Leseprobenheft BuchBerlin 2019
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und Moni spielten derweil auf der Couch mit den wiedergefundenen<br />
Puppen und einer Riesenmuschel. Trudl hatte sie<br />
beim Aufräumen unter den fremden Dingen entdeckt, sie Moni<br />
ans Ohr gehalten und ihr weisgemacht, darin sei das Rauschen<br />
des großen Wassers zu hören, das man Meer nannte.<br />
Moni hatte gelauscht und behauptet: „Nein, die Englein singen.”<br />
Bärbel begutachtet die Muschelgeräusche ebenfalls und erklärte<br />
altklug: „Dummchen! Das ist Rauschen, kein Singen.” In gewisser<br />
Hinsicht spürte man schon, dass die Große reif für die Schule<br />
war. Eigentlich hätte sie Ostern eingeschult werden sollen,<br />
stattdessen war sie im Februar in Dresden knapp dem Tod<br />
entgangen. Nun würde Bärbel wohl noch ein weiteres Jahr auf<br />
den herbeigesehnten ersten Schultag warten müssen.<br />
In der zweiten Nacht nach der Rückkehr schlief Trudl mit den<br />
Kindern im Ehebett. Die Wolldecken waren rechtzeitig trocken<br />
geworden.<br />
Einer der folgenden Tage bescherte Vogts und Trudl eine<br />
unangenehme Überraschung – das Haus erhielt Einquartierung.<br />
In den späten Morgenstunden ratterten zwei russische Armee-<br />
Autos auf den Hof. Die rauen Zurufe in fremder Sprache, die<br />
schlagenden Türen verhießen nichts Gutes. Trudl schlug das Herz<br />
bis zum Hals, als jemand an ihre Wohnungstür pochte. Noch ehe<br />
sie sich gefasst hatte, lief Bärbel in den Korridor und schob den<br />
Riegel zurück, den Vogt an der Tür anstelle des defekten<br />
Schlosses angebracht hatte. Draußen stand ein russischer Offizier.<br />
Er trat nicht ein, musterte das Kind nur freundlich und fragte<br />
Trudl in Deutsch, ob sie hier wohne. Als sie dies bejahte, erklärte<br />
er: „Wir besetzen Räume unten. Kommandantur! Dürfen bleiben,<br />
wenn wollen. Ich verspreche, keine Gefahr für Frau. Charaschò?”<br />
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