31.08.2019 Aufrufe

Leseprobenheft BuchBerlin 2019

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wohin du gehen wirst<br />

Zeitgeschichtlicher Familienroman<br />

Im Mai 1915 wurden auf dem Weg zur Grube ’Kamerad’ zwei<br />

lange Baracken gebaut und mit einem hohen Stacheldrahtzaun<br />

umgeben. Eines Nachmittags rannte der dürre Klaus durchs<br />

Dorf, als seien die Hunde hinter ihm her, und schrie: „De<br />

Franzen komm’! De Franzen komm’!“<br />

Tatsächlich folgte ihm ein Zug Kriegsgefangener, mindestens<br />

hundert Männer. Sie trotteten durch Naundorf hindurch und<br />

verschwanden in den Baracken hinter dem Stacheldraht.<br />

Die Franzosen arbeiteten in der Grube ’Kamerad’ und wurden<br />

von Merseburg aus mit Nahrungsmitteln versorgt.<br />

„Die kriegn mehr, als unsereener uff ’n Tisch bring’ kann“,<br />

ärgerten sich die Bergarbeiter.<br />

In den ersten Tagen pilgerten die Schulkinder nachmittags zu den<br />

Baracken und bestaunten die Fremden wie Zootiere. „Die hahm<br />

ja jarkeene Jewehre“, wunderte sich Alfred.<br />

„Du kommst uff Ideen!“, spottete Else. „Die hahm unsre den’<br />

doch abgenomm’. Was denkst’n, was die machen würd’n, wenn<br />

sie eens inne Hand kriegt’n? Die ballern damit inner Gegend rum<br />

und schießen dich ohne Gnade in’ Arsch.“<br />

Das leuchtete Alfred ein. Die Franzosen blieben besser ohne<br />

Gewehre! Wenigstens musste er dann nicht auf seinen Hintern<br />

achtgeben. Das Begucken wurde schnell langweilig, denn die<br />

Männer sahen aus wie alle anderen Leute. Wenn der Stacheldraht<br />

und die Gerüchte über die bessere Verpflegung nicht gewesen<br />

wären, hätten vermutlich sogar die Erwachsenen die Gefangenen<br />

vergessen.<br />

87

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!