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Berliner Kurier 02.10.2019

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10 BERLIN BERLINER KURIER, Mittwoch, 2. Oktober 2019*<br />

Schon im Gericht hinter<br />

Gittern: Einige der Rocker<br />

auf der Anklagebank im<br />

Kriminalgericht Moabit<br />

Lebenslang für Rockerboss<br />

–und der findet es lustig<br />

Wegen des Mordes an Tahir Ö. werden der Hells Angel und acht seiner Kumpane verurteilt<br />

Moabit – Am 300. Prozesstag<br />

fiel das Urteil: Lebenslange<br />

Haft für acht Hells Angels, darunter<br />

Rocker-Boss Kadir P.<br />

(35). Schuldigdes kaltblütigen<br />

Mordes an Tahir Ö. (26).<br />

Der Rocker-Chef lachte respektlos,<br />

warf Kusshände in<br />

Richtung der Zuschauerbänke.<br />

Wütend zeigte sich Recep O.<br />

(30), der Todesschütze. Mit<br />

Wucht drosch er seine Faust<br />

gegen das Panzerglas.<br />

Richter Thomas Groß: „Kadir<br />

P. ist der Anstifter einer mörderischen,<br />

weil heimtückischen<br />

und aus niedrigen Beweggründen<br />

begangenen Tat.“ Er nannte<br />

den Rocker-Boss ein „dissoziales<br />

Alphatier“, laut und aggressiv.<br />

Ein Überfallkommando habe<br />

Tahir Ö. getötet. Es sei um die<br />

„martialische Ehre“ des Rocker-Clubs<br />

gegangen und um<br />

eine Machtdemonstration.<br />

Richter: „Schwerste Gewalttaten<br />

sollten ihren Ruf festigen.“<br />

Die Todesschüsse auf Tahir<br />

Ö. am 10. Januar 2014. Ein<br />

Trupp von 13 Vermummten<br />

marschiert in das Wettbüro in<br />

der Reinickendorfer Residenzstraße.<br />

Im Hinterzimmer dann<br />

laut Anklage eine Hinrichtung.<br />

Ö. hatte sich in den Wochen zuvor<br />

abfällig über die Gang um P.<br />

geäußert. Die Hells Angels erlitten<br />

auch drei Monate vor<br />

dem Anschlag bei einer Prügelei<br />

eine Schmach.<br />

Der Leichnam des erschossenen Tahir Ö. wird aus dem Wettbüro„Expekt“ an der Residenzstraße abtransportiert.<br />

Zuvor hatte ein Notarzt eine Stunde lang vergeblich versucht,sein Leben zu retten.<br />

Der Mann an der Spitze zieht<br />

eine Knarre, zielt auf Tahir Ö.,<br />

ein Bandidos-Sympathisant. Er<br />

hatte auch eine Knarre. Sie<br />

steckte aber in der Jacke, die<br />

über einem Stuhl hing. Der<br />

Richter: „Er rechnete nicht mit<br />

einem Angriff.“ Acht Kugeln in<br />

fünf Sekunden. Sechs Kugeln<br />

treffen das Opfer. Nach 25 Sekunden<br />

sind alle Täter weg. Es<br />

geschah vor laufender Überwachungskamera.<br />

Der Richter:<br />

„Recep O. ging mit ausgestrecktem<br />

Arm auf Ö. zu.“ Danach<br />

hätten sich die Angreifer<br />

„sportlich entspannt“ zu ihren<br />

Autos begeben. Essen seien sie<br />

gefahren. Richter Groß: „Das<br />

war kein aus dem Ruder gelaufenes<br />

Geschehen, bei dem einer<br />

versehentlich erschossen wurde.“<br />

So hatten es einige Angeklagte<br />

behauptet.<br />

Kadir P. bekam nun lebenslang<br />

wegen Anstiftung. Wegen<br />

gemeinschaftlichen Mordes erhielten<br />

Recep O., Marko P. (35),<br />

Rami El-S. (37), Steve S. (37),<br />

Selim B. (36), Marcel K. (33)<br />

und Cenkay T. (31) lebenslang.<br />

Mit Kassra Z. (32), der ebenfalls<br />

zu dem Trupp im Wettbüro gehörte,<br />

wurde ein neunter Angeklagter<br />

wegen Mordes verurteilt.<br />

Er aber hat ausgepackt,<br />

gilt als „Kronzeuge“ gegen seine<br />

einstigen Rocker-„Brüder“.<br />

Für ihn gab es „nur“ zwölf Jahre<br />

Knast. Diesen neun Angeklagten<br />

aber wurde eine Art Abschlag<br />

gewährt: Jeweils rund<br />

zwei Jahre der Strafe gelten als<br />

verbüßt. Auch die U-Haft wird<br />

angerechnet –bei P. und seinen<br />

Gefolgsleuten sind es bis zu<br />

fünf Jahre und acht Monate.<br />

Somit sind rund siebeneinhalb<br />

Jahre erledigt. Damit reagierte<br />

das Gericht auf Fehler von Ermittlungsbehörden.<br />

Obwohl<br />

bekannt war, dass es einen Anschlag<br />

auf Tahir Ö. geben könnte,<br />

seien Maßnahmen wie Gefährderansprachen<br />

unterblieben,<br />

so die Begründung.<br />

Es ist der bislang größte Rocker-Prozess<br />

in Berlin. Fast<br />

fünf Jahre verhandelte das<br />

Landgericht, befragte 346 Zeugen<br />

und 26 Sachverständige.<br />

Die Kosten wuchsen auf einen<br />

zweistelligen Millionenbetrag.<br />

Weil Rache-Aktionen nicht<br />

ausgeschlossen wurden, waren<br />

stets um die 50 Polizisten und<br />

Wachtmeister im Einsatz.<br />

Bei den Angeklagten von Respekt<br />

keine Spur: Die Rocker<br />

tuschelten, feixten, lachten. Ein<br />

zehnter Angeklagter wurde lediglich<br />

wegen Waffenbesitzes<br />

zu 22 Monaten Haft verurteilt.<br />

Mit dem Urteil aber ist der Fall<br />

nicht abgeschlossen: Mehrere<br />

Verteidiger kündigten Revision<br />

an. Dann muss der Bundesgerichtshof<br />

prüfen. KE.

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