Leseprobenheft BuchBerlin 2019
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Ja, für die Russland-Deutschen hatte das Wort Heimat mehrere<br />
›Gesichter‹, darunter ziemlich hässliche, wie ich versucht habe zu<br />
schildern.<br />
Auch mir fehlte die feste Bindung an dieses Land, das sich stolz<br />
mit dem Namen Vaterland brüstete.<br />
Zuweilen überkam mich in Russland das seltsame Gefühl, als<br />
gäbe es in meinem tiefsten Inneren eine angeborene Erinnerung;<br />
ich bildete mir sogar ein, etwas Schemenhaftes ausmachen zu<br />
können …<br />
Eine fremde Straße? … Fremdartige Häuser? … Dunkles Grün<br />
in der Abenddämmerung? …<br />
Im Verlauf einer Unterhaltung mit meiner Arbeitskollegin zum<br />
Thema Heimat – es war vielleicht um 1982 – gestand ich, dass ich<br />
mir insgeheim wünschte, ich könne wenigstens einmal durch eine<br />
Stadt gehen und die Menschen ringsum nur Deutsch reden hören.<br />
Die Kollegin war ob dieses seltsamen Wunsches sehr verwundert.<br />
Vermutlich dachte sie: ‚Die spinnt doch!‘<br />
Nun, gesponnen oder nicht: Zehn Jahre später wurde mein<br />
Traum wahr. Das hätte auch ich damals nicht für möglich<br />
gehalten.<br />
Nein, ich sehne mich nicht zurück, würde nie mehr in Russland<br />
leben wollen, denn mein Herz sagt mir: Dort wärst du tief<br />
unglücklich, dort hättest du dein Leben nie so leben können, wie<br />
du es für richtig hältst, dort hättest du dich verstecken, deine dir<br />
eigene Natur verleugnen müssen. Und vor allem wärst du dort nie<br />
den Ursachen deiner Depressionen und Panikanfälle auf den<br />
Grund gegangen, hättest nie gelernt, sie zu bewältigen. Du wärst<br />
in deinem schlimmsten Albtraum gefangen geblieben.<br />
Mein Herz sagt mir: Deine Heimat ist hier – in dem<br />
sauerländischen Städtchen Hemer, wo du dich wohl und zuhause<br />
fühlst.<br />
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