Leseprobenheft BuchBerlin 2019
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Hawwes jeseh’n! Hawwes jeseh’n! ”, trompetete er in aller Frühe<br />
vor Kassaus Haus. Der Gendarm – in Hemd und Unterhose –<br />
wurde aus Klausis verworrener Geschichte nicht klug, begriff<br />
nur, dass irgendwo irgendjemand tot herumlag. Erst Ernst Kluges<br />
Meldung brachte Licht ins Dunkel. Der dürre Klaus führte<br />
Kassau und den Ortsvorsteher nun aufs Feld, wo einer der<br />
Kumpel bei Beckers Leiche Wache hielt. „Na und, Klaus?“,<br />
bohrte Kassau. „Wen hast du gesehen?“<br />
Klausi griente, machte kehrt und stampfte auf das<br />
Gefangenenlager zu.<br />
Letztendlich kam heraus: Zwei Franzosen aus der ’Stacheldraht-<br />
Kolonie’, wie die Naundorfer das Lager nannten, hatten einen<br />
Weg durch den Zaun gefunden und waren von Becker beim<br />
Kartoffelbuddeln erwischt worden. Einer gegen zwei, das konnte<br />
natürlich nicht gut ausgehen. Die kampferprobten Soldaten<br />
hatten ihn nicht umbringen wollen, aber zu kräftig zugeschlagen<br />
und dem alten Mann das Lebenslicht ausgelöscht.<br />
Plötzlich befand sich der Krieg mitten im Dorf. Hier deutsch, da<br />
französisch – und zumeist gnadenloser Hass auf deutscher Seite!<br />
„Gleich abmurksen!“, verlangten die einen. „Vors Kriegsgericht!“,<br />
rieten die Besonnenen.<br />
Nur die alten Frauen murmelten: „Ach, die Ärmsten! Die<br />
hungern eben ooch. Nischt is mit Sonderverpflegung. Hätt’<br />
Becker se doch klauen lassen, dann wär’ er ooch noch am<br />
Leben.“<br />
Pastor Redlich nahm die Tat zum Anlass, im Religionsunterricht<br />
der Großen über das fünfte Gebot zu sprechen: ’Du sollst nicht<br />
töten’. Natürlich klammerte er das länderübergreifende Morden<br />
aus – das war ja etwas ganz anderes: Da kämpfte Gott mit,<br />
selbstverständlich auf Seiten der Deutschen!<br />
90