Loccumer Pelikan 4/2019
Mensch und Tier
Mensch und Tier
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4<br />
grundsätzlich<br />
SIMONE HORSTMANN<br />
Mehr als „Verantwortung“ und<br />
„Mitgeschöpflichkeit“<br />
Überlegungen zu den Tiefendimensionen einer theologischen<br />
Tierethik jenseits der schönen Phrasen<br />
Theologische Tierethik?<br />
Ein methodischer Problemaufriss<br />
Die Begegnung mit (nicht-menschlichen) Tieren<br />
hat heute beinahe automatisch eine ethische Dimension:<br />
Angefangen beim Problem der Tierversuche,<br />
dem Artensterben, der Fleisch-Frage<br />
bis zur Haltung von sog. Haus-, Zoo- oder<br />
Nutztieren, scheint es immer schon ausgemacht,<br />
dass diese Themenfelder mit den Instrumenten<br />
der Ethik zu bearbeiten sind. Auch<br />
die (Systematische) Theologie hat die Beschäftigung<br />
mit den Tieren bislang nahezu ausschließlich<br />
als ethische Aufgabe begriffen. 1 Die Verortung<br />
der ‚Tier-Frage‘ in der theologischen<br />
Ethik folgt durchaus einem berechtigten Interesse<br />
– immerhin nehmen wir viele Tierbegegnungen<br />
in unserem Alltag als konkrete Handlungs-,<br />
Entscheidungs- oder Konfliktsituationen<br />
wahr. Gleichwohl wird die Einordnung der Tiere<br />
in den Zuständigkeitsbereich der Ethik auch<br />
zu einem Problem, das ich in drei methodischen<br />
Anmerkungen skizzieren möchte:<br />
Problem 1: Theologisches Proprium?<br />
Viele theologische Tierethiken orientieren sich<br />
auffallend stark an der philosophischen Tradition.<br />
Die utilitaristischen, deontologischen,<br />
kontraktualistischen oder tugendethischen Begründungsmuster,<br />
die der Moralphilosophie<br />
entstammen, werden dann auf die Tiere ‚angewendet‘;<br />
abhängig von der jeweiligen philo-<br />
1<br />
Lintner: Der Mensch; Remele: Die Würde des Tieres;<br />
Rosenberger: Wie viel Tier darf‘s sein?.<br />
sophischen Referenztheorie wird den Tieren ein<br />
entsprechender moralischer Status zuerkannt,<br />
sodass in der Folge auch die theologischen Ethiken<br />
mit den philosophischen Konzepten von<br />
moralischen Rechten, Würde-Ansprüchen, Güterabwägungen<br />
usf. hantieren. Diese Ansätze<br />
sind ausgesprochen kompatibel mit den säkularen<br />
Diskursen, schweigen sich aber umso öfter<br />
darüber aus, was genau eigentlich das theologische<br />
Alleinstellungsmerkmal einer (Tier-)Ethik<br />
sein kann.<br />
Problem 2: Verhältnis Bibel und Ethik?<br />
Dieses theologische Defizit soll häufig dadurch<br />
ausgeglichen werden, dass die theologischen<br />
Anteile durch einen biblischen Rekurs ergänzt<br />
bzw. ersetzt werden: Die biblischen Texte werden<br />
dann als oftmals beliebige, assoziative Einblendungen<br />
zum eigentlichen Gedankengang<br />
oder gar als explizit präskriptive Texte gelesen;<br />
im schlimmsten Fall werden sie zur affirmativen<br />
Zitat-Staffage für die zuvor erarbeitete ethische<br />
Theoriegrundlage degradiert.<br />
Problem 3:<br />
Moralismus oder hohle Phrasen?<br />
Die Schieflage zwischen einer starken Erwartungshaltung<br />
an eine Tierethik einerseits und<br />
der oft populistisch überformten Angst vor konkreten<br />
Normen andererseits führen viele Debatten<br />
in eine Aporie: Tierethische Forderungen<br />
werden, kaum dass sie im Raum stehen, als moralinsauer,<br />
gar als bevormundend wahrgenommen<br />
– ein Argument, das nur zu gern übersieht,<br />
<strong>Loccumer</strong> <strong>Pelikan</strong> | 4/ <strong>2019</strong>