Leseprobenheft BuchBerlin 2019
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ihnen zugewiesenen Ort leben; ihn zu verlassen – egal wohin,<br />
egal warum – war im besten Fall allein mit einer Sondergenehmigung<br />
erlaubt.<br />
Ich entdeckte neulich ein Dokument in russischer Sprache im<br />
Internet, eine sogenannte Einverständniserklärung. Darin stand –<br />
sinngemäß übersetzt:<br />
Ich … bestätige hiermit, dass ich in diesen Ort … für alle<br />
Ewigkeit verbannt bin; mir ist auch bewusst – falls ich meinen<br />
Wohnsitz ohne Erlaubnis verlasse, werde ich mit zwanzig Jahren<br />
Lagerarbeit bestraft.<br />
Unterschrift …<br />
Freiwillig wurde diese Erklärung ganz bestimmt nicht abgegeben.<br />
Wer sollte damit wohl einverstanden sein? Mir fehlten die Worte,<br />
als ich den Inhalt dieser wenigen Zeilen richtig begriff …<br />
Übrigens wurden die in Russland lebenden Deutschen erst 1956<br />
– nach Stalins Tod – von ihrer kollektiven Mitschuld am Zweiten<br />
Weltkrieg freigesprochen und durften sich wieder frei im Land<br />
bewegen. In den Ort, in dem sie einmal ihr Zuhause hatten,<br />
kehrte jedoch kaum einer von ihnen zurück. Zu tief saß die<br />
Angst vor neuen Verfolgungen und außerdem waren sie dort<br />
nicht willkommen, denn die Häuser, die sie einst bewohnt oder<br />
besessen hatten, waren längst im Besitz von Fremden, mitunter<br />
sogar von ihren früheren Nachbarn, die das Glück hatten, keine<br />
Deutschen zu sein.<br />
Was mir in dieser oben erwähnten Einverständniserklärung sofort<br />
ins Auge fiel – sie war von einem Mann mit dem Nachnamen<br />
Hetterle unterzeichnet worden – das war auch der Mädchenname<br />
meiner Mutter. Leider ist es mir nicht gelungen, herauszufinden,<br />
ob es wirklich um einen Verwandten handelte. Jedoch habe ich<br />
mir vorgenommen, mich demnächst eingehender mit der<br />
Ahnenforschung zu befassen …<br />
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