Loccumer Pelikan 4/2019
Mensch und Tier
Mensch und Tier
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14<br />
grundsätzlich<br />
Die große Anzahl<br />
an Tieren ist nicht<br />
das eigentliche<br />
Problem, sondern<br />
der Untergang des<br />
Einzeltiers in einer<br />
anonymen Masse.<br />
© szefei/123RF<br />
als Zahl an: Massentierhaltung beginne für Verbraucher<br />
bei 500 Rindern oder 1.000 Schweinen<br />
oder 5.000 Hühnern beim Geflügel. Wissen die<br />
Leute, die gegen Massentierhaltung protestieren,<br />
überhaupt um diese Zahlen? Müssen sie darum<br />
wissen? Natürlich nicht, denn was sie auf<br />
die Straße treibt, sind Bewertungen. Massentierhaltung<br />
ist ein so genanntes thick concept,<br />
wie Sprachphilosophen es nennen: Ein Begriff,<br />
der eine Beschreibung und zugleich eine Bewertung<br />
enthält. (Wie etwa „Geld verjubeln“ nicht<br />
nur heißt, viel auszugeben, sondern es sinnlos<br />
auszugeben.) Was solche Begriffe bedeuten, ergibt<br />
sich aus dem, was Menschen in besonderen<br />
Sprachspielen damit machen: Anprangern,<br />
Verleumden, Protestieren, Beklagen, Aktivieren,<br />
Analysieren. Dazu brauchen sie selten Definitionen<br />
und (so gut wie) nie wissenschaftliche Definitionen.<br />
Es hat wenig Sinn, auf die fehlende<br />
Begriffsbestimmung zu verweisen, um damit zu<br />
behaupten, die Menschen wüssten nicht, wovon<br />
sie reden. Hochspezialisierte Tierhaltungen, große<br />
Zahlen einer einzigen Tierart an einem Ort,<br />
ein hoher Grad an Technisierung, eine Anpassung<br />
der Tiere an eine technisierte Haltungsumwelt,<br />
ein geringer ökonomischer Wert des Einzeltieres<br />
und folglich eine geringe Wertschätzung<br />
des tierlichen Individuums: Das alles meinen<br />
Menschen, wenn sie von „Mas sen tierhaltung“ 3<br />
3<br />
Bündnis 90/ Die Grünen: „Zu den verschiedenen Zugängen<br />
zu einer Definition”, vgl. www.massentier<br />
haltung-mv.de/die-fakten/begriffe<br />
sprechen, üblicherweise mit abwertender<br />
Geste. Die Frage, ob tatsächlich<br />
die negativen Folgen für das<br />
Wohlbefinden des Einzeltiers notwendigerweise<br />
mit der Haltung in<br />
großen Stückzahlen (also „Massen“),<br />
verbunden sind, darf hier außen vor<br />
bleiben. Die Kritiker halten diesen<br />
Zusammenhang für gegeben und<br />
genau das meinen sie mit Massentierhaltung.<br />
Ein Ausdruck, der in weiten<br />
Teilen der Bevölkerung ja auch<br />
offenkundig problemlos verstanden<br />
wird. „Zur Verständigung durch die<br />
Sprache gehört nicht nur eine Übereinstimmung<br />
in den Definitionen,<br />
sondern (so seltsam das klingen<br />
mag) eine Übereinstimmung in den<br />
Urteilen“, sagte der Philosoph Ludwig<br />
Wittgenstein (PU § 242). In und<br />
durch ihre Urteile können sich Menschen<br />
verständigen – und das tun<br />
sie. Die arithmetische Zahl der Tiere<br />
ist nicht ihr eigentliches Problem,<br />
sondern der Untergang des Einzeltiers in einer<br />
anonymen Masse. 4 Dies allerdings korreliert natürlich<br />
wiederum mit dem Wert des Einzeltiers.<br />
Auch darum rangiert die Milchvieh-Haltung im<br />
öffentlichen Ansehen deutlich hinter der von<br />
Masthühnern und Legehennen. Ein richtig gutes<br />
Zeugnis stellt ihr die Bevölkerung allerdings<br />
auch nicht aus. 5<br />
Tierrechte, Tierschutz<br />
und Gesellschaft<br />
Landwirtschaftliche Tierhalter reagieren gereizt<br />
auf die Polemik gegen ihre Wirtschaftsform.<br />
Landwirte nehmen diese in erster Linie<br />
als einen Angriff auf eine bestimmte Form der<br />
Landwirtschaft wahr. Er lässt sich aber als einen<br />
Streit über den moralischen Status von Tieren<br />
deuten. In einer breit getragenen, nennen<br />
wir es: „Solidarisierung“, nehmen sich Menschen<br />
auch fremder Tiere an. Der Hinweis der<br />
Tierhalter, sie seien hier die Profis und schließlich<br />
gehe es um ihre Tiere, verfängt nicht mehr.<br />
Getragen von einer enormen moralischen und<br />
4<br />
Busch, B.: Die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere,<br />
in: Joerden, J. C. / Busch, B. (Hg): Tiere ohne Rechte.<br />
Frankfurt / Oder 1999, 121.<br />
5<br />
SocialLab: Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft,<br />
in: SocialLab-Konsortium c/o Thünen-Institut<br />
für Marktanalyse (Hg.), <strong>2019</strong>, 8, www.sociallabnutztiere.de/fileadmin/sociallab/Dokumente/F_<br />
SocialLab_25-Februar-<strong>2019</strong>_web.pdf<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>