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Loccumer Pelikan 4/2019

Mensch und Tier

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8<br />

grundsätzlich<br />

<br />

Nicht der<br />

Mensch,<br />

sondern der<br />

Sabbat ist die<br />

Krone der<br />

Schöpfung –<br />

die zweckfreie<br />

Gemeinschaft<br />

aller Geschöpfe<br />

mit ihrem<br />

Schöpfer.<br />

<br />

Bruchlinie 3:<br />

Soll der Mensch nicht über<br />

die Tiere herrschen?<br />

Zum Umgang mit einer Macht,<br />

die andere ermächtigt<br />

Als Lackmus-Test jeder Tierethik dürfte schließlich<br />

der sog. Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 gelten,<br />

und man kann bereits an den aufgeregten<br />

Versuchen der Exegese, die friedfertige Intention<br />

dieses Verses nachträglich darlegen zu wollen,<br />

dessen desaströses Erbe ermessen. 14 Diese<br />

historischen Folgeschäden sind allerdings<br />

mehr als nur ein hermeneutisches Missverständnis;<br />

ein Einzelvers ist weder Auslöser der<br />

ökologischen Krise noch griffbereite Legitimation<br />

für einen christlichen Speziesismus, selbst<br />

wenn er im hübschen Gewand einer staatstragenden<br />

Verantwortungsrhetorik daherkommt.<br />

Dass selbst noch die heilvolle Utopie der Genesis<br />

nicht ohne den Reflex von Gewalt und Herrschaft<br />

auszukommen scheint, muss vielmehr als<br />

partikulares Symptom einer umfassenderen religiösen<br />

Macht- und Herrschaftskrise gelesen<br />

werden, und wie so häufig gehören die Tiere<br />

zu den offenkundigsten Indikatoren für die Art<br />

und Weise, wie Menschen Macht ausüben. 15 Bis<br />

heute zeigt sich allen, die diesem unerträglichen<br />

Anblick standzuhalten vermögen, mit welch unerwarteter<br />

Eintracht nahezu alle Religionen die<br />

strukturelle Gewalt an Tieren weitestgehend irritationsfrei<br />

bejahen. 16<br />

Die Gründe dafür reichen in die Tiefenschichten<br />

des religiösen Bewusstseins: Sie sind<br />

aufs Engste mit der theistischen Vorstellung einer<br />

Allmacht verknüpft, die darin besteht, andere<br />

Mächte klein zu halten. Dieses Verständnis<br />

von (All-)Macht bezieht seine Logik aus einem<br />

mechanistischen Konkurrenzparadigma, in dem<br />

sich eine Kraft gegen andere Kräfte behaupten<br />

muss, und in dem Gott deswegen allmächtig<br />

heißen kann, weil er sich gegen alle anderen<br />

Kräfte durchzusetzen vermag. Insbesondere<br />

die Scholastik hat dieses Bild zum theologischen<br />

Mainstream gemacht, das auch heute noch das<br />

Gottesbild vieler Menschen prägt. Zum Sachverwalter<br />

über die Schöpfung schien der Mensch<br />

nur dadurch werden zu können, dass er seine<br />

Ebenbildlichkeit ganz im Sinne der theistischen<br />

Allmachtsvorstellung entwarf: Mit der Konse-<br />

14<br />

Eine angemessen kritische Darstellung dieses Problems<br />

findet sich z. B. bei Rogerson: The Creation Stories.<br />

15<br />

Ruster: Bestiarium symbolicum.<br />

16<br />

Horstmann: (Vorläufige) Grenzen der Emanzipation.<br />

quenz, dass sie nahezu jede Gewaltförmigkeit<br />

anderen, vermeintlich ‚niederen‘ Tieren gegenüber<br />

gerade dadurch notwendig werden ließ,<br />

dass durch sie das eigene Selbstverständnis von<br />

jener Kontingenz befreit zu werden schien, die<br />

ihm immer schon eigen war. Der US-amerikanische<br />

Theologe Walter Wink hat diese Logik<br />

zurecht als den „Mythos von der erlösenden<br />

Gewalt“ 17 bezeichnet. Die ruinöse Verquickung<br />

dieses Mythos mit dem christlichen Erlösungsmotiv<br />

hat nicht zuletzt dazu geführt, dass<br />

auch heute noch im Brustton einer christlichen<br />

Selbstverständlichkeit getötet wird.<br />

Wer von diesem Zerrbild auf Gen 1 zurückblickt,<br />

wird feststellen müssen, dass dieser Text<br />

deutlich anders von Gottes Macht und Souveränität<br />

erzählt: Gottes Macht ist eine schöpferische<br />

Macht, weil sie seine Geschöpfe ermächtigt<br />

und sie dazu anhält, selbst schöpferisch tätig<br />

zu sein: „Die Erde lasse junges Grün sprießen<br />

–“ (Gen 1,11); eine solche Macht, die andere zur<br />

Entfaltung ruft 18 , erkennt in den Geschöpfen<br />

keine Bedrohung, sondern ist gerade deswegen<br />

wirklich allmächtig, weil sie andere ermächtigen<br />

kann, ohne selbst an Mächtigkeit zu verlieren.<br />

Gerade im letzten Punkt dürfte auch eine<br />

zukünftige Aufgabe theologischer Tierethik liegen:<br />

Die Agency der Tiere wiederzuentdecken,<br />

ihre eigene Handlungsmacht und -wirksamkeit<br />

systematisch zu berücksichtigen, und sie hier<br />

und dort gar als heilsam erfahren zu lernen. ◆<br />

Literatur<br />

Bernhart, Joseph: Die unbeweinte Kreatur. Reflexionen<br />

über das Tier, München 1961<br />

Birnbacher, Dieter: Natürlichkeit, Grundthemen Philosophie,<br />

Berlin 2006<br />

Böhme, Gernot: Ethik leiblicher Existenz. Über unseren<br />

moralischen Umgang mit der eigenen Natur,<br />

Frankfurt/M. 2008<br />

Coeckelbergh, Mark: Growing Moral Relations. Critique<br />

of Moral Status Ascription, New York 2012<br />

Despret, Vinciane: The Body We Care for. Figures<br />

of Anthropo-Zoo-Genesis, in: Body and Society<br />

10/2004, 111-134<br />

Grimm, Herwig / Aigner, Andreas / Kaiser, Peter: Art.<br />

Moralischer Status, in: Ach, Johann S. / Borchers,<br />

Dagmar (Hg.): Tierethik. Grundlagen – Kontexte<br />

– Perspektiven, Stuttgart 2018, 185-192<br />

Haraway, Donna: When Species meet, Minneapolis<br />

2008<br />

Horstmann, Simone: (Vorläufige) Grenzen der Emanzipation?<br />

Zum Problem religiös-legitimierter Gewalt<br />

an Tieren, in: Gärtner, Claudia / Herbst, Jan-<br />

Hendrik (Hg.): Kritisch-emanzipatorische Religionspädagogik,<br />

Wiesbaden <strong>2019</strong> (im Erscheinen)<br />

17<br />

Wink: Verwandlung der Mächte.<br />

18<br />

Ruster: „Schöpfer des Himmels und der Erde“.<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>

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