Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
POLITIK<br />
Neue Mauern,<br />
hohe Mauern<br />
MEINE<br />
MEINUNG<br />
Von<br />
Jan<br />
Sternberg<br />
Die langeNacht des<br />
Mauerfalls dauertebis<br />
ins Jahr1990und verschwimmtinder<br />
Rückschau<br />
zu einer einzigen kollektiven<br />
Freiluftparty. „Wahnsinn!“<br />
war das Wort der Saison.Der<br />
Katerkam, als wieder<br />
dieÄngsteübernahmen<br />
und derHass zurückkehrte.<br />
So leicht wieinder Nacht<br />
des Mauerfalls wurde es nie<br />
mehr, in Deutschland zusammenzukommen.<br />
Bei der<br />
Gedenkfeier zumMauerfall<br />
trugBundeskanzlerin Angela<br />
Merkel einGedicht des<br />
Lyrikers ReinerKunze über<br />
die Mauer vor:„Alswir sie<br />
schleiften, ahnten wirnicht,<br />
wie hoch sie ist in uns.“ Und<br />
Bundespräsident Steinmeier<br />
sprach vonden neuen Mauern,die<br />
nicht eine Diktatur<br />
gegen ihr Volk baut, sondern<br />
wir zwischen unsbauen.<br />
Während in Berlin gefeiert<br />
wurde, stellten sich in Bielefeld<br />
Tausende gegen Neonazis,die<br />
ausgerechnet an diesem<br />
Tagfür eine Holocaust-<br />
Leugnerin demonstrierten.<br />
Am 9. November,der auch<br />
der Tagder brennenden Synagogenist.Esgibt<br />
viele<br />
MauerninDeutschland,<br />
Mauerndes Hassesund der<br />
Sprachlosigkeit. Auch sie<br />
können tödlichsein.<br />
MANN DESTAGES<br />
Lorenzo Fioramonti<br />
An italienischen Schulen soll<br />
ab 2020 etwa eine Stunde<br />
pro Woche Klimaschutz<br />
unterrichtet werden. Bildungsminister<br />
Lorenzo<br />
Fioramonti<br />
(42), Mitglied<br />
der<br />
Fünf-Sterne-Bewegung,<br />
will<br />
das Fach ab<br />
nächstem<br />
September<br />
als Thema<br />
in der Schule einführen. 33<br />
Stunden plant er dafür ein,<br />
also rund eine Stunde pro<br />
Woche. In einem ersten<br />
Schritt soll es zunächst als<br />
Teil der Zivil- oder Staatsbürgerkunde<br />
gelehrt werden.<br />
Foto: Tagesspiegel/imago images<br />
Auch Steinmeier belebte die Mauer<br />
mit Rosen.<br />
Selfie-Kanzlerin: Passanten baten<br />
um ein Bild.<br />
Merkel (CDU) in der Kapelle der<br />
Gedenkstätte Bernauer Straße.<br />
Fotos: Kay Nietfeld/dpa (3), Michael Kappeler/dpa (2), Michael Sohn/POOL AP/dpa, Sean Gallup/Getty<br />
30 Jahre<br />
haben noch<br />
nicht gereicht<br />
Feiern zum Jahrestag des Mauerfalls. Danksagung an Osteuropa<br />
Berlin – Der 9. November war<br />
in Berlin grau, kalt und regnerisch,<br />
nasser als vor 30 Jahren,<br />
als die Mauer fiel. Und er war<br />
ein Tag voller Symbolik. Am<br />
Vormittag an der Mauer-Gedenkstätte<br />
Bernauer Straße<br />
durchlöcherten Bundespräsident<br />
Frank-Walter Steinmeier<br />
und Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel (CDU) mit Rosen<br />
symbolisch die Mauer.<br />
Merkel rief dazu auf, Hass,Rassismus<br />
und Antisemitismus entschlossen<br />
entgegenzutreten.<br />
Zugleich forderte sie die Menschen<br />
auf, sich nicht entmutigen<br />
Bielefeld –Der 9. November –<br />
im Bewusstsein unseres Landes<br />
ist das stets auch ein Tag der<br />
Trauer. Denn an jenem Tag<br />
1938 inszenierten die Nazis im<br />
ganzen Reich eine bis dahin<br />
beispiellose Gewaltorgie gegen<br />
jüdische Mitbürger und Einrichtungen.<br />
Dass ausgerechnet<br />
am Tag dieses Gedenkens Neonazis<br />
einer Partei, die sich „Die<br />
Rechte“ nennt, durch Bielefeld<br />
marschieren durften, ist an Zynismus<br />
wohl kaum zu überbieten.<br />
Ein zunächst ausgesprochenes<br />
Verbot war vom Verwaltungsgericht<br />
Minden gekippt<br />
worden.<br />
Mit ihrer Provokation gaben<br />
die Rechtsextremisten vor,<br />
gegen die Inhaftierung der Holocaust-Leugnerin<br />
Ursula Haverbeck<br />
protestieren zu wollen.<br />
Haverbeck sitzt in Bielefeld<br />
eine zweijährige Gefängnisstrafe<br />
ab, unter anderem weil<br />
sie in einem Interview gesagt<br />
hatte: „In Auschwitz hat es keine<br />
Vergasungen gegeben.“ Das<br />
Gericht hatte argumentiert,<br />
dass Haverbecks Leugnungen<br />
der Massenmorde nicht das<br />
Thema der Kundgebung seien,<br />
daher dürfe der Aufzug am historisch<br />
belasteten Jahrestag<br />
stattfinden. Zeitgleich gedachten<br />
gestern Bundespräsident<br />
Frank-Walter Steinmeier, der<br />
israelische Botschafter Jeremy<br />
Issacharoff und weitere Politiker<br />
in Berlin der Opfer der NS-<br />
Pogrome vor 81 Jahren.<br />
Foto: Fabian Strauch/dpa<br />
zu lassen. „Keine Mauer, die<br />
Menschen ausgrenzt und Freiheit<br />
begrenzt, ist so hoch oder so<br />
breit, dasssie nicht doch durchbrochen<br />
werden kann“, sagte die<br />
Kanzlerin. Und erinnerte an die<br />
Mauertoten und auch an all jene<br />
DDR-Bürger, „die unterdrückt<br />
wurden und ihre Träume begraben<br />
mussten“. Mit Blick aufdas<br />
Zusammenwachsen warb sie für<br />
Geduld: „Bei manchem, von dem<br />
man gedacht hat, dass es sich<br />
zwischen Ost und West angleichen<br />
würde, sieht man heute,<br />
dass es doch eher ein halbes<br />
Jahrhundert oder länger dauert“,<br />
hatte Merkel zuvor in<br />
Rechte Wirrköpfe mit den alten Reichsfahnen in Bielefeld.<br />
einem Interview mit der „Süddeutschen<br />
Zeitung“ gesagt.<br />
Am Ende der Andacht inder<br />
Versöhnungskapelle wurden<br />
Kerzen analle Teilnehmer verteilt.Pfarrer<br />
Thomas Jeutner erinnerte<br />
an die Rolle der Kerzen<br />
in der friedlichen Revolution<br />
1989, die zum Mauerfall führte:<br />
„Die Kerzen waren unser Zeichen.<br />
Wir gingen hinaus in der<br />
Hoffnung, dass das Licht sich<br />
ausbreiten möge.“ Dann stellten<br />
Merkel und die anderen Ehrengäste<br />
die im Novemberwindflackernden<br />
Kerzen vor den Mauerresten<br />
ab.<br />
Abends vor dem Brandenbur-<br />
Pogrom-Gedenkenund Hass<br />
Ausgerechnet am Jahrestag antijüdischer Ausschreitungen durften Nazis in Bielefeld demonstrieren