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Interessieren Sie sich<br />
fürs Klima?“, fragt<br />
die Frau mit der<br />
Schirmmütze eine<br />
junge Dame in roter<br />
Jacke neben der Gedächtniskirche<br />
in<br />
Charlottenburg.<br />
Die Dame sitztneben dem<br />
Eingang und scheint verwirrt.<br />
Abernach einerWeile<br />
wird sie sich der kleinen<br />
Gruppe von Aktivisten anschließen,<br />
die sich am Breitscheidplatz<br />
versammelt hat.<br />
Binnen Sekunden packen<br />
sie Plakate aus, auf denen<br />
„Listentothe climate bells“<br />
steht und „Strejk för Klimatet“.<br />
Sie halten sie für genau<br />
zwei Minuten hoch –solange<br />
wie die Kirchenglocken<br />
um 18 Uhr läuten.<br />
Seit fast zwei Monaten<br />
kommen jeden Tag um<br />
diese Zeit einpaar <strong>Berliner</strong><br />
hierher, um auf den<br />
Klimaschutz aufmerksam<br />
zu machen.<br />
„Aufmerksamkeit<br />
ist unsere heutige<br />
Währung“, erklärt<br />
Annette Ahme,<br />
jene Frau mit der<br />
Mütze, die die Aktion<br />
gestartet hat<br />
und ebenfalls rot<br />
angezogen<br />
ist, inspiriert<br />
von<br />
JaneFonda,<br />
die in<br />
Washington<br />
die<br />
„Fire<br />
Drill<br />
Fridays“<br />
ausgerufen hat, welche<br />
sich auf das berühmte<br />
Zitat von Greta Thunberg<br />
beziehen: „Wirmüssenuns<br />
verhalten, als ob unser Haus<br />
brennt –denn so ist es.“<br />
Der Dresscode für die<br />
„Brandschutzfreitage“ ist<br />
entsprechend feuerwehrrot.<br />
Annette Ahme ist die einzige,<br />
die jeden Tag kommt.<br />
OhneAusnahmen.<br />
Und jedes Mal spricht sie<br />
auch Passanten an, ob sie<br />
sich nicht an der Mahnwache<br />
beteiligen wollen.<br />
Viele gehen einfach vorbei.<br />
„Ungefähr die Hälfte ist<br />
am Klimaschutz interessiert,<br />
das finde ich schon<br />
gut“, sagtsie.<br />
Die Umwelt lag der Historikerin<br />
immer schon am<br />
Herzen. Kurz nach ihrem<br />
Abitur wurde in den USA<br />
die Umweltstudie „Global<br />
2000“ veröffentlicht, die<br />
den Anstoß für viele grüne<br />
Initiativen gab.<br />
Der Bericht beschrieb<br />
1977 noch kaum bekannte<br />
Probleme der Menschheit:<br />
Luftverschmutzung, überproportionales<br />
Bevölkerungswachstum<br />
und Klimaveränderungen.<br />
„Das war<br />
damals unser Thema, jeder<br />
hat darüber gesprochen.“<br />
Zwischen 1985 und 1987<br />
war sie für die Alternative<br />
Liste für Demokratie und<br />
Umweltschutz, die später<br />
im Bündnis 90/Die Grünen<br />
Berlin aufging, im Abgeordnetenhaus,<br />
außerdem arbeitete<br />
sie in der Bezirksverordnetenversammlung<br />
Kreuzberg und trug zu einigen<br />
Verkehrsberuhigungsprojekten<br />
bei.<br />
Nachder Aktionbegleiten<br />
wir Annette Ahme in die<br />
Kapelle der Gedächtniskirche.<br />
Jeder kennt sie hier.<br />
Pfarrer Martin Germer lächelt<br />
und plaudert mit ihr<br />
wie mit einer alten Bekannten.<br />
Die Kaiser-Wilhelm-<br />
Gedächtniskirche ist ohnehin<br />
so etwas wie eine Umweltkirche:<br />
Die Gemeinde<br />
unterstützt Klimaaktionen,<br />
und in der Kapelle ist eine<br />
Fotoausstellung von Sven<br />
Hoffmann zum Thema<br />
Wasser zu sehen. Der<br />
Künstler zeigt das Wasser<br />
dort, wo es bald verschwindet:<br />
das Tote Meer, den<br />
Aralsee, den Tschadsee.<br />
AnnetteAhmegehtweiter<br />
in die Kapelle hinein und<br />
zeigt auf den Boden: „Hier<br />
ist alles rund und wolkenförmig,<br />
das ist typisch für<br />
Vor einem<br />
Jahr sah<br />
sie<br />
einen<br />
Bericht<br />
und<br />
handelte.<br />
Egon Eiermanns Architektur.Mitten<br />
in der Stadt entsteht<br />
durch den begrünten<br />
Umgang zwischen den<br />
Kirchwänden ein ruhiges<br />
Kloster.“<br />
Sie ist von Eiermanns<br />
Werk fasziniert und engagiert<br />
sich auch imStädtebau,<br />
schon seit den 70er-<br />
Jahren, als sie die Besetzung<br />
der Häuser am Chamissoplatz<br />
organisierteund<br />
diese so vor dem Abriss bewahrte.<br />
Als Vorsitzende des Vereins<br />
HistorischeMitte initiierte<br />
sie letztesJahr den 77-<br />
tägigen Protest gegen den<br />
Bau der Einheitswippe vor<br />
dem <strong>Berliner</strong> Stadtschloss.<br />
Die Max-Liebermann- und<br />
die Heinrich-Zille-Gesellschaft<br />
hat sie mitgegründet.<br />
Auch beim Entstehen des<br />
„AktivenMuseums“ war sie<br />
aktiv, und sie hat um die<br />
Wiederherstellung der historischen<br />
Rathausbrücke<br />
gekämpft.<br />
Vor einem Jahr hat sie zusammen<br />
mit ihren beiden<br />
Töchtern einen Bericht<br />
über Greta Thunberg gesehen<br />
und war von der schwedischen<br />
Schülerin zutiefst<br />
beeindruckt. Auch weil es<br />
sie selbst so mitnimmt, wie<br />
sehr die Natur schon jetzt<br />
aus dem Gleichgewicht geraten<br />
ist: die dürren Sommer,die<br />
Stürme.<br />
Der Aktivistin fiel auch<br />
auf, dassdie Vögel in ihrem<br />
Garten nicht mehr piepen.<br />
„DerInsektenbestand ist in<br />
Deutschlandum75Prozent<br />
zurückgegangen. Es ist logisch,<br />
dass indiesem, spätestens<br />
nächstesoder übernächstes<br />
Jahr viele Vögel<br />
aussterben werden. Nicht<br />
erst in zwanzig Jahren“,<br />
sagtsie traurig.<br />
Ihre Töchter, 17und 21,<br />
beteiligen sich schon lange<br />
an „Fridays for Future“. Sie<br />
selbst hat sich dann mit einer<br />
Verbündeten, der<br />
Schriftstellerin Jenny<br />
Schon, die Zwei-Minuten-<br />
Mahnwache am Breitscheidplatz<br />
ausgedacht, am<br />
2. September haben sie damit<br />
begonnen –als Erinnerung<br />
an das „Zwei-Grad-<br />
Ziel“, nach welchem die<br />
Erderwärmung bis zum<br />
Jahr 2100 auf weniger als<br />
zwei Grad Celsius gegenüber<br />
dem Niveau vor Beginn<br />
der Industrialisierung<br />
begrenztwerden soll.<br />
Annette Ahme hält ihren<br />
Einsatz für selbstverständlich<br />
und uneigen. „Ich will<br />
nicht irgendwie exotisch<br />
aussehen“,sagt sie.Sie fliegt<br />
nicht und hat kein Auto, sie<br />
isst kein Fleisch und versucht,<br />
nichts inPlastikverpackung<br />
zu kaufen. Sie sieht<br />
ihre Mahnwache als Angebot<br />
für all jene, die durchaus<br />
schon umweltfreundlich leben,aber<br />
gerne noch etwas<br />
mehr tun wollen.<br />
Sie ist im Übrigennicht so<br />
pessimistisch, wenn sie in<br />
die Zukunft blickt, sondern<br />
überzeugt, dass die<br />
Menschheit die Krise meistern<br />
kann.<br />
„Wirhaben schon mehrere<br />
Krisen überstanden“,<br />
sagt sie: „Ozonloch, Waldsterben<br />
durch sauren Regen,Wintersmog<br />
in Berlin.“<br />
Als Sofortmaßnameschlägt<br />
sie vor, eine Ein-Kind-Politik<br />
einzuführen –die Vereinten<br />
Nationen könnten<br />
das als Empfehlung aussprechen:<br />
„Je weniger Menschen<br />
es auf der Erde gibt,<br />
desto weniger Fleisch und<br />
Konsumgegenstände<br />
braucht man. Es müssen<br />
weniger Wälder abgefackelt<br />
werden“, sagtsie.<br />
Annette Ahme plant, ihre<br />
Mahnwache bis zum 2. Dezember<br />
abzuhalten, da beginnt<br />
in Santiago de Chile<br />
die UN-Klimakonferenz.<br />
Dass sie tagtäglich zur Gedächtniskirche<br />
kommt, findet<br />
sie gar nicht besonders:<br />
„Die Menschen gehendoch<br />
auch jeden Tag zur Arbeit,<br />
fast jeden Tag einkaufen,<br />
fast jeden Tag zur Schule<br />
oder indie Kita. Wenn ich<br />
eine oderzweiStunden pro<br />
Tag fürs Klima investiere,<br />
finde ich daseigentlich normal.“<br />
Am 31. Oktoberist Annette<br />
62 geworden.<br />
Auch diesen Tag verbrachte<br />
sie an der Gedächtniskirche.<br />
Nasta Reznikava<br />
Foto: Markus Wächter