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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 168 · D ienstag, 23. Juli 2019 5 *<br />
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Politik<br />
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Mitte) feiertamspäten Sonntagabend den Wahlsieg seiner Partei „Diener des Volkes“.<br />
AP/EVGENIY MALOLETKA<br />
Zeitenwende in Kiew<br />
Die Partei von Präsident Selenskyj gewinnt bei den ukrainischen Wahlen dieabsolute Mehrheit. Der ehemalige Schauspieler sagt der Korruption den Kampf an<br />
VonStefan Scholl<br />
Am Wahlabend wirkten die<br />
Sieger im Stab der Partei<br />
„Diener des Volkes“ noch<br />
etwas verlegen. Man wisse<br />
nicht, wer welchen Wahlkreis gewonnen<br />
habe,sagte der künftige Abgeordnete<br />
David Arachmija der BBC.<br />
„Wir müssen uns zuerst mal alle miteinander<br />
bekannt machen.“<br />
Nach Auszählung von knapp 55<br />
Prozent der Stimmen bei den Wahlen<br />
zur Rada, dem ukrainischen Parlament,<br />
bestätigt sich der politische<br />
Erdrutsch. Präsident Wolodymyr<br />
Selenskyj und seine neu gegründete<br />
Partei „Diener des Volkes“ gewinnen<br />
42,6 Prozent der Stimmen und<br />
127 von 199 Direktwahlkreisen –<br />
insgesamt 249 Sitze, und damit die<br />
absolute Mehrheit. Die prorussische<br />
„Oppositionsplattform“<br />
kommt mit 13 Prozent der Stimmen<br />
auf 45 Sitze. Die„Plattform“ ist auch<br />
eine Neugründung, ebenso wie die<br />
proeuropäische Partei „Stimme“<br />
des Popstars Swjatoslaw Wakartschuk.<br />
Sie schaffte ebenfalls die<br />
Fünfprozenthürde. Selenskyj hat<br />
die „Stimme“ trotz der absoluten<br />
Mehrheit seiner „Diener des Volkes“<br />
zu Koalitionsverhandlungen eingeladen.<br />
Umso verheerender ist der Ausgang<br />
für die etablierten Parteien in der<br />
Rada. Der liberale „Block Petro Poroschenko“,<br />
des Ex-Präsidenten, der<br />
sich zurWahl in„Europäische Solidarität“<br />
umgenannt hatte,verliertvon 135<br />
Mandaten 109, sein früherer Koalitionspartner<br />
„Volksfront“, bisher 80<br />
Sitze, verschwindet ganz aus dem Parlament,<br />
wie auch der russlandnahe<br />
„Oppositionsblock“, die liberale<br />
„Selbsthilfe“, oder die populistische<br />
„Radikale Partei“. Vonden alten Kräften<br />
konnte sich nur Julia Timoschenkos<br />
„Vaterland“ behaupten, das mit<br />
26 sogar sechs Sitzedazugewinnt.<br />
EinGeschichtslehrer mit Gewehr<br />
Selenskyj war früher TV-Komiker und<br />
„Diener des Volkes“ eine beliebte TV-<br />
Serie. Er spielte darin einen einfachen<br />
Geschichtslehrer,der zum ersten ehrlichen<br />
Staatschef der Ukraine wird<br />
und vorallem dem erzkorrupten Parlament<br />
den Kampf ansagt. In einem<br />
Tagtraum schießt sein Held die Rada-<br />
Abgeordneten sogar mit Maschinenpistolen<br />
zusammen. Nach Aussagen<br />
aus Selenskyjs Umgebung hat die<br />
Fernsehserie durchaus sein ideologisches<br />
Wertesystem wiedergegeben.<br />
Glaubt man ihm selbst, ist darin für<br />
den korruptionsträchtigen Klüngel in<br />
der Rada kein Platz.<br />
Undals Selenskyj im Maitatsächlich<br />
zum Präsidenten gewählt<br />
wurde, kündigte er dem alten Parlament<br />
schon bei seiner Inaugurationsrede<br />
an, er wolle es auflösen. Die<br />
Abgeordneten beschimpfte er wiederholt<br />
als korrupte Tagediebe. Das<br />
neue Parlament solle als Erstes die<br />
gesetzliche Aufhebung der Immunität<br />
für seine Mitglieder beschließen.<br />
„Das Wahlergebnis<br />
in der Ukraine ist nichts anderes als eine<br />
kleine Revolution.“<br />
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete<br />
und Osteuropa-Experte Manuel Sarrazin<br />
sieht mit dem Wahlergebnis das bisherige als korrupt und unglaubwürdig<br />
angesehene politische Personal in der Ukraine als abgestraft an.<br />
DieWähler haben seinen Wunsch<br />
erfüllt, die Masse der alten, korruptionsumwitterten<br />
Abgeordneten in<br />
die Wüste zu schicken. Aber schon<br />
melden sich Kritiker, die fürchten,<br />
mit den neuen Parlamentariern<br />
werde die Korruption nur ausgetauscht.<br />
Das kremlnahe Portal ukraina.ru<br />
verweist auf die Biografien einiger<br />
Kandidaten von „Diener des<br />
Volkes“. Sie hätten sich per Internet<br />
bewerben können, mit drei Gesetzesvorschlägen<br />
und einer Videopräsentation.<br />
Zwar hat die Partei nach<br />
Presseberichten über unfähige oder<br />
zwielichtige Kandidaten sieben Personen<br />
aus ihrer Wahlliste gestrichen.<br />
Aber gerade unter den Direktwahlreisen<br />
sind laut ukraina.ru noch diverse<br />
Kandidaten, die die Interessen<br />
vonWirtschaftsoligarchen verträten.<br />
Etwa des Dollarmilliardärs Viktor<br />
Pintschuk. Oder des Magnaten Ihor<br />
Kolomoiski, den die Medien schon<br />
vor den Präsidentschaftswahlen als<br />
Strippenzieher hinter Selenskyj be-<br />
zeichneten. Das Wirtschaftsportal<br />
liga.net zählte bis zu zehn Listenund<br />
über 20 Direktkandidaten des<br />
„Dieners“, die geschäftlich gemeinsame<br />
Sache mit Kolomoiski machen.<br />
Dazu kommen noch die 49 unabhängigen<br />
Direktkandidaten, die den<br />
Sprung ins neue Parlament schaffen.<br />
Sieneigen traditionell dazu, sich der<br />
stärksten Fraktion anzuschließen.<br />
Aber ihnen wirdauch unterstellt, gegen<br />
entsprechendes Geld im Interesse<br />
des Großkapitals zu stimmen.<br />
Der Oligarch Vadim Rabinowisch,<br />
der für die prorussische „Oppositionsplattform“<br />
ins Parlament einzieht,<br />
scherzte schon auf die Frage,<br />
mit wemerdortkoalieren wolle:„Mit<br />
Kolomoiski.“<br />
Unterstützung des Popstars<br />
Nunstreiten die Experten, ob Selenskyjs<br />
politischer Wille ausreicht, um<br />
die alten Spielregeln zu durchkreuzen.<br />
Auf jeden Fall kann er auf die<br />
Unterstützung von Wakartschuks<br />
„Stimme“ rechnen. Derverkündete<br />
am Wahlabend: „Die Ukraine bewegt<br />
sich nach Europa, Richtung<br />
EU und Nato. Es herrscht das<br />
strenge Prinzip, dass alle vor dem<br />
Gesetz gleich sind, und keiner, der<br />
dagegen verstößt, seiner Strafe entgeht.“<br />
Vor allem aber forderte der<br />
berühmteste ukrainische Popstar,<br />
die Parlamentarier müssten wie<br />
normale Menschen leben und zur<br />
Arbeit gehen. „Wir holen die Abgeordneten<br />
vomHimmel auf die Erde<br />
herunter.“<br />
Manche Beobachter glauben<br />
wirklich an die geistig moralische<br />
Wende in der Rada. „Kolomoiski<br />
Einfluss im Parlament wird nur<br />
noch schwach sein“, hofft der Politologe<br />
Vadim Karasjew. Diese Wahl<br />
sei auch eine Niederlage für die<br />
Oligarchen gewesen. „Die Bankmanager<br />
haben gesiegt.“ Im Westen<br />
ausgebildete Selenskyj-Berater wie<br />
Alexander Daniljuk und Aiwaris<br />
Abromawitschus würden jetzt die<br />
Politik entscheiden. Oder der ehemalige<br />
Finanzmanager der Unicredit-Bank<br />
in der Ukraine,Wladislaw<br />
Raschkowan. Erwird als möglicher<br />
Premier gehandelt.<br />
„Wichtig ist, dass die kompetent<br />
sind, die das politische Programm<br />
formulieren“, sagt Karasjew. Das<br />
neue Parlament soll Ende Augustzusammentreten.<br />
Stefan Scholl hält<br />
SwatoslawWakartschuk als<br />
Musiker für genial.<br />
Eine Art Dubai am Mittelmeer<br />
Bei einer Mammutreise durch die Nahost-Region will Trumps Schwiegersohn Jared Kushner für seinen Wirtschaftsplan werben. Doch bislang gibt es kaum mehr als PR-Sprüche<br />
VonKarlDoemens, Washington<br />
Als ehrlicher Makler ist Donald<br />
Trump im Nahen Osten bislang<br />
eher selten aufgefallen. Er verlegte<br />
die israelische US-Botschaft in das<br />
auch von Palästinensern beanspruchte<br />
Jerusalem, erkannte die israelische<br />
Annexion der Golan-Höhen<br />
an und nennt den rechten Premierminister<br />
Benjamin Netanjahu,<br />
dem eine Anklage wegen Bestechlichkeit,<br />
Betrug und Untreue droht,<br />
seinen Freund. Der imWahlkampf<br />
groß angekündigte Friedensplan des<br />
US-Präsidenten ist bislang nur eine<br />
Fata Morgana.<br />
UnklareFinanzierung<br />
Mit einer Mammut-Reise nach Israel,<br />
Jordanien, Saudi-Arabien,<br />
Ägypten, in die Vereinigten Arabischen<br />
Emirate und nach Khatar will<br />
Trumps Schwiegersohn Jared Kushner<br />
das Prestigeprojekt nun endlich<br />
voranbringen. Während die zunehmenden<br />
Spannungen um den Iran<br />
den Rest derWelt in Atem halten, will<br />
der 38-jährige Geschäftsmann in der<br />
nächsten Woche nach US-Medienberichten<br />
gemeinsam mit dem US-<br />
Beauftragten für den Mittleren Osten,<br />
Jason Greenblatt, und dem Iran-<br />
Sonderbeauftragten Brian Hook<br />
durch die Region jetten, um Geld lockerzumachen.<br />
Darum nämlich<br />
geht es in Kushners Plan, der private<br />
und öffentliche Investitionen von50<br />
Milliarden Dollar vorsieht.<br />
Eine Art Dubai oder Singapur am<br />
Mittelmeer will Kushner aus dem<br />
Gazastreifen und der Westbank machen,<br />
wohin alleine in den nächsten<br />
zehn Jahren 27,5 Milliarden Dollar<br />
fließen sollen.<br />
Der Rest des Geldes ist für Ägypten,<br />
Jordanien und den Libanon vorgesehen.<br />
Investiert werden soll vor<br />
allem in Infrastruktur wie Zugverbindungen<br />
und Krankenhäuser,<br />
aber auch in Schulen und Tourismusprojekte.<br />
In einem schicken Hotel in Bahrain<br />
hatte Kushner voreinem Monat<br />
vor arabischen Geschäftsleuten sein<br />
mit wohlklingenden PR-Sprüchen<br />
US-Präsident Donald Trump und sein Schwiegersohn Jared Kushner (rechts) IMAGO IMAGES<br />
gespicktes Projekt „Frieden zu Wohlstand“<br />
erstmals präsentiert.<br />
Allerdings ist bislang völlig unklar,<br />
woher das Geld kommen soll.<br />
Angeblich will Kushner auf seiner<br />
Reise die Einrichtung eines Entwicklungsfonds<br />
in Bahrain anstoßen, der<br />
das Geld einsammelt und die Aktivitäten<br />
koordiniert. Die USA selber<br />
freilich haben im vergangenen Jahr<br />
im Gegenteil die finanzielle Unterstützung<br />
für Palästinenser-Krankenhäuser<br />
in Ostjerusalem gestrichen.<br />
Doch die Finanzen sind nicht einmal<br />
das größte Problem. Vorallem verfolgt<br />
Kushner einen rein wirtschaftlichen<br />
Ansatz. Weder die Möglichkeit<br />
eines palästinensischen Staates<br />
noch die völkerrechtswidrige Besiedlung<br />
palästinensischer Gebiete<br />
werden vonihm angesprochen. Diesen<br />
Themen will man sich erst im<br />
zweiten Teil des Friedensplans nähern,<br />
den Trump einst als „Deal des<br />
Jahrhunderts“ anpries. Mit Blick auf<br />
die israelischen Wahlen im September<br />
ist dessen Veröffentlichung vertagt<br />
und wird kaum vor November<br />
erwartet.<br />
Palästinenser boykottieren Treffen<br />
Die Realisierungschancen für<br />
Trumps Prestigeprojekt wirken derzeit<br />
freilich eher gering. Die palästinensische<br />
Führung boykottierte die<br />
Konferenz in Bahrain, weil sie eine<br />
faire Friedenslösung als Voraussetzung<br />
für die wirtschaftliche Entwicklung<br />
sieht. Und auch die<br />
rechtsgerichtete israelische Regierung<br />
hält sich mit Unterstützung<br />
bislang zurück. Ihr dürfte vor allem<br />
nicht passen, dass Kushners Plan als<br />
ambitioniertestes Vorhaben einen<br />
Transit-Korridor zwischen dem palästinensischen<br />
Gazastreifen und<br />
dem Westjordanland vorsieht. Auch<br />
scheint die Entwicklung des Tourismus<br />
im Gazastreifen ohne einen eigenen<br />
Flughafen völlig unrealistisch.<br />
Deraber wirdvon Israel abgelehnt.<br />
DieHürden für eine politische Einigung<br />
liegen noch viel höher. Von<br />
der unabdingbaren Selbstbestimmung<br />
der Palästinenser ist in der US-<br />
Regierung derzeit nicht die Rede.<br />
Dass Trump amWochenende Netanjahu<br />
ausdrücklich zum Amtsjubiläum<br />
gratulierte und dessen„Einsatz<br />
für die Werte der Demokratie, der<br />
Freiheit und der Chancengleichheit“<br />
lobte, dürfte auf palästinensischer<br />
Seite ebenfalls wenig Zustimmung<br />
erfahren. Vorallem aber fällt die geplante<br />
Veröffentlichung des Friedensplans<br />
zum Jahresende in den<br />
US-Wahlkampf. Da dürfte Präsident<br />
Trump nicht nur andere Prioritäten<br />
haben. Auch könnten sich politische<br />
Akteureund Investoren mit Zusagen<br />
zurückhalten, solange nicht klar ist,<br />
werinZukunft die Richtung der US-<br />
Nahostpolitik bestimmt.