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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 192 · D ienstag, 20. August 2019 5 *<br />
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Politik<br />
Sudanesische Revolutionsoper<br />
Die Opposition einigt sich mit den Militärs auf eine Übergangslösung. Ein „Souveräner Rat“ wird zunächst von einem Militär geführt, die Regierung von einem Zivilisten<br />
VonJohannes Dieterich<br />
Stellt man sich die sudanesische<br />
Revolution als eine<br />
Oper vor, dann sind die Ouvertüre<br />
und die ersten beiden<br />
Akte inzwischen gespielt. Die<br />
Ouvertüre begann Ende vergangenen<br />
Jahres, als Tausende Demonstranten<br />
in allen größeren Städten<br />
des Landes auf die Straße gingen,<br />
um gegen den Machtmissbrauch<br />
und die Misswirtschaft des Regimes<br />
von Omar al-Baschir zu protestieren.<br />
Der seit 30 Jahren herrschende<br />
islamistische Militärdiktator reagierte,<br />
wie es seinem Naturell entsprach:<br />
mit brutaler Gewalt und politischen<br />
Winkelzügen. Sie nützten,<br />
anders als in zahlreichen anderen<br />
Tragödien seiner Amtszeit, diesmal<br />
nichts.<br />
Seine Gegenspieler, die sudanesische<br />
Bevölkerung, hatten aus ihren<br />
Niederlagen gelernt: Statt sich<br />
mit einer der etablierten, aber<br />
längst verschlissenen Oppositionsparteien<br />
oder Rebellengruppen zu<br />
verbünden, organisierte die Bürgerbewegung<br />
ihren eigenen Widerstand:<br />
streng geheim, hochgradig<br />
diszipliniert, kompromisslos friedlich<br />
und kommunikationstechnologisch<br />
auf dem letzten Stand. Al-Baschirs<br />
Kettenhunde vom Geheimdienst<br />
zeigten sich dieses Mal überrumpelt.<br />
Der erste Akt begann mit einem<br />
Paukenschlag. Mit einem mutigen<br />
Zug vor das Hauptquartier der<br />
Streitkräfte gelang es den friedlichen<br />
Demonstranten, die Sympathie<br />
zumindest der niederen Ränge<br />
der Soldateska zu gewinnen: Sie<br />
stammen aus denselben Familien<br />
wie ihre zivilen Geschwister und<br />
fühlten sich in den unzähligen<br />
Kriegsspielen ihres Oberbefehlshabers<br />
ohnehin verheizt. Die Offiziere<br />
gerieten in Panik: Um einen radikalen<br />
Umsturz zuverhindern, opferten<br />
sie ihren Chef, der seitdem offiziell<br />
hinter Gittern, inoffiziell im<br />
Hausarrest sitzt. DasThema des ersten<br />
Aktes, der friedliche Umsturz,<br />
kam zu seinem Höhepunkt.<br />
Vonder Hemiti-Miliz droht Gefahr<br />
Demonstranten feiernamMontag in Khartum die Einigung mit den Militärs.AFP/AHMED MUSTAFA<br />
Im zweiten Akt das, was man in der<br />
Musiktheorie die Umkehrung nennt.<br />
Das Thema ging auf die Gegenspieler<br />
über –die im Amt verbliebenen<br />
Protagonisten des Regimes, die zu<br />
retten suchen, was zu retten ist. Ihr<br />
Thema war der Fortbestand staatlicher<br />
Ordnung: Das Land musste vor<br />
dem angeblich drohendem Chaos<br />
geschützt werden, wozu –leider! –<br />
auch hartes Durchgreifen nötig war.<br />
Die Miliz der grauen Eminenz, des<br />
Generals Mohamed Hamdan Dagalo<br />
(alias Hemiti), suchte den Widerstand<br />
des aufständischen Volks zu<br />
brechen: Bei der Räumung der „Revolutionsmeile“<br />
vor dem Hauptquartier<br />
der Streitkräfte wurden fast<br />
150 friedliche Demonstranten niederkartätscht.<br />
Das Kalkül ging allerdings<br />
nicht auf: Wenige Tage später<br />
marschierte das Volk wieder zu Hunderttausenden<br />
auf der Straße.<br />
Der dritte Akt: die Durchführung.<br />
Den Militärs wird klar, dass<br />
sich das Problem nicht mit Panzerwagen<br />
aus dem Weg räumen lässt.<br />
DieAfrikanische Union schließt das<br />
Militärregime aus ihren Reihen aus,<br />
das Ausland beginnt sich um das sudanesische<br />
Drama zu kümmern.<br />
Auch die Opposition erkennt, dass<br />
sich die Maschinengewehre nicht<br />
aus der Welt singen lassen: Der einzige<br />
Ausweg sind Verhandlungen,<br />
lange Nächte, langwierige Gespräche.<br />
Das Wunder der sudanesischen<br />
Staatsoper: Die Durchführung beginnt<br />
tatsächlich harmonisch: Beide<br />
Seiten erreichen eine Einigung, wie<br />
die nächsten drei Übergangsjahre<br />
gestaltet sein sollen. Militärs und zivile<br />
Opposition sollen sich die Macht<br />
teilen, der paritätisch besetzte „Souveräne<br />
Rat“ wird zunächst von einem<br />
Militär geführt, die unter ihm<br />
angesiedelte Regierung von einem<br />
Zivilisten, dem erfahrenen UN-Ökonomen<br />
Abdalla Hamdok. Wäre Sudans<br />
Umsturz eine Sonate, würde<br />
jetzt alles zu einem glücklichen Ende<br />
kommen. Doch Sudans Drama ist<br />
eine Oper –und die zieht sich bekanntlich<br />
hin.<br />
Was noch alles passieren kann:<br />
Noch immer stromert die Miliz der<br />
grauen Eminenz Hemiti in Sudans<br />
Städten herum: Wird sie nicht aufgelöst<br />
oder in die reguläre Armee integriert,<br />
geht von ihr ständige Gefahr<br />
aus. Auch sind die Verantwortlichen<br />
des von ihnen angerichteten Blutbads<br />
noch immer frei: Darunter Hemiti<br />
selbst, der inzwischen behauptet,<br />
ein undisziplinierter Kommandant<br />
seiner Miliz habe das Massaker<br />
angerichtet.<br />
Al-Baschir vorGericht<br />
Al-Baschir hatte am Montag seinen<br />
ersten Gerichtstermin: Ihm wird allerdings<br />
nur vorgeworfen, Geld veruntreut<br />
zu haben –eine Anklage wegen<br />
Völkermordes und Kriegsverbrechen<br />
wie in Den Haag hat er<br />
nicht zu befürchten. Vorallem aber<br />
muss der „deep state“, das seit der<br />
Unabhängigkeit des Sudans vor<br />
mehr als 60 Jahren wuchernde wirtschaftlich-politische<br />
Wurzelwerk<br />
der Militärs, gejätet werden: Anders<br />
wird sich auch der ökonomische<br />
Ruin des Staates nicht verhindern<br />
lassen. Bis esindrei Jahren mit den<br />
freien und fairen Wahlen zur großen<br />
Coda der sudanesischen Oper kommen<br />
kann, wird aus Khartum noch<br />
mancher Paukenschlag zu hören<br />
sein. Bleibt nur zu hoffen, dass der<br />
uniformierte Kontrabass nicht für<br />
Misstöne sorgt.<br />
Johannes Dieterich würde<br />
gernevon sich sagen: „Ich<br />
bin ein Khartumer.“<br />
Antrittsbesuch<br />
in der Wüste<br />
Kramp-Karrenbauer reist zu Soldaten in Jordanien<br />
VonDaniela Vates<br />
Erst Parteichefin, dann Verteidigungsministerin<br />
–erst Kanzleramt,<br />
dann Wüste: Wenige Stunden<br />
nach dem Koalitionsausschuss zum<br />
Thema Mietrecht begegnete Annegret<br />
Kramp-Karrenbauer bei ihrer<br />
ersten Auslandsreise als Ministerin<br />
dem nächsten Koalitionsproblem.<br />
Das Mandat für die Bundeswehrsoldaten,<br />
die dortimRahmen der Anti-<br />
IS-Koalition stationiert sind, läuft<br />
Ende Oktober aus. Die SPD hat<br />
schon die jüngste Verlängerung nur<br />
widerstrebend hingenommen.<br />
Kramp-Karrenbauer machte ihr<br />
Bestreben deutlich, das Mandat zu<br />
verlängern. Sie gehe davon aus,<br />
„dass wir das Engagement weiter<br />
brauchen“, um den Kampf gegen die<br />
Terrororganisation Islamischer Staat<br />
fortzusetzen, sagte die CDU-Politikerin.<br />
„Wir verteidigen nicht die Sicherheit<br />
Jordaniens“, die Sicherheit<br />
Deutschlands und Europas werde<br />
ebenfalls verteidigt. Auch Außenminister<br />
Ayman Safadi betonte, er<br />
hoffe,dass die Bundeswehr ihreMission<br />
fortsetzen wird.<br />
DerKommandeur des internationalen<br />
Kontingents im jordanischen<br />
Al Azraq, Gero von Fritschen, warf<br />
Karten an dieWand, auf denen große<br />
rote Ovale die verbliebenen Einflussbereiche<br />
des IS in der Region zeigten.<br />
Die Sicherheit sei sehr fragil. Irakische<br />
Sicherheitskräfte seien noch<br />
Annegret Kramp-Karrenbauer und der jodanische<br />
Außenminister Ayman Safadi. AP<br />
nicht stark genug, um die Sicherheit<br />
zu garantieren. Der SPD-Außenexperte<br />
Nils Schmidt zeigte sich jedoch<br />
weiter skeptisch. Politisch werde<br />
man in der Region sicher weiter tätig<br />
sein. „Wie weit der militärische Fußabdruck<br />
geht, muss man sehen.“<br />
Kramp-Karrenbauers Vorgängerin<br />
Ursula von der Leyen habe 2018 zugesagt,<br />
dass sie andere Länder finden<br />
wolle,die den deutschen Auftrag<br />
übernehmen könnten, so Schmidt.<br />
Die Bundeswehr stelle eine „Kernfähigkeit<br />
des Einsatzes“, die andere<br />
Nationen nicht ersetzen könnten,<br />
widersprach vonFritschen. So könnten<br />
nur die deutschen Soldaten die<br />
von den Aufklärungsflugzeugen gelieferten<br />
Bilder detailliertauswerten.<br />
Überlegt wird offenbar, dass<br />
Deutschland künftig vermehrt zivile<br />
Organisationen in der Region fördert.<br />
Ob dies dazu führen würde,<br />
dass die Höchstgrenze von 800 Soldaten,<br />
die das Mandat derzeit vorsieht,<br />
reduziertwird, ist offen.<br />
Derzeit sind im Rahmen der Anti-<br />
IS-Mission rund 450 Soldaten im<br />
Einsatz in Jordanien und im Irak stationiert.<br />
Von Jordanien aus fliegen<br />
Bundeswehrsoldaten im Rahmen<br />
der Aufklärungsflüge über Syrien<br />
und angrenzenden Ländern. Dort<br />
sind rund 290 deutsche Soldaten stationiert.<br />
Im nordirakischen Erbil bilden<br />
rund 100 Bundeswehrsoldaten<br />
Sicherheitskräfte aus, weitere<br />
50 deutsche Soldaten tun dies in der<br />
Nähe der Hauptstadt Bagdad.<br />
Diskutiertwirdauch, ob die Bundeswehr<br />
im Persischen Golf eingesetzt<br />
werden sollte. Nachdem die<br />
USA das Atomabkommen mit dem<br />
Iran aufgekündigt hatte, hat sich die<br />
Lage dort zugespitzt: Der Iran hat<br />
britische Frachtschiffe festgesetzt.<br />
Die Aufforderung der USA, sich an<br />
einem US-geführten Einsatz zu beteiligen,<br />
hat die Bundesregierung<br />
bislang abgelehnt. Nun wird über<br />
eine zusätzliche Missionunter Kommando<br />
der EU beraten. Ein Mandat<br />
derVereinten Nationen, wie es für internationale<br />
Einsätze eigentlich üblich<br />
ist, steht nicht zur Debatte.<br />
Fossilfreileben<br />
innerhalb einer<br />
Generation.<br />
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