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JOURNAL<br />
Das Leid<br />
der kleinen<br />
Zümra<br />
Die Fünfjährige aus Spandau ist schwerstbehindert.<br />
Sieist eines von etwa 4500 pflegebedürftigen Kindern<br />
in Berlin. Wasdas für die Eltern bedeutet,welche<br />
Einrichtungen sich kümmern. Ein KURIER-Report<br />
Zümra ist zuckersüß.<br />
Lustige Zöpfchen wippen<br />
rechts und links an<br />
ihrem Kopf, sie hat<br />
dunkle Kulleraugen. Auf den<br />
zweiten Blick auf das Kind in<br />
der Spielecke im Wohnzimmer<br />
der Familie A. in Spandau aber<br />
wird klar: Etwas stimmt nicht.<br />
Zümra ist zu klein für ihre fünf<br />
Jahre, die Augen rollen weg, sie<br />
sagt kein Wort, unter dem Bund<br />
des T-Shirts ragt ein Schlauch<br />
heraus. Zümra ist<br />
schwerbehindert,<br />
kann weder gehen<br />
noch ohne<br />
Lehne sitzen.<br />
Ein Gen-Defekt<br />
hat sie pflegebedürftig<br />
zur Welt<br />
kommen lassen.<br />
Zümra ist eines<br />
von geschätzt<br />
4500 Kindern in<br />
Berlin, die der<br />
Pflege bedürfen.<br />
Wie viele es sind, die wie sie<br />
eine Intensivpflegerund um die<br />
Uhr brauchen, ist nicht bekannt.<br />
Bekannt ist nur, dass<br />
diese Betreuung von zu wenigen<br />
Pflegediensten angeboten<br />
wird. Sie bleibt in aller Regel an<br />
den Eltern hängen. Viele bringt<br />
das an den Rand ihrer Kräfte,<br />
lässt Lebenspläne zusammenbrechen.<br />
Zümras Mutter Gülsüm (39)<br />
kann zwar einen Witz machen,<br />
als sie sich und ihre beiden<br />
Töchter vorstellt („türkisches<br />
Glücksrad –ich nehme ein Ü“)<br />
–aber sie hat sich ihr Leben anders<br />
vorgestellt. Der Gedanke,<br />
wieder als Zahnärztin zu arbeiten<br />
und eine eigene Praxis zu<br />
eröffnen, bleibt ein Traum, seitdem<br />
Zümra da ist –denn Vater<br />
Erdinc ist als selbstständiger<br />
Die<br />
Schwester<br />
von Zümra:<br />
„Ich fühle<br />
mich oft<br />
einsam.“<br />
Handelsvertreter viel unterwegs.<br />
Wir besuchen die Familie. Erdinc<br />
A. (39) kümmert sich um<br />
seine Tochter, während seine<br />
Frau erzählt. Das Kind liegt<br />
quer auf seinem Schoß, sanft<br />
klopft er ihm auf den Po. Zümra<br />
wird ganz ruhig.<br />
Die Mutter berichtet, dass<br />
schon während der Schwangerschaft<br />
klar wurde, dass in ihr<br />
kein gesundes Kind heranwächst.<br />
„Eine<br />
Abtreibung<br />
kam<br />
nicht infrage,<br />
im 6. Monat<br />
wäre es auch<br />
zu spät gewesen“,<br />
sagt<br />
sie.<br />
Neun Monate<br />
nach<br />
der Geburt<br />
kam die Diagnose:<br />
Wolf-Hirschhorn-Syndrom,<br />
ein nicht erblicher Gendefekt.<br />
Ein Stück Erbgut fehlt,<br />
die Entwicklung ist gestört.<br />
Bei Zümra geht das mit langanhaltenden<br />
Krämpfen, Essund<br />
Atemschwierigkeiten sowie<br />
immer wiederkehrenden<br />
Infektionen einher, kürzlich<br />
musste sie wegen einer Lungenentzündung<br />
ins Krankenhaus<br />
aufgenommen werden.<br />
Die Behinderung Zümras ist<br />
nicht nur eine Last für die Eltern.<br />
Auch die große Tochter<br />
(13) leidet, weil Zümra so viel<br />
Aufmerksamkeit bedarf: „Ich<br />
fühle mich oft einsam.“<br />
Es war ein langer Weg, bis<br />
sich die Zahnärztin Gülsüm A.<br />
an die Situation gewöhnt hatte:<br />
„Erst seit zwei Jahren kann ich<br />
darüber sprechen, ohne einen<br />
Kloß im Hals zu haben.“<br />
Fotos: Sabine Gudath<br />
Kümmern sich<br />
liebevoll um ihre<br />
Tochter Zümra:<br />
Erdinc A. (39)<br />
und seine Frau<br />
Gülsüm (39)