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Loccumer Pelikan 4/2019

Mensch und Tier

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grundsätzlich 19<br />

(USA 2007) folgt dem Erzählmuster, wie wir es<br />

in weiteren amerikanischen Apokalypse-Blockbustern<br />

seit den neunziger Jahren immer neu<br />

vorgeführt bekommen: Die Welt ist bereits untergegangen,<br />

als absolut zerstörerischen Folge<br />

größenwahnsinniger technologischer Naturbeherrschungsprojekte.<br />

Es sind nur noch wenige<br />

Menschen übrig. Sie sind selbst absolut bedroht<br />

und versuchen, die Erde noch zu retten<br />

– oder das, was davon übrig ist. Neu und bemerkenswert<br />

an „I am Legend“ ist nicht dieses<br />

Erzählmuster, sondern die Weise, wie es inszeniert<br />

wird. Der von Will Smith dargestellte Protagonist,<br />

der Ex-Militärarzt Dr. Robert Neville<br />

durchkämmt auf einem bürgerkriegsmäßig ausgestatteten<br />

Geländefahrzeug gemeinsam mit<br />

seinem Hund Samantha Tag für Tag die vollständig<br />

menschenleeren Straßen New Yorks –<br />

solange die Sonne scheint. Nahezu alles Leben<br />

ist ausgelöscht, nachdem ein angebliches Wunder-Heilmittel<br />

gegen Krebs zu einem tödlichen<br />

Virus mutiert ist. Der größte Teil der Erdbevölkerung<br />

ist vernichtet. Ein kleinerer Teil ist ebenfalls<br />

mutiert, zu enthaarten, grenzenlos hungrigen,<br />

grenzenlos aggressionsbereiten, vollkommen<br />

schmerzunempfindlichen und der Einfühlung<br />

in menschliches Erleben unfähigen menschenähnlichen<br />

Wesen, die nur nachts auf Jagd gehen<br />

können, weil sie kein Licht vertragen.<br />

Ungeheuer.<br />

Das traditionelle Motiv der blutsüchtigen<br />

Vampire ist hier totalisiert in grenzenlosen<br />

suchtartigen Hunger auf alles Fleisch, was die<br />

wenigen noch existierenden, gegen den Virus<br />

immunen Menschen auf den Knochen tragen.<br />

Dr. Nevilles Haltung gegenüber diesen Untoten<br />

ist vielschichtig. Nachts muss er sein Zuhause<br />

völlig geheim halten und abschirmen,<br />

um nicht selbst gejagt und gefressen zu werden.<br />

Tagsüber tötet er gnadenlos jedes Exemplar<br />

der Untoten, das halb paralysiert trotz Sonnenlicht<br />

draußen rumhängt. Eigentlich aber ist<br />

er als Forscher aktiv: Er versucht, ein Serum zu<br />

entwickeln und an von ihm eingefangenen Exemplaren<br />

der Untoten zu testen, das den Untoten<br />

ins menschliche Leben zurückverhilft. Er findet<br />

schließlich das rettende Gegenmittel, aber<br />

im selben Moment wird seine Bleibe von den<br />

Untoten gefunden. In einem letzten Kampf gibt<br />

er sein Leben dahin, um das rettende Serum an<br />

eine bei ihm untergetauchte Mutter-Kind-Familie<br />

und damit perspektivisch an alle übrig gebliebenen<br />

Menschen weiterzugeben.<br />

Interessant und neu ist, dass der Film in kurzen<br />

Augenblicken den Blick des Forschers Dr.<br />

Neville auf die Untoten übernimmt – nicht nur<br />

im Interesse, ein Gegenmittel zu finden. Ganz<br />

knapp, wie nebenbei gelingt immer wieder ein<br />

Einblick in die sozialen Lebensformen der Untoten.<br />

Sie sind nicht bloß degenerierte Menschen.<br />

Sie entwickeln Intimität, wenn sie sich wie Trauben<br />

im Dunklen zusammendrängen und schlafen.<br />

Sie kooperieren präzise bei der Jagd. Und<br />

sie sind liebesfähig auf eine totale Weise – der<br />

Anführer der Angreifer auf das Haus von Dr.<br />

Neville will seine Partnerin wiederfinden und<br />

befreien, die von Dr. Neville zu medizinischen<br />

Experimenten aus der schlafenden Gruppe der<br />

Untoten entführt wurde.<br />

Dieser gebrochene Blick auf das überlebensgefährliche<br />

und zu vernichtende Andere, das die<br />

Untoten gegenüber der menschlichen Zivilisation<br />

repräsentieren, zeichnet „I am Legend“ gegenüber<br />

anderen Filmen des Genres aus. In Richard<br />

Mathesons Romanvorlage von 1963 liegt<br />

hier das eigentliche Interesse: Das Andere der<br />

menschlichen Zivilisation, das alles menschliches<br />

Leben gefährdende Fremde ist nicht nur böse.<br />

Das Andere kann in seiner Andersheit wahrgenommen<br />

und respektiert werden.<br />

Johan Amos Comenius:<br />

orbis sensualium pictus<br />

Ungeheuer finden einen zentralen Ort auch<br />

in einem didaktischen Arrangement, das seit<br />

der frühen Neuzeit zu großem Einfluss kommt:<br />

Nämlich im „orbis sensualium pictus“ des Johan<br />

Amos Comenius – Erstausgabe 1658.<br />

Will Smith in<br />

„I Am Legend”<br />

© Warner Brothers<br />

International<br />

Bild links:<br />

Tyrannosaurus Rex<br />

© Roy Buri / Pixabay<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>

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