Leseprobenheft BuchBerlin 2019
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Im Juni des Jahres 1915 stand Alfred wieder einmal quäkend –<br />
wie Else es nannte – unter der Wilhelms-Eiche, diesmal im Kreis<br />
der Großfamilie Kluge. Die jüngeren Brüder seines Vaters waren<br />
gefallen. Friedrich Georg war unverheiratet gewesen, Ernst<br />
Eduard jedoch hinterließ eine Frau und vier Kinder. Alfred<br />
schluchzte hinreichend für alle, die keine Tränen hatten oder sie<br />
zurückhielten. Er erhielt deshalb fast mehr Zuspruch als die<br />
Witwe.<br />
Der Krieg machte sich inzwischen im täglichen Leben<br />
empfindlich bemerkbar, vor allem bei den Ärmeren. Zu Beginn<br />
des Jahres waren Brotkarten eingeführt worden und solche ’zur<br />
Empfangnahme von Butter, Margarine – Pflanzenfett’. 5 Rose markierte<br />
das Brot auf der Rückseite. Dennoch fehlte immer wieder ein<br />
Stück und keins der Kinder wollte es gewesen sein. Zuletzt<br />
schloss sie das Brot in der Truhe ein und nahm den Schlüssel<br />
überallhin mit.<br />
Auch Seife wurde rationiert. Almas duftendes Weihnachtsgeschenk<br />
lag noch unberührt zwischen der Bettwäsche im<br />
Schrank – jedenfalls dachte Rose das. Als sie sich eines Tages<br />
entschloss, die kostbare Reserve für das Einreiben stark<br />
verschmutzter Wäsche zu verwenden, suchte sie jedoch<br />
vergeblich danach. „Wer von euch war an der Seefe?“, fragte sie,<br />
als die Mädchen aus der Schule kamen. Else und Lydia blickten<br />
verständnislos, Hilde dagegen rief, sie habe etwas vergessen und<br />
müsse noch mal …<br />
Rose erwischte und schüttelte sie. „Wo is die Seefe?“<br />
Hilde schwieg verstockt, aber Lydia ging plötzlich ein Licht auf.<br />
Sie verschwand in der Schlafkammer und kam mit einem Kamm<br />
und einem Handspiegel zurück. „Ich hab mich gewundert, woher<br />
Hilde das Zeug hat“, rief sie empört und hielt beides empor. „Nu<br />
weeß ich’s.“<br />
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