Loccumer Pelikan 4/2019
Mensch und Tier
Mensch und Tier
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18 grundsätzlich<br />
HANS-MARTIN GUTMANN<br />
Ungeheuer<br />
<br />
In den Texten<br />
des Alten<br />
Testaments<br />
sind die<br />
„Ungeheuer“<br />
nicht das<br />
Andere<br />
von Gottes<br />
Schöpfung. […]<br />
Das Ungeheuer<br />
gehört zu<br />
Gottes guter<br />
Schöpfung.<br />
<br />
Die aktuelle populäre Kultur ist voll<br />
von Ungeheuern. Sie werden immer<br />
mehr und immer mächtiger.<br />
Die Dinosaurier, der Tyrannosaurus<br />
Rex im Angriffsmodus (der<br />
Chaos-Theoretiker, der dem ganzen Saurier-<br />
Park-Projekt skeptisch gegenübersteht, meint<br />
dazu: „Ich hasse es, Recht zu behalten“), diese<br />
schrecklich fies tödlichen Velociraptoren in den<br />
verschiedenen Versionen von „Jurassic Park“<br />
und „Jurassic World“. Die Aliens in den unterschiedlichsten<br />
Mutationen – vom süß-harmlosen<br />
ET („nach Hause telefonieren!“) über die<br />
hoch ambivalenten, die Menschen herausfordernden<br />
und zerstörenden Wesen der „Alien“-<br />
Filmreihe bis hin zu den der menschlichen Spezies<br />
total überlegenen Wesen in „Independence<br />
Day“, die ihre Invasion auf der Erde nutzen wollen,<br />
um alle Ressourcen auszubeuten, die Menschen<br />
zu vernichten und wie Wanderheuschrecken<br />
zum nächsten auszuplündernden Planeten<br />
weiterzuziehen. King Kong. Godzilla in den von<br />
Film zu Film gewaltigeren und schrecklicheren<br />
Versionen. Aus dem Ruder gelaufene Maschinen-<br />
und Computerwesen wie in den Terminator-Filmen.<br />
Ungeheuer können übermächtige tierische<br />
Gestalt haben oder auch eine menschliche,<br />
oft entstellte und auf gefährlich-zerstörerische<br />
Weise mutierte Körperlichkeit: die Untoten<br />
in „Walking Dead“, die Vampire (auch wenn<br />
sie nach der Erfindung von synthetischem Blut<br />
nicht mehr unbedingt Menschen morden müssen,<br />
um sich zu ernähren, wie in der HBO-Serie<br />
„True Blood“: „God Hates Fangs“), die „weißen<br />
Wanderer“ in „Game Of Thrones“, die in eisiger<br />
Kälte im Jenseits, von der Großen Mauer<br />
ausgeschlossen, existieren und trotzdem – und<br />
gerade deshalb – die ganze menschliche Zivilisation<br />
bedrohen, die in heillose Intrigen und<br />
Machtkämpfe der Königs- und Fürstentümer<br />
verstrickt ist. Und viele andere.<br />
Ungeheuer.<br />
Ungeheuer haben Macht. Sie sind mächtiger<br />
als Menschen und als alle bekannten Tiere.<br />
Ungeheuer der populärkulturellen Inszenierungen<br />
sind fast immer das Andere der Ordnung,<br />
und zwar einer jeden Ordnung. Aus Sicht der<br />
Menschen sind sie das zugleich Faszinierende<br />
und Schreckliche (und damit in der Nähe der<br />
Ambivalenz des „Heiligen“, wie sie Rudolf Otto<br />
beschrieben hat).<br />
Sind sie auch böse?<br />
Die Werke der populären Kultur, die Ungeheuer<br />
im Zentrum haben, diskutieren diese<br />
Frage immer wieder, implizit oder ausdrücklich.<br />
King Kong beispielsweise ist eine tragische, aus<br />
seiner natürlichen Lebenswelt herausgerissene<br />
Gestalt, die zu menschenähnlichen Gefühlen in<br />
der Lage ist und selbst Mitleid nicht nur empfindet,<br />
sondern bei den Zuschauer*innen auch<br />
Mitleid und Empathie provoziert. Oder: In Michael<br />
Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“<br />
heißt es: „Wer einen Drachen überwinden<br />
kann, ohne ihn umzubringen, der hilft<br />
ihm, sich zu verwandeln. Niemand, der böse ist,<br />
ist dabei besonders glücklich, müsst ihr wissen.<br />
Und wir Drachen sind eigentlich nur so böse,<br />
damit jemand kommt und uns besiegt. Leider<br />
werden wir allerdings dabei meistens umgebracht.<br />
Aber wenn das nicht der Fall ist, so wie<br />
bei euch und mir, dann geschieht etwas sehr<br />
Wunderbares .“ 1<br />
„I am Legend“<br />
(Francis Lawrence, USA 2007)<br />
Sehen wir uns ein Beispiel für die populärkulturelle<br />
Erzählung des „Ungeheuers“ genauer<br />
an – unter der Perspektive, wie hier die Ambivalenz<br />
von Ordnung und Chaos, von Gut und<br />
Böse, Heilsam und Zerstörerisch inszeniert wird.<br />
Francis Lawrence‘ Blockbuster „I am Legend“<br />
1<br />
Ende: Jim Knopf, 213.<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>