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Berliner Kurier 10.11.2019

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POLITIK<br />

Neue Mauern,<br />

hohe Mauern<br />

MEINE<br />

MEINUNG<br />

Von<br />

Jan<br />

Sternberg<br />

Die langeNacht des<br />

Mauerfalls dauertebis<br />

ins Jahr1990und verschwimmtinder<br />

Rückschau<br />

zu einer einzigen kollektiven<br />

Freiluftparty. „Wahnsinn!“<br />

war das Wort der Saison.Der<br />

Katerkam, als wieder<br />

dieÄngsteübernahmen<br />

und derHass zurückkehrte.<br />

So leicht wieinder Nacht<br />

des Mauerfalls wurde es nie<br />

mehr, in Deutschland zusammenzukommen.<br />

Bei der<br />

Gedenkfeier zumMauerfall<br />

trugBundeskanzlerin Angela<br />

Merkel einGedicht des<br />

Lyrikers ReinerKunze über<br />

die Mauer vor:„Alswir sie<br />

schleiften, ahnten wirnicht,<br />

wie hoch sie ist in uns.“ Und<br />

Bundespräsident Steinmeier<br />

sprach vonden neuen Mauern,die<br />

nicht eine Diktatur<br />

gegen ihr Volk baut, sondern<br />

wir zwischen unsbauen.<br />

Während in Berlin gefeiert<br />

wurde, stellten sich in Bielefeld<br />

Tausende gegen Neonazis,die<br />

ausgerechnet an diesem<br />

Tagfür eine Holocaust-<br />

Leugnerin demonstrierten.<br />

Am 9. November,der auch<br />

der Tagder brennenden Synagogenist.Esgibt<br />

viele<br />

MauerninDeutschland,<br />

Mauerndes Hassesund der<br />

Sprachlosigkeit. Auch sie<br />

können tödlichsein.<br />

MANN DESTAGES<br />

Lorenzo Fioramonti<br />

An italienischen Schulen soll<br />

ab 2020 etwa eine Stunde<br />

pro Woche Klimaschutz<br />

unterrichtet werden. Bildungsminister<br />

Lorenzo<br />

Fioramonti<br />

(42), Mitglied<br />

der<br />

Fünf-Sterne-Bewegung,<br />

will<br />

das Fach ab<br />

nächstem<br />

September<br />

als Thema<br />

in der Schule einführen. 33<br />

Stunden plant er dafür ein,<br />

also rund eine Stunde pro<br />

Woche. In einem ersten<br />

Schritt soll es zunächst als<br />

Teil der Zivil- oder Staatsbürgerkunde<br />

gelehrt werden.<br />

Foto: Tagesspiegel/imago images<br />

Auch Steinmeier belebte die Mauer<br />

mit Rosen.<br />

Selfie-Kanzlerin: Passanten baten<br />

um ein Bild.<br />

Merkel (CDU) in der Kapelle der<br />

Gedenkstätte Bernauer Straße.<br />

Fotos: Kay Nietfeld/dpa (3), Michael Kappeler/dpa (2), Michael Sohn/POOL AP/dpa, Sean Gallup/Getty<br />

30 Jahre<br />

haben noch<br />

nicht gereicht<br />

Feiern zum Jahrestag des Mauerfalls. Danksagung an Osteuropa<br />

Berlin – Der 9. November war<br />

in Berlin grau, kalt und regnerisch,<br />

nasser als vor 30 Jahren,<br />

als die Mauer fiel. Und er war<br />

ein Tag voller Symbolik. Am<br />

Vormittag an der Mauer-Gedenkstätte<br />

Bernauer Straße<br />

durchlöcherten Bundespräsident<br />

Frank-Walter Steinmeier<br />

und Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel (CDU) mit Rosen<br />

symbolisch die Mauer.<br />

Merkel rief dazu auf, Hass,Rassismus<br />

und Antisemitismus entschlossen<br />

entgegenzutreten.<br />

Zugleich forderte sie die Menschen<br />

auf, sich nicht entmutigen<br />

Bielefeld –Der 9. November –<br />

im Bewusstsein unseres Landes<br />

ist das stets auch ein Tag der<br />

Trauer. Denn an jenem Tag<br />

1938 inszenierten die Nazis im<br />

ganzen Reich eine bis dahin<br />

beispiellose Gewaltorgie gegen<br />

jüdische Mitbürger und Einrichtungen.<br />

Dass ausgerechnet<br />

am Tag dieses Gedenkens Neonazis<br />

einer Partei, die sich „Die<br />

Rechte“ nennt, durch Bielefeld<br />

marschieren durften, ist an Zynismus<br />

wohl kaum zu überbieten.<br />

Ein zunächst ausgesprochenes<br />

Verbot war vom Verwaltungsgericht<br />

Minden gekippt<br />

worden.<br />

Mit ihrer Provokation gaben<br />

die Rechtsextremisten vor,<br />

gegen die Inhaftierung der Holocaust-Leugnerin<br />

Ursula Haverbeck<br />

protestieren zu wollen.<br />

Haverbeck sitzt in Bielefeld<br />

eine zweijährige Gefängnisstrafe<br />

ab, unter anderem weil<br />

sie in einem Interview gesagt<br />

hatte: „In Auschwitz hat es keine<br />

Vergasungen gegeben.“ Das<br />

Gericht hatte argumentiert,<br />

dass Haverbecks Leugnungen<br />

der Massenmorde nicht das<br />

Thema der Kundgebung seien,<br />

daher dürfe der Aufzug am historisch<br />

belasteten Jahrestag<br />

stattfinden. Zeitgleich gedachten<br />

gestern Bundespräsident<br />

Frank-Walter Steinmeier, der<br />

israelische Botschafter Jeremy<br />

Issacharoff und weitere Politiker<br />

in Berlin der Opfer der NS-<br />

Pogrome vor 81 Jahren.<br />

Foto: Fabian Strauch/dpa<br />

zu lassen. „Keine Mauer, die<br />

Menschen ausgrenzt und Freiheit<br />

begrenzt, ist so hoch oder so<br />

breit, dasssie nicht doch durchbrochen<br />

werden kann“, sagte die<br />

Kanzlerin. Und erinnerte an die<br />

Mauertoten und auch an all jene<br />

DDR-Bürger, „die unterdrückt<br />

wurden und ihre Träume begraben<br />

mussten“. Mit Blick aufdas<br />

Zusammenwachsen warb sie für<br />

Geduld: „Bei manchem, von dem<br />

man gedacht hat, dass es sich<br />

zwischen Ost und West angleichen<br />

würde, sieht man heute,<br />

dass es doch eher ein halbes<br />

Jahrhundert oder länger dauert“,<br />

hatte Merkel zuvor in<br />

Rechte Wirrköpfe mit den alten Reichsfahnen in Bielefeld.<br />

einem Interview mit der „Süddeutschen<br />

Zeitung“ gesagt.<br />

Am Ende der Andacht inder<br />

Versöhnungskapelle wurden<br />

Kerzen analle Teilnehmer verteilt.Pfarrer<br />

Thomas Jeutner erinnerte<br />

an die Rolle der Kerzen<br />

in der friedlichen Revolution<br />

1989, die zum Mauerfall führte:<br />

„Die Kerzen waren unser Zeichen.<br />

Wir gingen hinaus in der<br />

Hoffnung, dass das Licht sich<br />

ausbreiten möge.“ Dann stellten<br />

Merkel und die anderen Ehrengäste<br />

die im Novemberwindflackernden<br />

Kerzen vor den Mauerresten<br />

ab.<br />

Abends vor dem Brandenbur-<br />

Pogrom-Gedenkenund Hass<br />

Ausgerechnet am Jahrestag antijüdischer Ausschreitungen durften Nazis in Bielefeld demonstrieren

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