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Leseprobenheft BuchBerlin 2019

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viel darum gegeben, wenn Moni aus dem gleichen Grund wach<br />

geworden wäre. Aber die Kleine lag still und flach atmend unter<br />

dem dürftigen Federbett. Bärbels Bauchkrämpfe wiederholten<br />

sich. Käthe und Trudl legten ihr ein Gummilaken aus<br />

Kleinkinderzeiten unter, ein mehrfach gefaltetes Leinentuch<br />

darauf und ließen den Dingen ihren Lauf. Das Kind kam nicht<br />

einmal mehr beim qualvollen Pressen zu sich. Das Thermometer<br />

zeigte 40° Fieber an. Gegen sieben Uhr abends erschien endlich<br />

der Tierarzt. Er war einer russischen Streife in die Hände gefallen,<br />

die unbedingt einen Faschisten festnehmen wollte. Schließlich<br />

hatte man ihn gehen lassen.<br />

Der alte Mann setzte sich zu Moni ans Bett, nahm die kleine,<br />

noch warme Hand in die seine und strich ihr über das Köpfchen.<br />

„Sie ist tot”, sagte er leise.<br />

„Nein”, widersprach Trudl. „Sie hat eben noch geatmet.”<br />

„Das glaube ich gern”, versicherte der Arzt. „Kinder in diesem<br />

Alter wehren sich nicht gegen den Tod und sterben daher<br />

friedlich und fast unbemerkt.”<br />

Schluchzend nahm Trudl die Kleine in den Arm. Auch Käthe<br />

weinte, aber jemand musste jetzt handeln. Sie schlug die Decke<br />

über Bärbel zurück und der Doktor nahm das fiebernde Kind in<br />

Augenschein, betrachtete den blutigen Schleim. Dann winkte er<br />

Käthe ins Wohnzimmer und schloss die Tür.„Ich dachte es mir<br />

schon”, sagte er leise. „Es ist bei beiden Kindern Typhus. Sie<br />

haben sich vermutlich erst hier infiziert. Ich weiß, dass die<br />

Wohnungen als Abtritte missbraucht wurden. Auch in der<br />

russischen Armee grassieren Ruhr und Typhus. Exkremente sind<br />

tückische Krankheitsherde. Die Kleine ist so schnell gestorben,<br />

weil ihr Kreislauf überfordert war. Die Größere könnte es bei<br />

richtiger Medikation schaffen, am Leben zu bleiben. Ich kann<br />

aber nur eine Pferdekur anbieten und das meine ich wörtlich.”<br />

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