STAHL + TECHNIK 11 2019 Leseprobe
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40 | STATEMENT<br />
Paul Wurth stellt sich den Megatrends „Decarbonisierung“ und „Industrie 4.0“<br />
Eine Industrie im Wandel<br />
An der Seite unserer Kunden erleben wir jeden Tag, dass die Stahlbranche aktuell mit großen<br />
Herausforderungen, besonders in der Energie- und Klimapolitik konfrontiert ist. Mit rd. 7 % der globalen CO 2 -<br />
Emissionen zählt die Eisen- und Stahlindustrie zu den größten industriellen Emittenten von Treibhausgasen. Im<br />
Hinblick auf die Ziele des Pariser Klimaabkommens zur Begrenzung der globalen Erderwärmung müssen<br />
Stahlwerkseigner und -betreiber drastische Maßnahmen ergreifen, um den Vorgaben für die zukünftige<br />
Reduzierung der CO 2 -Emissionen nachzukommen. Eines der heute wahrscheinlichsten Szenarien, das auch wir<br />
als Anlagenbauer befürworten, ist die wasserstoffbasierte Eisenerzreduktion, bei der grüner Wasserstoff den<br />
fossilen Kohlenstoff im Reduktionsprozess ersetzt. Eine besondere Herausforderung dabei ist aber die Produktion<br />
von erneuerbarem Wasserstoff im industriellen Maßstab und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten.<br />
Georges Rassel, Vorstandsvorsitzender,<br />
Paul Wurth und Geschäftsbereichsleiter<br />
Metallurgie und Umweltschutz, SMS<br />
group GmbH (Foto: Mike Zenari)<br />
W<br />
ährend verschiedene unserer<br />
Kunden, wie Salzgitter, thyssenkrupp<br />
und Tata Steel, den technologischen<br />
Umstieg auf wasserstoffbasierte<br />
Stahlherstellung heute schon<br />
konkret ins Auge fassen und bis 2050 vollziehen<br />
möchten, versuchen andere integrierte<br />
Hüttenwerke die CO 2 -Bilanz ihrer<br />
koksbasierten Hochofentechnik über eine<br />
schrittweise Umsetzung von CO 2 -reduzierenden<br />
Maßnahmen zu verbessern. So<br />
wie Paul Wurth über Jahrzehnte die Technik<br />
der traditionellen Roheisenherstellung<br />
dank seiner revolutionären Erfindungen,<br />
wie etwa dem glockenlosen Gichtverschluss,<br />
geprägt hat, möchten wir auch<br />
heute unsere Kunden auf dem Weg zu<br />
einer CO 2 -armen bzw. CO 2 -freien Eisenerzreduktion<br />
begleiten, Bild 1.<br />
Hin zu grünem Stahl<br />
Unsere Überlegungen zum Einsatz von<br />
Wasserstoff in der Roheisenherstellung<br />
brachten uns in Kontakt mit dem deutschen<br />
Clean-Tech-Unternehmen Sunfire GmbH<br />
aus Dresden, an dem wir im Dezember<br />
2018 eine Minderheitsbeteiligung übernahmen.<br />
Sunfire entwickelt und produziert<br />
eigene Hochtemperatur-Elektrolyseure<br />
(SOEC) und Hochtemperatur-Brennstoffzellen<br />
(SOFC). Grüner Wasserstoff wird auf<br />
Basis von Ökostrom in der effizienten<br />
Hochtemperatur-Elektrolyse durch Nutzung<br />
von Abwärme in Form von Wasserdampf<br />
etwa aus Industrieprozessen erzeugt.<br />
Georges Rassel, Vorstandsvorsitzender, Paul Wurth und Geschäftsbereichsleiter<br />
Metallurgie und Umweltschutz, SMS group GmbH, Düsseldorf.<br />
In der Stahlerzeugung über die Wasserstoff-Route<br />
reduziert der erzeugte Wasserstoff<br />
das Eisenerz in einer Direktreduktionsanlage.<br />
Danach würde in einem mit<br />
erneuerbarer Energie betriebenen Elektrolichtbogenofen<br />
grüner Stahl produziert<br />
werden. Als Lizenznehmer für den Bau von<br />
Midrex ® -Direktreduktionsanlagen und<br />
angesichts der führenden Position der<br />
SMS group im Bereich Elektroöfen sind<br />
wir optimal aufgestellt, die Entwicklung<br />
innovativer, CO 2 -freier Lösungen zur Stahlherstellung<br />
voranzutreiben, Bild 2.<br />
Zusammen mit Sunfire, Paul Wurth und<br />
anderen Partnern ist der Salzgitter-Konzern<br />
derzeit dabei, die weltweit leistungsstärkste<br />
Hochtemperatur-Elektrolyse<br />
(HTE) zur energieeffizienten Wasserstofferzeugung<br />
zu errichten. Mit GrInHy2.0<br />
wird erstmals im industriellen Umfeld eine<br />
Hochtemperatur-Elektrolyse mit einer<br />
elektrischen Nennleistung von 720 kW<br />
realisiert, Bild 3. Sie soll bis Ende 2022<br />
mindestens 13.000 Stunden in Betrieb<br />
sein und insgesamt etwa 100 t Wasserstoff<br />
von hoher Reinheit (99,98 %) liefern.<br />
Dieser wird für Glühprozesse im integrierten<br />
Hüttenwerk genutzt.<br />
Sunfire plant derzeit Multi-Megawatt-Großprojekte<br />
unter Einsatz der Hochtemperatur-Elektrolyse<br />
zu realisieren. Der<br />
erzeugte Wasserstoff kann direkt genutzt<br />
oder über weitere Prozessschritte, auch<br />
mit Power-to-Liquid-Technologien bezeichnet,<br />
zu synthetischen Treibstoffen, sogenannten<br />
e-Fuels, gewandelt werden. In<br />
der neuesten Produktvariante kann die<br />
Hochtemperatur-Elektrolyse nicht nur<br />
Wasser, sondern auch CO 2 reaktivieren<br />
und so auf dem direktesten Weg wieder<br />
in einen sauberen Rohstoff zurückverwan-<br />
<strong>STAHL</strong> + <strong>TECHNIK</strong> 1 (<strong>2019</strong>) Nr. <strong>11</strong>