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BERLIN<br />
DER<br />
ROTE<br />
TEPPICH<br />
Ehre, wemEhregebührt!<br />
Martin<br />
Rennert,<br />
65 Jahrealt,<br />
ist Universitätspräsident.<br />
Noch sitzen die Sicherungsverwahrten<br />
hinter der<br />
dicken Mauer der JVATegel.<br />
Bald aber sollen die, denen<br />
Lockerungen genehmigt<br />
wurden, in einem Haus<br />
direkt davorwohnen.<br />
Angst im<br />
Tür an Tür mit<br />
Berlin will den ersten offenen Vollzug für<br />
Sicherungsverwahrte einrichten.<br />
Doch Anwohner wollen<br />
die Kriminellen<br />
nicht als Nachbarn<br />
Foto: dpa<br />
DieKonzertgitarre ist<br />
nicht das lauteste aller<br />
Instrumente. Martin Rennert,<br />
studierter Gitarrist,<br />
Professor und seit 14 Jahren<br />
Präsident der <strong>Berliner</strong><br />
Universität der Künste, hat<br />
dafür immer seine Stimme<br />
erhoben. Er sieht seine Universität<br />
als Verteidigerin<br />
der Kunst und damit der<br />
Freiheit selbst. Er stemmte<br />
sich Stammtischparolen<br />
über die Europäische entgegen<br />
und forderte Leidenschaft<br />
für die EU, um Frieden<br />
und Gedankenfreiheit<br />
für die junge Generation zu<br />
schützen. Als Sohn eines jüdischen,<br />
deutsch-österreichischen<br />
Elternpaars, das<br />
im Kindesalter den Nazis in<br />
die USA entkam, wurde er<br />
in New York geboren, als er<br />
zwölf Jahre alt war, zog die<br />
Familie nach Europa. Er<br />
studierte klassische Gitarre<br />
in Wien, Graz und Granada,<br />
um schließlich in Berlin zu<br />
landen. Es sei die einzige<br />
deutsche Stadt gewesen, in<br />
der er sich vorstellen konnte<br />
zu leben. Sie sei Europas<br />
amerikanischste Stadt und<br />
doch durch und durch europäisch,<br />
vor allem aber<br />
egalitär –keine Metropole<br />
sei sozial so durchlässig.<br />
Am Freitag wird Professor<br />
Rennert vom Regierenden<br />
Bürgermeister Michael<br />
Müller bei einer Feierstunde<br />
in den Ruhestand verabschiedet.<br />
GL<br />
Fragen?<br />
Wünsche?<br />
Tipps?<br />
Redaktion: Tel. 030/63 33 11 456<br />
(Mo.–Fr. 10–18 Uhr)<br />
10969 Berlin, Alte Jakobstraße 105<br />
E-Mail: leser-bk@berlinerverlag.com<br />
Abo-Service: Tel. 030/232777<br />
Von<br />
ANNIKA LEISTER<br />
Justizsenator Dirk<br />
Behrendt (Grüne) ist<br />
für die Umsetzung<br />
des Pilotprojekts<br />
zuständig.<br />
Tegel – Berlin will dendeutschlandweit<br />
ersten offenen Vollzug<br />
für Sicherungsverwahrte<br />
einrichten –direkt vor den Gefängnismauern<br />
der JVA Tegel.<br />
Anwohner beunruhigt das zutiefst.<br />
Nur ein paar Schritte trennen die<br />
Wohnung des Ehepaars Schäfer<br />
(Name von der Redaktion geändert)<br />
von der Gefängnismauerder<br />
Justizvollzugsanstalt Tegel. Aus<br />
ihrem Wohnzimmerfenster im<br />
zweitenStock blicken die Rentner<br />
direkt auf die massive graue Mauer<br />
und die dahinterliegenden Zellen.<br />
Katina Schäfer lebt seit 60<br />
Jahren hier.Fast ihr ganzes Leben<br />
lang. Unsicher gefühlt habe sie<br />
sichinder Umgebung der JVAbisher<br />
noch nie, sagt die 68-Jährige.<br />
Doch das hat sich inden letzten<br />
Monaten drastisch geändert.<br />
Grund dafür sind die Pläne der<br />
Senatsjustizverwaltung, einen offenen<br />
Vollzug für Sicherungsver-<br />
wahrte inTegel einzurichten. Sicherungsverwahrte<br />
sind die gefährlichsten<br />
Straftäter hinter Gittern–Sexualstraftäterundextrem<br />
brutale Gewaltverbrecher – bei<br />
denen ein Gericht entschieden<br />
hat, das¦ssie auch nach Verbüßen<br />
ihrer Haftstrafe noch eine so große<br />
Gefahr für die Allgemeinheit<br />
darstellen, dass sie von ihr ferngehaltenwerdenmüssen.<br />
Der offene Vollzug für diese<br />
Straftäter ist ein Pilotprojekt in<br />
Berlin,nach Einschätzung der Senatsjustizverwaltung<br />
vermutlich<br />
deutschlandweit der erste. Man<br />
setze damit einen klaren gesetzlichenAuftragaus<br />
dem Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz<br />
um,<br />
heißt es.<br />
50 Sicherungsverwahrte sitzen<br />
zurzeit in Tegel. Darunter: Keith<br />
M., verurteilt 2005, weil er mit 16<br />
einen siebenjährigen Nachbarsjungen<br />
zu Todequälte und zu seinen<br />
Gründensagte, dass „er schon<br />
immer wissen wollte, wie das so<br />
ist“. Die Sicherungsverwahrung<br />
erhielt M. erst später, weil er im<br />
Gefängnis immer wieder gewalttätig<br />
wurde.<br />
Auf KURIER-Nachfrage der erklärt<br />
die Justizverwaltung, dass<br />
alle Sicherungsverwahrten inTegel<br />
verurteilt wurden wegen<br />
„Straftaten gegen die sexuelle<br />
Selbstbestimmung und Gewaltdelikten“.<br />
Vor ihrer Sicherungsverwahrung<br />
müssen sie ihre Haftstrafen<br />
absitzen, die kürzeste<br />
HaftstrafederzurzeitInhaftierten<br />
betrug zwei Jahre und sechs Monate<br />
wegen sexuellen Missbrauchs,<br />
die längste Haftstrafe 15<br />
Jahre wegen Totschlags. Zuletzt<br />
hat die Justizverwaltung<br />
2016/2017 erhoben, wie lange die<br />
Sicherungsverwahrten insgesamt<br />
–also mit Haftstrafe und Sicherungsverwahrung–bereits<br />
hinter<br />
Gitternsitzen: im Schnitt 15 Jahre.<br />
Die Sicherungsverwahrten können<br />
sich schon jetzt für „Lockerungsmaßnahmen“<br />
qualifizieren<br />
–und dann zum Beispiel ehrenamtlich<br />
in einer Suppenküche arbeiten.<br />
Zuvor müsse „immer ein<br />
externes Sachverständigengutachten<br />
vorliegen“,schreibt die Senatsjustizverwaltung<br />
zum jetzigen<br />
Prozedere. Bewährensichdie<br />
Sicherungsverwahrten auf ihren<br />
Ausgängen, haben sie Aussicht<br />
aufFreiheit.Seit2015sind15Menschen<br />
in Berlin aus der Sicherungsverwahrung<br />
entlassen worden,<br />
erklärt die Senatsjustizverwaltung.<br />
Für den offenen Vollzug könnten<br />
sich in Zukunft nur Sicherungsverwahrte<br />
qualifizieren, die<br />
bereits für Lockerungen zugelassen<br />
und erprobt seien, teilt die<br />
Verwaltung weiter mit. Sachverständige<br />
und JVA müssten zueiner<br />
„günstigen Gesamtabwägung“<br />
gelangen. Vor der endgültigen<br />
Entscheidung sei das zuständige<br />
Gerichtzuhören.<br />
Die Schäfers beruhigt das nicht.<br />
Gutachter können irren, sagensie.<br />
Und ihr größtes Problem:Der offene<br />
Vollzug soll nicht hinter der<br />
dicken Gefängnismauer eingerichtet<br />
werden. Sondern in der