Loccumer Pelikan 4/2019
Mensch und Tier
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26 praktisch<br />
MATTHIAS HÜLSMANN<br />
BETRACHTET:<br />
Agnus Dei – Lamm Gottes<br />
<br />
MATTHIAS<br />
HÜLSMANN ist<br />
Dozent für Theologische<br />
Fortbildung<br />
und Kirchen pädagogik<br />
am RPI Loccum.<br />
Ooh, wie süüß!“ Das ist die natürliche<br />
Reaktion, wenn wir ein<br />
Lamm sehen. Lämmer sind knuddelig,<br />
völlig ungefährlich und ohne<br />
jeden Argwohn, lammfromm<br />
sozusagen. Lamm und Unschuld gehören zusammen.<br />
Der Mensch dagegen ist kein Unschuldslamm.<br />
„Hast du etwa von den verbotenen Früchten<br />
gegessen?“, fragt Gott Adam, der sich seiner<br />
Nacktheit schämt und sich deshalb vor Gott<br />
versteckt. Statt die Frage wahrheitsgemäß mit<br />
Ja zu beantworten, schiebt er die Schuld weiter:<br />
„Die Frau, die du mir an die Seite gestellt hast,<br />
gab mir davon; da habe ich gegessen.“<br />
In mythologischer Sprache erzählt die Bibel<br />
auf den ersten Seiten, wie das Schuldverschieben<br />
begann. Und das war nur der Anfang. Auch<br />
Eva schiebt die Schuld weiter: „Die Schlange<br />
ist schuld, sie hat mich zum Essen verführt!“<br />
So geht das Schuldverschieben bis zum heutigen<br />
Tage weiter, denn der Mensch erträgt es<br />
nicht, selbst schuld zu sein. Deshalb sucht er<br />
nach einem Sündenbock. Bis heute funktionieren<br />
Gruppen und Gesellschaften nach diesem<br />
Muster, man muss nur etwas genauer hinschauen.<br />
Dieser problematische „Lösungsweg“<br />
stammt aus alttestamentlicher Zeit. Bereits vor<br />
rund 3000 Jahren legte der Priester am jüdischen<br />
Versöhnungstag einem Ziegenbock die<br />
Hände auf, sprach die Sünden des Volkes Israel<br />
über dem Tier aus und legt sie ihm damit auf.<br />
Dieser Bock wurde anschließend in die Wüste<br />
gejagt, wo er starb. So trug er die Sünde weg<br />
vom Volk. Dieses Ritual hat Johannes der Täufer<br />
vor Augen, wenn er in Joh 1,29 sagt: „Siehe,<br />
das ist Gottes Lamm, das die Sünde der Welt<br />
wegträgt“ und Jesus damit als den wahren Sündenbock<br />
deutet. Bei jedem Abendmahl werden<br />
wir an dieses alttestamentliche Ritual erinnert,<br />
wenn wir das sogenannte Agnus Dei (Lamm<br />
Gottes) singen: „Christe, du Lamm Gottes, der<br />
du trägst die Sünd der Welt.“<br />
Im letzten Buch der Bibel beschreibt der<br />
Seher Johannes den endzeitlichen Kampf zwischen<br />
denen, die an Jesus Christus glauben, und<br />
denen, die sie verfolgen. Er schildert diese Apokalypse<br />
in drastischen Bildern voller Symbolik.<br />
Jesus Christus wird am Ende des Kampfes als<br />
siegreiches Lamm auf dem Thron dargestellt,<br />
das über die ganze Welt herrscht. Seine Gegner<br />
werden als furchterregendes Tier, als Hure<br />
Babylon und in weiteren abstoßenden Bildern<br />
beschrieben. All diese gottfeindlichen Gestalten<br />
und Mächte tun sich zusammen, um das Lamm<br />
zu vernichten. „Die werden gegen das Lamm<br />
kämpfen, aber das Lamm wird sie überwinden,<br />
denn es ist der Herr aller Herren und der König<br />
aller Könige.“ (Offb 17,14)<br />
Die entscheidende Aussage ist: Das Lamm<br />
wird diesen apokalyptischen Endzeitkampf<br />
gegen alle gottfeindlichen Mächte gewinnen.<br />
Deshalb trägt das Lamm als Zeichen des Sieges<br />
eine Fahne. Dass es sich bei dem Lamm<br />
um Jesus Christus handelt, wird an dem Heiligenschein<br />
um den Kopf des Lammes deutlich.<br />
Dass dieser Sieg nicht durch militärische Überlegenheit<br />
errungen wurde, sondern durch die<br />
freiwillige Selbstaufopferung des Lammes, wird<br />
am Kreuz in der Fahne und am Fahnenmast in<br />
Kreuzgestalt deutlich. Deshalb sind die Gläubigen<br />
von den Vorwürfen des teuflischen Verklägers<br />
befreit. „Sie haben ihn überwunden durch<br />
des Lammes Blut.“ (Offb 12,11)<br />
Am Ende siegt das unschuldige Lamm, das<br />
nicht klagt und alles schweigend erträgt, „wenn<br />
es geschoren oder zum Schlachten geführt<br />
wird“. (Jes 53,7) Sein Blut bringt den Teufelskreis<br />
des Schuldverschiebens zum Stillstand und<br />
überwindet alle gottfeindlichen Mächte. ◆<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>