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Loccumer Pelikan 4/2019

Mensch und Tier

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grundsätzlich 17<br />

gebote, mit denen sie glaubhaft macht, dass sie<br />

sich ihrerseits für die Anliegen der Zeitgenossen<br />

interessiert, diese ernst nimmt, auf ihre Fragen<br />

Antworten anbieten kann und gegebenenfalls<br />

Lösungen sucht. Dazu sind drei verschiedene<br />

Perspektiven denkbar, die in der Diskussion um<br />

die Nutztiere allerdings üblicherweise durcheinandergehen<br />

können:<br />

1. Alle Menschen wollen, dass es den Tieren<br />

nicht schlecht geht. Darin liegt der moralische<br />

Minimalkonsens. Das ist auch die so<br />

genannte „pathozentrische“ Grundlange<br />

des Tierschutz-Rechts: Vermeidung von Leiden.<br />

Allerdings unterbieten Teile der Landwirtschaft<br />

diese Minimalstandards immer<br />

noch und immer wieder, mit negativen Folgen<br />

für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit<br />

aller Tierhalter*innen.<br />

2. Menschen wollen, dass es den Tieren besser<br />

geht: „Vorstellungen von einer idealen<br />

Tierhaltung sind durch Begriffe wie ‚Freilandhaltung’,<br />

‚artgerechte Haltung’, […]<br />

‚Verzicht auf Antibiotika’, ‚mehr Kontrollen’<br />

oder ‚Futtermittel ohne Gentechnik’ charakterisiert.<br />

Insgesamt wünschten sich die<br />

Teilnehmer*innen eine für das Nutztier möglichst<br />

artgerechte Haltung, gekennzeichnet<br />

durch z. B. ‚ausreichend Platz’, ‚Tageslicht’,<br />

gesundes und nicht zu schnelles Wachstum<br />

sowie eine ‚artentsprechende Fütterung‘.“ 8<br />

Fraglich ist allerdings fachlich, ob dies tatsächlich<br />

in allen Belangen zu einer Hebung<br />

von animal welfare, von „Tierwohl“ führt.<br />

Und natürlich die seit langer Zeit ungelöste<br />

zentrale Frage, wer die Kosten übernimmt.<br />

3. Schließlich gibt es die Menschen, die wollen,<br />

dass es den Tieren einfach super geht. Dabei<br />

mischen sich verschiedene Formen utopischer<br />

Bilder von Tierhaltung, an denen die<br />

reale Landwirtschaft scheitert. Nicht das<br />

einzige, aber vielleicht wichtigste Motiv darin<br />

ist das Bauernhof-Idyll, in der englischen<br />

Literatur „Old Mac Donald‘s Farm“ genannt.<br />

Ohne diese Varianten jetzt durchzudeklinieren:<br />

Die Forderung nach konsequenter Einhaltung<br />

des Tierschutzes stellt ein Mindestmaß<br />

dar, das natürlich nicht unterboten werden darf.<br />

Was darüber hinausgeht, etwa die Forderung<br />

nach besseren Verhältnissen für die Tiere, treibt<br />

die Diskussion seit Jahrzehnten um. Der gordische<br />

Knoten eines entsprechenden Systems der<br />

8<br />

SocialLab-Konsortium, c/o Thünen-Ins titut für Marktanalyse<br />

(Hg.): SocialLab – Nutztierhaltung im Spiegel<br />

der Gesellschaft, Braunschweig <strong>2019</strong>, www.soci<br />

allab-nutztiere.de/fileadmin/sociallab/Dokumente/F_<br />

SocialLab_25-Februar-<strong>2019</strong>_web.pdf<br />

Honorierung blieb und bleibt aber fest. Vielleicht<br />

aber lässt sich daraus auf Dauer sogar<br />

ein Standortvorteil generieren: Wenn sich nämlich<br />

klar machen lässt, dass gute Nutztierhaltung<br />

unter den hiesigen Bedingungen besser<br />

als anderswo stattfindet. Maßstab dafür ist in<br />

der Bevölkerung der Schutz der Umwelt und<br />

das Wohlergehen der Tiere.<br />

Es sei noch vermerkt, dass Letzteres im Kern<br />

von der Größe der Produktion unabhängig zu<br />

denken ist: Die Zahl der Tiere limitiert nicht automatisch<br />

die Möglichkeit, diese tiergerecht zu<br />

halten. Aber sie hat wesentlichen Einfluss auf<br />

die Größe der anderen genannten Probleme,<br />

ganz unmittelbar beim Thema Nachhaltigkeit<br />

und Gülle.<br />

Moderne Gesellschaften interessieren sich<br />

für die Herkunft ihrer Lebensmittel, besonders,<br />

wenn diese von Tieren stammen. Das tun sie in<br />

einer modernen, pluralen Gesellschaft nicht alle,<br />

nicht alle gleichzeitig, und nicht alle in dem<br />

gleichen Maße. Vielleicht tun es sogar nur Minderheiten<br />

innerhalb einer Gesellschaft, aber solche<br />

sind dort auch überaus einflussreich. Sie<br />

sind auch deswegen so erfolgreich und so wirksam,<br />

weil ihre Zeit gekommen ist. Den so genannte<br />

Animal Turn, die große Hinwendung<br />

zum Tier, vollziehen die modernen Menschen<br />

mit großem Elan und in vielen Formen. ◆<br />

Literatur<br />

Bündnis 90/Die Grünen: „Zu den verschiedenen<br />

Zugängen zu einer Definition”, www.massen<br />

tierhaltung-mv.de/die-fakten/begriffe<br />

Busch, Bodo: Die Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere,<br />

in: Joerden, Jan C., Busch, Bodo (Hg): Tiere<br />

ohne Rechte, Frankfurt / Oder 1999, 115-127<br />

Hein, Jakob: Wurst und Wahn. Ein Geständnis, Berlin<br />

2011<br />

Kayser, Maike / Schlieker, Katharina / Spiller, Achim:<br />

Die Wahrnehmung des Begriffs „Massentierhaltung“<br />

aus Sicht der Gesellschaft, in: Bundesministerium<br />

für Ernährung, Landwirtschaft und<br />

Verbraucherschutz (Hg.): Berichte über Landwirtschaft,<br />

Band 90(3), Stuttgart 2012, 417-428<br />

Kunzmann, Peter: Es geht um die Moral+, in: DLG-<br />

Mitteilungen 6/ <strong>2019</strong>, 50-52<br />

Pfeiler, Tamara / Egloff, Boris: Examining the “Veggie”<br />

personality: Results from a representative<br />

German sample, in: Appetite 120, 1/2018, 246-<br />

255<br />

SocialLab-Konsortium, c/o Thünen-Institut für<br />

Markt analyse (Hg.): SocialLab – Nutztierhaltung<br />

im Spiegel der Gesell schaft, Braunschweig <strong>2019</strong>,<br />

www.sociallab-nutztiere.de/fileadmin/sociallab/<br />

Dokumente/F_SocialLab_25-Februar-<strong>2019</strong>_web.<br />

pdf<br />

<br />

Fleisch und<br />

Milch werden<br />

nicht mehr für<br />

den Konsum<br />

vor Ort produziert,<br />

sondern<br />

sind Teil gigantischer<br />

globaler<br />

Stoffströme.<br />

[…] Was diese<br />

Industrie ins<br />

Land holt und<br />

dann hier lässt,<br />

sind das Tierschutz<br />

problem,<br />

das Gülleproblem,<br />

das<br />

Nach haltig keitsproblem<br />

und<br />

das Gerech tigkeits<br />

problem.<br />

<br />

<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>

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