Am liebsten würde er das<br />

International nach der Berlinale im<br />

nächsten Jahr schließen und vor der<br />

Berlinale 2021 wiedereröffnen.<br />

Aber so eine Grundsanierung kostet<br />

viel Geld. Und daran hapert es.<br />

Nurmit dem Kinobetrieb ist das nicht<br />

zu erwirtschaften. Durch einen Mix<br />

aus Eigenkapital und Fördermitteln<br />

wurden die bisherigen Erhaltungsarbeiten<br />

finanziert. In den vergangenen<br />

Jahren seien Eigenmittel im deutlich<br />

siebenstelligen Bereich investiert<br />

worden, sagt der Geschäftsführer der<br />

Yorck-Gruppe.Bräuer hofft auf finanzielle<br />

Unterstützung durch den Senat.<br />

Es gibt bereits Gespräche. „Die konkrete<br />

Nutzung des Gebäudes wird<br />

vom Eigentümer bestimmt“, sagt<br />

Christian Gaebler, der Chef der Senatskanzlei,<br />

aber er könne sich „vorstellen,<br />

dass bestimmte Bereiche<br />

etwa auch in Kooperation mit dem<br />

Bezirkeiner öffentlichen Nutzung geöffnet<br />

werden“.<br />

Es gehe ihm nicht um Profit, sondern<br />

umVerpflichtung und Pflege,<br />

sagt Bräuer, der auch Vorsitzender<br />

des deutschen Filmkunst Kinoverbandes<br />

ist und kürzlich in Cannes<br />

zum Präsidenten des Internationalen<br />

Arthousekino-Verbandes gewählt<br />

wurde. „Gerade im digitalen<br />

Zeitalter werden Kinos als Orte wirklicher<br />

Begegnung immer wichtiger“,<br />

sagt der Kinoenthusiast, der 1995 als<br />

studentischer Kassierer im Yorck<br />

Kino zu arbeiten begann. „Und um<br />

die Rolle der Kinos zu stärken,<br />

braucht es vorallem die Flaggschiffe<br />

–Filmpaläste wie das International.“<br />

Althergebracht: ein Schild aus DDR-Zeiten in einem nicht öffentlich zugänglichen Raum.<br />

Wie neu: die Fassade in frischem Weiß.<br />

Sanierer:Yorck-Chef Christian Bräuer.<br />

Stylisch: die Bar –den Panoramablick verstellt aktuell das Baugerüst samt Plane.<br />

ZUR GESCHICHTE<br />

Anfang: Das Kino International wurde<br />

im November 1963 vomdamaligen<br />

DDR-Staatschef Walter Ulbricht eröffnet.<br />

Geplant wurde der Bau vonden Architekten<br />

Josef Kaiser und Heinz Aust. Kaiser<br />

hatte vorher das Kino Kosmos und<br />

das Café Moskau entworfen. Gebaut<br />

wurde das Kino damals als Zentrum für<br />

das Wohngebiet „Stalinallee-West“.<br />

Vorstellungen: Seit Eröffnung gabes<br />

fast täglich Vorstellungen. Das International<br />

diente bis 1990 als ein Premierenkino<br />

der DDR. Frank Beyers „Spur der<br />

Steine“ wurde 1966 uraufgeführt, nach<br />

drei Tagenabgesetzt und schließlich verboten.<br />

Konrad Wolfs „Solo Sunny“<br />

(1980) war 15 Wochen mit mehr als<br />

100 000 Besuchernausverkauft.<br />

Erfolge: Für Schlangenanden Kassen<br />

sorgtenauch „Einer flog über das Kuckucksnest“<br />

(1976); „JenseitsvonAfrika“<br />

(1985) und „Dirty Dancing“(1987). Am<br />

9. November1989 fanddie Premiere des<br />

Heiner-Carow-Films „Comingout“ statt,<br />

des einzigen DDR-Kinofilms, der sich mit<br />

Homosexualität beschäftigte. Als der Abspann<br />

lief, fieldie Mauer.<br />

Betreiber: Die Yorck-Gruppe betreibt<br />

seit 1992 das Kino und hat 1996 auch<br />

das Grundstück gekauft. „Das Leben der<br />

Anderen“, „Sonnenallee“ und „Good<br />

bye, Lenin!“ waren erfolgreiche Filme<br />

nach der Wende. Bereits seit 1990 ist<br />

das International Spielstätte der Berlinale.<br />

1990 wurden die Bauten unter<br />

Denkmalschutz gestellt.<br />

Ausstattung: 17,20 Meter ist die Leinwand<br />

breit. Die analogeProjektionstechnik<br />

ist noch vorhanden, so können<br />

auch analogeFilme gezeigt werden. Das<br />

International war das erste Kino in Berlin,<br />

das nach dem DCI-Standard digitalisiertwurde,<br />

einer weltweiten Qualitätsnorm,<br />

die etwa Pixelzahl, Bildhelligkeit<br />

und Farbsättigung definiert.<br />

Fassade: Das Relief mit dem Titel „Aus<br />

dem Leben der heutigen Menschen“<br />

zeigt 14 Szenen aus dem Freizeit- und<br />

Berufsleben des sozialistischen Alltags:<br />

Arbeiter im Gespräch, Bauernauf dem<br />

Feld oder Studenten im Hörsaal. Das<br />

untere Foyerhat eine wabenförmige<br />

Deckenverkleidung mit mehr als hundert<br />

Glühbirnen.<br />

Hingucker: Werbe-Blickfang des freistehenden<br />

Stahlbetonbaus ist das immer<br />

noch handgemalte Filmplakat von<br />

Kinomaler Götz Valien auf 63 Quadratmeter<br />

Fläche, das den Schriftzug „Kino<br />

International“ und die Fensterfront des<br />

Foyers in zwei unterschiedlich breite<br />

Teile trennt. Das große Filmplakat wird<br />

es auch weiterhin geben.

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