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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 192 · D ienstag, 20. August 2019 15 *<br />
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Brandenburg<br />
Der Abend beginnt für die<br />
AfD mit einem kleinen<br />
Desaster – und damit<br />
ziemlich gut. Die Partei<br />
hat zum Wahlkampf nach Eichwalde<br />
geladen, und die Veranstaltung soll<br />
um 19 Uhrbeginnen, doch kurzvorher<br />
ist die Hauptstraße der idyllischen<br />
Stadt im südöstlichen <strong>Berliner</strong><br />
Umland ziemlich tot. Nirgends das<br />
typische Blau der rechtsnationalen<br />
Partei, und die Tür zum Backsteinbau<br />
ist auch zu. Drinnen wird heute<br />
keine Politik gemacht, drinnen singen<br />
die Damen des Gesangsvereins.<br />
Der örtliche Direktkandidat verliert<br />
kein schlechtes Wort darüber,<br />
dass er seine Veranstaltung schnell<br />
noch verlegen muss. Und die AfD-<br />
Anhänger fragen sich, ob die doppelte<br />
Vergabe des Raumes an diesem<br />
Abend nur ein Zufall ist oder aber<br />
Absicht.<br />
Am 1. September ist Landtagswahl<br />
in Brandenburg, und die AfD<br />
steht in Umfragen klar auf Platz 1vor<br />
der CDU und der seit 30 Jahren regierenden<br />
SPD.Dass die AfD trotz Spendenskandalen,<br />
Neonazi-Vorwürfen<br />
und heftigen Flügelkämpfen so gut<br />
dasteht, liegt auch daran, dass Teile<br />
des Wahlvolkes nun mal genauso<br />
denken, wie die AfD redet. Diese<br />
Leute werden oft als dumm abgetan,<br />
als verirrt. Im Osten weckt dieses<br />
Von-oben-herab bei einigen zusätzlich<br />
den Anti-Besserwessi-Reflex aus<br />
der Nachwendezeit. Das treibt der<br />
AfD zusätzlich Wähler zu.<br />
Mal sehen, wie es in Eichwalde<br />
läuft. Dort wird nun in der Villa Mosaik<br />
improvisiert. Der Raum in der<br />
Kita füllt sich mit Fans,aber auch mit<br />
reichlich Gegnern. Einige Plakate im<br />
Raum kapern die Historie des Zusammenbruchs<br />
der DDR: „Vollende<br />
die Wende!“ und „Die friedliche Revolution<br />
mit dem Stimmzettel“.<br />
Draußen kommt Spitzenkandidat<br />
Andreas Kalbitz an, ein Hardliner.<br />
Neben dem Torstehen ein paar Vertreter<br />
der vereinten Gegnerschaft:<br />
Grüne, Linke, Leute von der SPD.<br />
Kalbitz schaut hinüber, hebt die Augenbraue<br />
und grinst. Die Gegner<br />
wollen jedem, der zur AfD will, ein<br />
Bier geben –wenn er nicht reingeht.<br />
Niemand will das Freibier. Dafür<br />
reden die AfD-Anhänger auf die Gegner<br />
ein, denn die sagen, Kalbitz habe<br />
eine Vergangenheit in der Neonazi-<br />
Szene.Kalbitz sagt dazu keinWort.Er<br />
lässt die anderen machen. Jeder Angriff<br />
forderteineVerteidigung heraus<br />
und stärkt das Wir-Gefühl. In diesem<br />
Fall das Gefühl: Alle sind gegen uns.<br />
Jedenfalls große Teile des „links-rotgrün-versifften<br />
68er-Deutschlands“,<br />
wie Jörg Meuthen es einst nannte,<br />
der Chef der AfD.<br />
Die Auseinandersetzung ist eröffnet<br />
Kalbitz hält keineWahlkampfrede,es<br />
soll ein Dialogforum sein –auch mit<br />
Gegnern. Kalbitz stellt sich vor: 46<br />
Jahrealt, seit 25 Jahren mit einer Britin<br />
verheiratet, drei Kinder; er erzählt,<br />
dass er zwölf JahreFallschirmjäger<br />
war bei der Bundeswehr. Er<br />
habe vor der Politik also richtige Arbeit<br />
gehabt, nicht wie die Berufspolitiker<br />
in anderen Parteien, bei denen<br />
es oft heiße: „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“.<br />
Er verschweigt, dass er kurz<br />
vorseinem Einzug in den Potsdamer<br />
Landtag mit einem Verlag pleiteging.<br />
Dergebürtige Münchner lebt seit<br />
16 Jahren in Brandenburg und<br />
wohnt in einem Ortsteil von Königs<br />
Wusterhausen, in dem abends kein<br />
Bus fährt. Schon ist er beim Thema<br />
Infrastruktur – besser gesagt: bei<br />
Dingen, die er der rot-roten Regierung<br />
vorhält: dass es beim Nahverkehr<br />
hapert und der Versorgung mit<br />
schnellen Internetverbindungen. Er<br />
holt zu einem seiner markanten Vergleiche<br />
aus: „Die Masse der Reisfelder<br />
in China hat eine bessere Internetanbindung<br />
als Brandenburg.“<br />
Dann erzählt er,dass er im Landtag<br />
im BER-Ausschuss saß, den er als<br />
verbrannte Lebenszeit bezeichnet.<br />
Er kommt zur AfD und sagt, dass die<br />
in Umfragen vier Prozent vor der regierenden<br />
SPD stehe.„Wirhaben die<br />
reelle Chance, bei der Wahl stärkste<br />
Kraft im Land zu werden. DerDrang<br />
der Menschen nach Veränderungen<br />
ist groß.“ Dann behauptet er, seine<br />
Partei sei keine Ursache für irgendetwas.„DieAfD<br />
ist die Wirkung auf das<br />
Versagen der anderen.“ Er wendet<br />
sich an die politischen Gegner im<br />
Serie zur Landtagswahl in Brandenburg am 1. September:Teil 2<br />
Der Provokateur<br />
Andreas Kalbitz könnte die AfD bei der Wahl<br />
am 1. September zum Sieg führen.<br />
Er gehört zum strammen Rechts-außen-Flügel<br />
und gilt vielen als das große Feindbild<br />
VonJens Blankennagel, Eichwalde<br />
Andreas Kalbitz auf dem Dach des Potsdamer Landtages. Er bezeichnet seine Partei als „die letzte evolutionäre Chance für dieses Land“.<br />
Raum und sagt, dass er sich freue,<br />
mit ihnen zu diskutieren. „Wenn alle<br />
einer Meinung sind, ist es ja langweilig“,<br />
sagt er, verspricht aber: „Wenn<br />
Leute beleidigend werden, fliegen<br />
sie irgendwann raus.“<br />
DieAuseinandersetzung ist eröffnet,<br />
und Kalbitz ist in seinem Element.<br />
Ein Mann, dem Politik offensichtlich<br />
Spaß macht, der es genießt,<br />
zu kämpfen und zu poltern. Ein altgedienter<br />
Soldat, der meist in einem<br />
schlichten, aber klaren Freund-<br />
Feind-Schema argumentiertund der<br />
gern austeilt, der zum Beispiel das<br />
hiesige Bildungssystem als „Verblödungssystem“<br />
bezeichnet oder die<br />
Bundesführung der SPD als „Champagner-Sozialisten<br />
in Berlin“ und als<br />
„Arbeiter-Verräter-Verein“.<br />
Kalbitz ist ein Mann, der dem Begriff<br />
„Flüchtlinge“ immer das Wort<br />
„sogenannte“ voranstellt. EinMann,<br />
der aber nicht wild provoziert wie<br />
andere inseiner Partei, sondern der<br />
sich genau überlegt, wie weit er zuspitzen<br />
und wie weit er zu weit gehen<br />
will. Sein Ziel: Der Gegner soll sich<br />
aufregen, die Medien ebenfalls –und<br />
die eigenen Leute sollen sich freuen.<br />
Gleichzeitig sollen die Angriffe<br />
nicht so platt sein, dass er wegen<br />
Volksverhetzung angezeigt wird.<br />
Kalbitz sagt nicht wie die NPD: „Ausländer<br />
raus“, sondern: „Wir haben<br />
keine Integrationspflicht für sogenannte<br />
Flüchtlinge. Wir müssen ihnen<br />
nur so lange ein ordentliches<br />
Zuhause geben, bis der Krieg in Syrien<br />
vorbei ist.“ Er bezeichnet die Toten<br />
im Mittelmeer als Merkels Tote,<br />
weil die Kanzlerin die „sogenannten<br />
Flüchtlinge“ mit der Politik der offenen<br />
Grenzen erst in den Todgelockt<br />
habe. Merkels Tote seien auch jene<br />
„260 Deutschen, die sogenannte<br />
Flüchtlinge bei uns getötet haben“.<br />
Kalbitz ist für viele so etwas wie<br />
der personifizierte Dämon der Landespolitik:<br />
der Mann, der fest an der<br />
Seite des Thüringer AfD-Chefs Björn<br />
Höcke steht und zum Führungskreis<br />
von dessen Flügel gehört, der<br />
ZUR PERSON<br />
Herkunft: Andreas Kalbitz, geboren 1972 in München, war 2006 Fallschirmjäger bei der Bundeswehr.Bei<br />
einem Studium der Informatik an der Fachhochschule Brandenburg legte er keinen<br />
Prüfungen ab und wurde zwangsexmatrikuliert. Später war er Geschäftsführer eines kleinen<br />
Hörbuchverlages, der 2013 in die Insolvenz ging.<br />
Politische Laufbahn: Kalbitz war erst bei der Jungen Union und der CSU,dann bei den rechtsextremen<br />
Republikanern, er schrieb für rechte Publikationen, war im völkischen Witikobund<br />
und bis 2015 Chef der rechtsextremen Vereinigung Kultur- und Zeitgeschichte. Seit 2013 ist<br />
er Mitglied derAfD,sitzt seit 2014 im Potsdamer Landtag und trat die NachfolgevonAlexander<br />
Gauland als Landeschef an. Er ist einer der sechs Beisitzer im AfD-Bundesvorstand.<br />
Die AfD: Bei der Civey-Umfragevom 14. August steht die AfD in Brandenburg mit 21 Prozent<br />
klar auf Platz 1. Bei der Landtagswahl 2014 holte sie 12,2 Prozent.<br />
Alle Porträts dieser Serie und mehr Infos zur Wahl unter:<br />
www.berliner-zeitung.de/berlin/brandenburg/landtagswahl<br />
Rechts-außen-Gruppierung<br />
der AfD.<br />
Höcke und Kalbitz –<br />
zwei Westler,die den Osten<br />
politisch aufmischen und ihn<br />
parteiintern ganz klar zur Heimat<br />
des Flügels gemacht haben. Die<br />
Gruppe wird meist als völkisch eingestuft,<br />
andere nennen sie nationalistisch<br />
oder eine Ansammlung von<br />
Neonazi in Anzügen. Kalbitz sagt<br />
„Ich bin kein Neonazi. Ich bin ein<br />
überzeugter Nationalkonservativer.“<br />
Der Verfassungsschutz sieht beim<br />
BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />
Flügel gewichtige Anhaltspunkte für<br />
Bestrebungen gegen die freiheitlich<br />
demokratische Grundordnung. Deshalb<br />
ist die Gruppierung als Verdachtsfall<br />
eingestuft: Nun wird auch<br />
mit nachrichtendienstlichen Mitteln<br />
geprüft, ob die Leute dorttatsächlich<br />
rechtsextremistisch sind.<br />
Björn Höcke, bei dem in Thüringen<br />
am 26. Oktober gewählt wird, gilt<br />
als der größereProvokateur,Andreas<br />
Kalbitz als der bessere Organisator<br />
und Strippenzieher. Kalbitz wird dafür<br />
verantwortlich gemacht, dass eigentlich<br />
alle gemäßigten Leute seiner<br />
Landtagsfraktion nun nicht<br />
mehr auf der Liste für die Landtagswahl<br />
stehen.<br />
Es ist schwer zu ergründen,<br />
wie radikal<br />
die Leute tatsächlich<br />
denken. Einerseits<br />
sagen sie,<br />
LANDTAGSWAHL<br />
BRANDENBURG<br />
dass sie nicht viel<br />
anders sind, als<br />
sie sich in der Öffentlichkeit<br />
geben,<br />
andererseits sagen<br />
sie, dass man in diesem<br />
Land derzeit nur ein<br />
einziges Mal die Wahrheit sagen<br />
könne, bevor man vom Mainstream<br />
abgestraft werde.<br />
Einige gemäßigte West-Mitglieder<br />
der AfD würden den Flügel gern<br />
CSU-mäßig abtrennen. Sie sagen,<br />
die Partei könnte noch viel besser<br />
dastehen, wenn der Flügel nicht die<br />
Debatten so dominieren würde.<br />
Leute wie Kalbitz wollen nicht in<br />
die Mitte rücken: Sie wissen zwar,<br />
dass sie nun vielleicht Wahlen gewinnen<br />
werden, sie wissen aber<br />
auch, dass sie keine Machtoption<br />
haben, weil niemand mit ihnen koalieren<br />
will. Also harren sie rechts außen<br />
aus, und hoffen, dass die CDU<br />
nach Merkel und Kramp-Karrenbauer<br />
in ihreRichtung wandert.<br />
Trotz seiner politischen Eindeutigkeit<br />
ist Kalbitz auch ein Mann der<br />
Widersprüche. Im Landtagsbüro<br />
hängt ein Plakat von Monty Python,<br />
jener britischen Komikertruppe, die<br />
anarchischen Humor erst salonfähig<br />
gemacht hat. Es gibt auch AfD-typische<br />
Postkarten: „Merkel muss weg“<br />
oder „Da, wo Deutsche Urlaub machen,<br />
kommen Flüchtlinge her.“<br />
Aber an der Wand steht auch: „Nett<br />
kann ich auch, bringt aber nix.“<br />
Er sagt gern, dass er auf die Presse<br />
nicht angewiesen sei. „Ich werde<br />
nicht wegen euch gewählt, sondern<br />
trotz euch.“ Gleichzeitig beobachtet<br />
er genau, wer über die AfD schreibt.<br />
Er hat scheinbar nicht viel gegen sein<br />
Image als Buhmann, aber er will das<br />
Bild auch kontrollieren.<br />
In Eichwalde gibt Kalbitz seinen<br />
Gegnern viel Raum. Mit Absicht. Er<br />
merkt: Die Gegner wollen gar nicht<br />
diskutieren, sondern stören, und ihr<br />
Tonklingt tatsächlich oft von oben<br />
herab. Esläuft wie bestellt. Die Gegner<br />
agieren, als gehörten sie zu einem<br />
Drehbuch der AfD. Deren Anhänger<br />
sind irgendwann genervt,<br />
und einige rufen: „Lasst doch auch<br />
mal andereLeute etwas fragen.“<br />
Im Saal fragt dieses Mal niemand<br />
nach der Vergangenheit von Kalbitz.<br />
Mitder geht dieser nur bedingt offen<br />
um und gibt bestimmte Dinge erst<br />
zu, wenn er sie nicht mehr leugnen<br />
kann. So war er 2007 in einem Sommerlager<br />
der „Heimattreuen Deutschen<br />
Jugend“, die später als neonazistisch<br />
verboten wurde. Ernimmt<br />
für sich und andereinseiner Partei in<br />
Anspruch, dass dies Jugendsünden<br />
seien, dass die Wähler sich dafür gar<br />
nicht interessierten und dass der<br />
Steinewerfer Joschka Fischer später<br />
auch Außenminister werden durfte –<br />
und vorallem sei das alles lange her.<br />
Doch das stimmt so nicht. Denn<br />
Kalbitz war auch nach seinem Einzug<br />
in den Landtag anfangs noch<br />
Chef einer Vereinigung, die ein einstiger<br />
SS-Offizier und späterer NPD-<br />
Mann gegründet hatte.<br />
DasMuster funktioniert<br />
Doch darum geht es in Eichwalde<br />
nicht. Dort sagt Kalbitz, der gern gegen<br />
den „Terror“ der Klimaschützer<br />
wettert, dass er gegen den schnellen<br />
Kohle-Ausstieg sei, dass er Deutschland<br />
nicht kohlendioxidneutral machen<br />
wolle und dass er sich dagegen<br />
wehre, wenn Autofahrer als „Diesel-<br />
Nazis“ bezeichnet würden. Er greift<br />
alles auf, was Grünerichtig aufregt.<br />
DieWortführerin der Gegner stellt<br />
ständig Fragen, will sich aber die<br />
Antworten nicht anhören. Damit<br />
macht sie es Kalbitz ziemlich einfach.<br />
Dersagt: „Sie sind undemokratisch.<br />
Eine Querulantin. Sie lassen<br />
uns ja nicht mal zu Wort kommen.“<br />
Die Frau ist wirklich mutig, aber<br />
mit ihrer Art kann sie sicher keinen<br />
der AfD-Anhänger im Saal in Zweifel<br />
stürzen. Irgendwann wirdsie mit ihrendreiKinderndes<br />
Raumes verwiesen.<br />
Sieweigertsich. Einige im Raum<br />
rufen: „Raus, raus, raus.“ Als sie fluchend<br />
geht, ruft ihr Kalbitz hinterher:<br />
„Gute Reise.“ Das Muster funktioniert<br />
auch inEichwalde: Die Reihen<br />
sind fest geschlossen. Es könnte<br />
kaum besser laufen für die AfD.<br />
Vorder Tür stehen noch immer<br />
ein paar Gegner. Sie spenden für jeden<br />
einzelnen Teilnehmer im Saal einen<br />
Euro an solche Projekte, die die<br />
AfD nicht so mögen wird: So gehen<br />
300 Euro an Flüchtlingshelfer und<br />
ein Neonazi-Aussteigerprogramm.<br />
Aber all das interessiert die AfD-<br />
Fans nicht. Sie gehen einfach an ihren<br />
Gegnern vorbei. Einige schauen<br />
fast etwas stolz auf die drei Polizeiautos<br />
an der Ecke und erzählen sich<br />
noch mal, wie der Andreas es den anderen<br />
mal wieder gezeigt hat.<br />
Jens Blankennagel<br />
denkt, dass Kalbitz in der<br />
Bundespartei aufsteigt.