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18 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 18. August 2019<br />
Ernst Thälmann,<br />
hier bei einer<br />
Kundgebung in<br />
Leipzig 1932,<br />
warein glühender<br />
Verehrer Stalins.<br />
Er hoffte nach<br />
seiner Festnahme,<br />
mit dessen Hilfe<br />
freizukommen.<br />
tie stellt den linken Flügel des<br />
Faschismus dar; sie bindet die<br />
Arbeiter an das bürgerliche<br />
System und hält sie vom Klassenkampf<br />
ab; sie ist vorrangig<br />
zu bekämpfen. „Man kann den<br />
Kapitalismus nicht schlagen“,<br />
sagt Thälmann 1931, „ohne die<br />
Sozialdemokratie zu vernichten.“<br />
Wo immer sich die Gelegenheit<br />
bietet, die (Sozial-)Demokratie<br />
zu bekämpfen – Thälmann<br />
nutzt sie. Dabei scheut er<br />
sich nicht, mit den erstarkenden<br />
Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten.<br />
Im August 1931<br />
versuchen KPD und NSDAP<br />
gemeinsam, die sozialdemokratische<br />
Landesregierung Preußens<br />
durch einen Volksentscheid<br />
zu stürzen.<br />
Die Zerschlagung des bürgerlichen<br />
Staates und die Errichtung<br />
einer Diktatur nach sowjetischem<br />
Vorbild – das war<br />
Thälmanns Ziel. Schon im<br />
März 1921 verkündete er sein<br />
antidemokratisches Credo:<br />
„Diesen Staat bekämpfen wir so<br />
lange, bis er nicht mehr als<br />
Staat existiert. Wir machen daraus<br />
absolut keinen Hehl. Wir<br />
haben keine Veranlassung, in<br />
dieser oder jener Beziehung gegen<br />
diese oder jene Person<br />
schonend vorzugehen.“<br />
Es gehört zur Tragödie Ernst<br />
Thälmanns, dass dem Staat, den<br />
er unerbittlich bekämpfte und<br />
der nach der Ernennung Hitlers<br />
zum Reichskanzler durch<br />
Hindenburg am 30. Januar 1933<br />
tatsächlich nicht mehr existierte,<br />
ein Staat folgte, der auch gegen<br />
ihn schonungslos vorging.<br />
Den Reichstagsbrand in der<br />
Nacht zum 28. Februar, den<br />
Hitler den Kommunisten<br />
in die Schuhe<br />
schiebt, nutzen die neuen<br />
Machthaber, um Tausende<br />
politische Gegner,<br />
allen voran kommunistische<br />
Reichstags- und<br />
Landtagsabgeordnete –<br />
rechtswidrig – festzunehmen.<br />
Acht Polizeibeamte ergreifen<br />
Thälmann am<br />
Nachmittag des 3. März in der<br />
Wohnung der Eheleute Kluczynski<br />
in der Lützower Straße 9<br />
(heute Alt-Lietzow 11) in Charlottenburg.<br />
Mindestens fünf<br />
Personen haben ihr Wissen<br />
über die Verbindung Thälmann-Kluczynski<br />
an die Polizei<br />
weitergegeben.<br />
Die Umstände der Festnahme<br />
werden Gegenstand parteiinterner<br />
Untersuchungen: Warum<br />
hat der flüchtige Thälmann<br />
wochenlang ein- und dieselbe<br />
Wohnung genutzt und<br />
warum haben Angehörige des<br />
Parteiselbstschutzes die Wohnung<br />
nicht gesichert?<br />
Es kommt in den folgenden<br />
Jahren wiederholt zu gegenseitigen<br />
Verdächtigungen mehr<br />
oder weniger beteiligter Personen,<br />
nicht zuletzt durch Desinformationsmaßnahmen<br />
und<br />
weitere Fahndungserfolge der<br />
Gestapo.<br />
In der Gestapozentrale in der<br />
Niederkirchnerstraße wird<br />
Für Stalin ist<br />
jeder, der in<br />
die Hände des<br />
Gegners fällt,<br />
ein Feind.<br />
Thälmann mehrfach einer<br />
„Sonderbehandlung“ unterzogen.<br />
Bei einem Verhör schlägt<br />
man ihm vier Zähne aus. Nachdem<br />
öffentlich geworden ist,<br />
dass der prominente Gefangene<br />
misshandelt wird, lässt Hitler<br />
die Folter abbrechen.<br />
Die Nationalsozialisten wollen<br />
Thälmann vor Gericht stellen.<br />
Wegen Hochverrats: Der<br />
KPD-Vorsitzende habe einen<br />
Staatsstreich geplant. Das<br />
kommt ihm und auch seinen<br />
Genossen im Exil zupass. Vor<br />
der Weltöffentlichkeit kann er<br />
die Sache des Kommunismus<br />
verteidigen.<br />
Der Anklage aber fehlt es an<br />
Beweisen für Hochverrat. „Todesstrafe<br />
oder lebenslanges<br />
Zuchthaus“, seien „rechtlich<br />
nicht möglich“, stellt der Vertreter<br />
der Reichsanwaltschaft<br />
fest. Eine geringere Strafe aber<br />
wäre „ein Argument gegen die<br />
Größe der kommunistischen<br />
Gefahr“, befindet das Reichsinnenministerium.<br />
Statt vor Gericht<br />
kommt Thälmann im<br />
Herbst 1935 in Dauer-„Schutzhaft“.<br />
Die KPD hat da bereits einen<br />
neuen Vorsitzenden, ein<br />
Parteitag nahe Moskau einen<br />
Monat zuvor hatte Wilhelm<br />
Pieck gewählt.<br />
Die „Schutzhaft“ erfolgt in<br />
Berlin, Hannover (ab 1937) und<br />
Bautzen (ab 1943). Als „Komfort-Häftling“<br />
darf Thälmann<br />
Besuch von seiner Frau empfangen,<br />
Zeitungen lesen und<br />
Briefe schreiben. Er verfasst 24<br />
Briefe an Stalin. Jeden bringt<br />
seine Frau zur Sowjetischen<br />
Botschaft in Berlin. Die nimmt<br />
erst den 14. Brief entgegen, mit<br />
der Begründung, die Handschrift<br />
prüfen zu lassen; es könne<br />
ja sein, dass der Verfasser<br />
nicht der ist, der er vorgibt zu<br />
sein. Schließlich gelangen alle<br />
Briefe auf Stalins Schreibtisch.<br />
Als er im März 1940 immer<br />
noch keine Antwort erhalten<br />
hat, schreibt Thälmann, wie<br />
immer ergebenst: „Von dem aktiven<br />
Eingreifen meiner russischen<br />
Freunde verspreche ich<br />
mir den einzig und allein ausschlaggebenden<br />
Erfolg zu meiner<br />
baldigen Freilassung.“ Und:<br />
„Für mich ist heute schon klar,<br />
daß die Sowjet-Union diese<br />
meine neue Heimat sein wird<br />
(...) Also denkt an Euren tapferen<br />
Kämpfer und unbeugsamen<br />
Revolutionär, der ungebrochen<br />
und standhaft an der heiligen<br />
Idee des Kommunismus festhält<br />
und der seine revolutionäre<br />
Pflicht auch hier im Kerker<br />
erfüllt (...).“<br />
Nicht ein Brief wird beantwortet.<br />
Anfang der 1990er-Jahre werden<br />
Thälmanns Briefe in Stalins<br />
persönlichem Archiv gefunden.<br />
Einer davon trägt seine handschriftliche<br />
Notiz: „Ablage!“<br />
Für Stalin war jeder, der in<br />
des Gegners Hände fiel, ein<br />
Feind. Das galt sogar für seinen<br />
Sohn Jakow, der im Juli 1941 in<br />
deutsche Kriegsgefangenschaft<br />
geriet –und im April 1943 im<br />
KZ Sachsenhausen umkam. Abgesehen<br />
davon, dass Stalin<br />
leugnete, sein Sohn sei gefangen<br />
genommen worden, befand<br />
er grundsätzlich: Hitler habe<br />
keine russischen Gefangenen,<br />
er habe „nur russische Verräter,<br />
und die werden wir erledigen,<br />
wenn der Krieg vorbei ist“.<br />
Auch Ernst Thälmann war<br />
demnach ein – wenngleich<br />
deutscher –Verräter.<br />
Als unbeugsamer Kommunist<br />
zeigte sich Thälmann in seinen