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Loccumer Pelikan 4/2019

Mensch und Tier

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12<br />

grundsätzlich<br />

Denkens gibt, kann sie keine klare Handlungsanweisung<br />

für den Fall des Kastenstandes geben.<br />

Die Annahme, dass die Muttersau wie wir Menschen<br />

leiden kann, bietet zwar guten Grund, um<br />

sie nicht im Kastenstand zu halten. Doch auch<br />

die Reflexion über das Sterben der Ferkel, die<br />

zum Zweck des Gegessen-Werdens aufgezogen<br />

werden, kann dazu dienen, die gesamte Praktik<br />

des Fleischessens in Frage zu stellen.<br />

Wir wissen nun, wie das moralische Problem<br />

des Kastenstandes vom Standpunkt verschiedener<br />

ethischer Theorien aus beurteilt werden<br />

kann. Jede ethische Theorie hat dabei Stärken<br />

und Schwachpunkte, die in der Philosophie vielfach<br />

diskutiert werden. Häufig herrscht bei der<br />

Beantwortung wichtiger Fragen keine Einigkeit.<br />

Es ist daher berechtigt zu hinterfragen, welchen<br />

Wert die Theoriearbeit von Tierethiker*innen<br />

für das praktische Leben hat.<br />

diese Beiträge unerlässlich und von unschätzbarem<br />

Wert.<br />

Der Erfolg der angewandten Ethik drückt<br />

sich darin aus, dass sie in vielen Bereichen<br />

tatsächlich Einfluss auf das praktische Leben<br />

nimmt. So haben interdisziplinäre Anstrengungen<br />

im Fall des Kastenstandes in manchen europäischen<br />

Ländern bereits eine Änderung der<br />

Gesetzeslage bewirkt: Nach dem Ablauf einer<br />

Übergangsfrist ist dieses Haltungssystem beispielsweise<br />

in Österreich ab dem Jahr 2033 verboten.<br />

Dass der Kastenstand erst 2033 vollständig<br />

abgeschafft wird, gibt Aufschluss über zwei<br />

Dinge: Zum einen darüber, dass die Arbeit von<br />

Tierethiker*innen reale und nachhaltige Verbesserungen<br />

in der Praxis erzielt. Zum anderen wird<br />

deutlich, dass die Erarbeitung und Umsetzung<br />

tragfähiger Lösungen für moralische Probleme<br />

ein komplexer Prozess ist, der Zeit braucht. ◆<br />

<br />

ELENA THURNER,<br />

BA, ist Studentische<br />

Mitarbeiterin am<br />

Messerli Forschungsinstitut<br />

an der<br />

Veterinärmedizinischen<br />

Universität Wien<br />

MAG. ANDREAS<br />

AIGNER ist Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter<br />

und Doktorand am<br />

Messerli Forschungsinstitut<br />

an der<br />

Veterinärmedizinischen<br />

Universität Wien.<br />

Gesellschaftliche Relevanz<br />

Die Tierethik wird der angewandten Ethik zugeordnet.<br />

Kurt Bayertz 12 charakterisiert die angewandte<br />

Ethik als praxisbezogenen Teilbereich<br />

der philosophischen Ethik, der sich der Lösung<br />

gesellschaftlicher Probleme verschrieben hat.<br />

Da zur Lösung dieser komplexen Probleme Expertenwissen<br />

aus unterschiedlichen Bereichen<br />

erforderlich ist, ist die angewandte Ethik ein<br />

interdisziplinäres Feld. Darüber hinaus gilt sie<br />

als „transakademisches Unternehmen“ 13 , weil<br />

sie in ihrem Anspruch, etwas Praktisches für<br />

die Gesellschaft zu leisten, über den akademischen<br />

Bereich der Forschung und Lehre hinauswächst.<br />

Somit arbeiten Tierethiker*innen<br />

nicht nur im stillen Kämmerlein vor sich hin,<br />

sondern gestalten aktiv Lösungsfindungsprozesse<br />

für gesellschaftlich drängende Fragen mit.<br />

Als angewandte Ethiker*innen arbeiten sie beispielsweise<br />

im Zuge der Kommissionsarbeit mit<br />

anderen Expert*innen zusammen und greifen<br />

dabei auf ihre „ethische Expertise“ 14 zurück.<br />

Wichtig ist, dass die Tierethiker*in so wie jede<br />

andere involvierte Expert*in kein „Monopol auf<br />

‚Lösungen‘“ 15 hat: Durch die Anwendung ethischer<br />

Theorien und das Formulieren von Argumenten<br />

liefert sie lediglich „Beiträge“ 16 zur interdisziplinären<br />

Lösungsfindung. Dennoch sind<br />

12<br />

Vgl. Bayertz: Praktische Philosophie als angewandte<br />

Ethik; Bayertz: Was ist angewandte Ethik?.<br />

13<br />

Bayertz: Was ist angewandte Ethik?, 166.<br />

14<br />

Ebd., 177.<br />

15<br />

Bayertz: Praktische Philosophie als angewandte Ethik,<br />

43.<br />

16<br />

Ebd., 26.<br />

Literatur<br />

Bayertz, Kurt: Praktische Philosophie als angewandte<br />

Ethik, in: Ders. (Hg.): Praktische Philosophie.<br />

Grundorientierungen angewandter Ethik, Reinbek<br />

bei Hamburg 1991, 7-47<br />

Bayertz, Kurt: Was ist angewandte Ethik?, in: Ach,<br />

Johann S. / Ders. / Siep, Ludwig (Hg.): Grundkurs<br />

Ethik. Band 1: Grundlagen, 2. unver. Aufl., Paderborn<br />

2011, 165-179<br />

Diamond, Cora: Eating Meat and Eating People, in:<br />

Philosophy 53 (206), 1978, 465-479<br />

Grimm, Herwig: Das Tier an sich? Auf der Suche<br />

nach dem Menschen in der Tierethik, in: Rippe,<br />

Klaus Peter / Thurnherr, Urs (Hg.): Tierisch<br />

menschlich, Erlangen 2013, 51-95<br />

Grimm, Herwig: Ethik in der Nutztierhaltung: Der<br />

Schritt in die Praxis, in: Ders. / Otterstedt, Carola<br />

(Hg.): Das Tier an sich. Disziplinenübergreifende<br />

Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten<br />

Tierschutz, Göttingen 2012, 276-296<br />

Grimm, Herwig / Wild, Markus: Tierethik zur Einführung,<br />

Hamburg 2016<br />

Kant, Immanuel: Die Metaphysik der Sitten. Werkausgabe<br />

Bd. 8, hg. v. Wilhelm Weischedel. Frankfurt<br />

am Main 2009<br />

Kant, Immanuel: Vorlesung über allgemeine praktische<br />

Philosophie und Ethik, in: Stark, Werner<br />

(Hg.): Immanuel Kant. Vorlesung zur Moralphilosophie,<br />

Berlin (2004 [1774/75]), 105-368<br />

Midgley, Mary: Animals and Why They Matter, Athens<br />

1998 [1983]<br />

Palmer, Clare: Animal Ethics in Context, New York<br />

und Chichester 2010<br />

Regan, Tom: The Case for Animal Rights, Berkeley<br />

und Los Angeles 2004 [1983]<br />

Singer, Peter: Animal Liberation. The Definitive Classic<br />

of the Animal Movement, updated ed., New<br />

York 2009 [1975]<br />

Wild, Markus: Tierphilosophie zur Einführung, 2. erg.<br />

Aufl., Hamburg 2010<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>

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