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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 271 · D onnerstag, 21. November 2019 – S eite 20 *<br />
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Sport<br />
Feier mit<br />
einem Stück<br />
Stoff<br />
Wales qualifiziert sich für die<br />
EM 2020. Es ist erst das dritte<br />
große Turnier für die kleine<br />
Fußballnation –und eine<br />
Chance für die jungen Spieler<br />
VonHendrik Buchheister<br />
Jubelknubbel: Die walisische Nationalelf feiertden 2:0-Sieg gegen Ungarnund die damit verbundene direkte Qualifikation für die Europameisterschaft 2020.<br />
WITTERS/STACCPOLE<br />
Ryan Giggs hat in seiner langen<br />
und illustren Spielerkarriere<br />
bei Manchester<br />
United alles gewonnen,<br />
was es zu gewinnen gibt. Er war dreizehn<br />
Malenglischer Meister,viermal<br />
FA-Cup-Sieger, triumphierte zweimal<br />
im Finale der Champions<br />
League, triumphierte ebenso im<br />
Weltpokal und bei der Klub-WM.<br />
Sein Leben ist überaus reich an großen<br />
Momenten, und am Dienstagabend<br />
ist im Stadion vonCardiff City<br />
ein weiterer dazu gekommen, mit<br />
dem Unterschied allerdings, dass<br />
Ryan Giggs diesmal nicht auf dem<br />
Platz stand, sondernvon der Trainerbank<br />
zuschaute.<br />
Die von ihm betreute Nationalmannschaft<br />
seines Heimatlandes<br />
Wales gewann ihr Endspiel um die<br />
Teilnahme an der Europameisterschaft<br />
gegen Ungarn2:0 und sicherte<br />
sich damit die Zulassung für das Turnier,das<br />
im kommenden Sommer in<br />
zwölf Ländernausgetragen wird.<br />
Nach der Weltmeisterschaft 1958<br />
und der EM 2016, bei der die Waliser<br />
Termin: Am 30. November<br />
werden die Gruppen der Europameisterschaft<br />
2020<br />
ausgelost. Zwölf Gastgeberländer<br />
wird es geben, dadurch<br />
entstehen Zwänge.<br />
Auch in Bezug auf Deutschland<br />
im ersten Lostopf.<br />
DEUTSCHE KONSTELLATIONEN<br />
Töpfe: Deutschland ist mit<br />
Italien, Belgien, England,<br />
Spanien und der Ukraine in<br />
einem Topf. Gruppengegner<br />
können unter anderen Frankreich,<br />
Kroatien und Portugal<br />
sein. Gelost wird aus vier<br />
Töpfen.<br />
Topstart: Durch das 2:0 der<br />
Nationalelf vonWales gegen<br />
Ungarnund die damit verbundene<br />
Qualifikation steht<br />
bereits fest, dass die deutsche<br />
Elf gute Startbedingungenhat.Alle<br />
drei Gruppenspiele<br />
sind in München.<br />
sensationell bis ins Halbfinale vorgerückt<br />
waren, ist es erst das dritte Mal,<br />
dass die kleine Nation bei einem bedeutenden<br />
Turnier dabei ist. Ryan<br />
Giggs offenbarte nach geglückter<br />
Qualifikation einen Gefühls-Mix aus<br />
Erleichterung und Euphorie, als er<br />
sagte: „Ich habe als Spieler viel erreicht,<br />
aber als Trainer ist es anders.<br />
Man steht unter viel größerem<br />
Druck, man ist hilflos.Esist eine der<br />
größten Nächte meines Lebens.“<br />
Giggs schnaufte.<br />
Die EM-Qualifikation ist ein persönlicher<br />
Sieg für den 45 Jahre alten<br />
Übungsleiter.Viele Fans waren skeptisch<br />
und sind es nach wie vor. Sie<br />
fragten sich, warum der Verband<br />
Giggs im Januar des vergangenen<br />
Jahres zum Nachfolger vonChris Coleman<br />
gemacht hatte. Schließlich<br />
genießt der seit der Europameisterschaft<br />
2016 Heldenstatus in Wales.<br />
DerVorwurfanGiggs war schwerwiegend,<br />
er lautete: fehlende Loyalität<br />
zur Nationalmannschaft in seiner<br />
aktiven Karriere. AlsBeleg für diesen<br />
Tatbestand wurden seine vielen Ausfälle<br />
bei Freundschaftsspielen angeführt.<br />
Die Ergebnisse zum Start der<br />
EM-Qualifikation eigneten sich<br />
nicht zur Steigerung seiner Popularität.<br />
Nach Niederlagen gegen Kroatien<br />
und Ungarn im Juni stand es<br />
schlecht um die Chancen derWaliser<br />
auf die Teilnahme am Turnier im<br />
Sommer.<br />
Doch Ryan Giggs hat noch einmal<br />
die Kurve bekommen, von den letzten<br />
fünf Partien der Qualifikation<br />
ging keine mehr verloren. Beim erlösenden<br />
Erfolg nun gegen Ungarn<br />
durch zwei Treffer von Juventus-<br />
Profi Aaron Ramsey gelang der walisischen<br />
Mannschaft, woran viele Generationen<br />
zuvor gescheitert waren:<br />
Sie gewann vor heimischem Publikum<br />
ein Alles-oder-Nichts-Spiel und<br />
bestand damit den Charaktertest.<br />
„Es war kein Platz für Fehler. Die<br />
Jungs haben große Hingabe und<br />
Qualität gezeigt. Der Applaus gebührtihnen“,<br />
sagte Giggs am Dienstagabend.<br />
Auch seiner Leistung gilt allerdings<br />
Beachtung. Ryan Giggs hat einen<br />
Umbruch vollzogen, indem er<br />
verdiente Profis wie den einstigen<br />
Kapitän Ashley Williams, Rekordnationalspieler<br />
Chris Gunter oder Angreifer<br />
HalRobson-Kanu ersetzt hat.<br />
Dafür integrierte er viele junge<br />
Kräfte oder ist noch dabei, sie zu integrieren.<br />
Beispiele sind die offensiven<br />
Flügelspieler Daniel James von<br />
Manchester United und Harry Wilson,<br />
der vom FC Liverpool nach<br />
Bournemouth verliehen worden ist.<br />
Auch die in der Bundesliga beschäftigten<br />
Ethan Ampadu vom RBLeipzig<br />
und Rabbi Matondo vom FC<br />
Schalke 04 dürfen als ein Beleg für einen<br />
erfolgreichen Generationswechsel<br />
in der walisischen Auswahl<br />
gelten.<br />
Der größte Star der Mannschaft<br />
ist allerdings nach wie vor der 30<br />
Jahre alte Gareth Bale von Real Madrid,<br />
und es passte ins Bild, dass ihm<br />
nach der gelungenen Qualifikation<br />
die Aufmerksamkeit gehörte.Der Offensivmann<br />
im reifen Fußballeralter<br />
ist bei seinemVerein schon lange unglücklich.<br />
Eigentlich sollte er im Sommer<br />
nach China abgeschoben werden,<br />
doch der Transfer platzte. Das<br />
Establishment bei Real bezichtigt<br />
Bale, falsche Prioritäten zu setzen.<br />
„Zuerst denkt er an Wales, dann ans<br />
Golfspielen und erst danach an Real<br />
Madrid“, bemerkte gerade Real-Legende<br />
Predrag Mijatovic in der<br />
Sportzeitung AS.<br />
Wales,Golf, Madrid. Daswar eine<br />
wunderbareVorlage für die Fans der<br />
Waliser. Sie haben einen Gesang mit<br />
diesen dreiWorten gedichtet und gestalteten<br />
eine entsprechende Fahne.<br />
Nach demSieg gegen Ungarnfeierte<br />
die Mannschaft mit diesem Stück<br />
Stoff, auch Bale war dabei und wirkte<br />
genau so ausgelassen wie die Kollegen.<br />
Es war eine offene Provokation<br />
gegen seinen Klub am Ende einer<br />
großen Nacht.<br />
Der Spaßaussauger<br />
Bei Tottenham Hotspur folgt Trainer José Mourinho auf Mauricio Pochettino. Ein spektakuläres Experiment in einem Klub der Premier League, der sich Sparsamkeit verordnet hat<br />
VonHendrik Buchheister,Manchester<br />
Auch ohne Verein ist José Mourinho<br />
präsent gewesen in der<br />
englischen Öffentlichkeit in den vergangenen<br />
Wochen. EinWettanbieter<br />
startete eine Werbekampagne mit<br />
dem Trainer aus Portugal in der<br />
Hauptrolle, außerdem arbeitete der<br />
einstige Special One als Experte bei<br />
den Übertragungen des Senders Sky<br />
Sports. Mourinho inszenierte sich<br />
als selbstironisch, charmant und<br />
fachkundig. Er verfolgte offensichtlich<br />
das Ziel, sein ramponiertes Ansehen<br />
in England zu sanieren, nachdem<br />
er nach seinem Aus bei Manchester<br />
United vor elf Monaten<br />
schon als erledigt galt, als Trainer<br />
vonvorgestern, nicht zu vermitteln.<br />
Die PR-Kampagne in eigener Sache<br />
führte in Rekordzeit zum Erfolg.<br />
Tottenham Hotspur stattete Mourinho<br />
jetzt als Ersatz für den abberufenen<br />
Mauricio Pochettino mit einem<br />
Vertragbis 2023 aus.Der Wechsel<br />
vollzog sich am Dienstagabend<br />
und Mittwochmorgen als Donnerschlag<br />
in zwei Akten und ist eine der<br />
spektakulärsten Personalien, die<br />
Englands Fußball in den vergangenen<br />
Jahren erlebt hat. Er könnte Tottenhams<br />
Fan-Gemeinde spalten.<br />
Die Entlassung Pochettinos gilt<br />
vielen als Zeichen für die brutale<br />
Schnelllebigkeit des Fußballs. Der<br />
Argentinier hat bei Tottenham Wunder<br />
bewirkt in fünfeinhalb Jahren,<br />
hat den Klub trotz finanzieller Unterlegenheit<br />
gegenüber der Konkurrenz<br />
zu einem Spitzenverein und zum<br />
Dauergast in der Champions League<br />
gemacht. Höhepunkt seiner Amtszeit<br />
war der Marsch ins Finale in der<br />
vorigen Saison (0:2 gegen den FC<br />
Liverpool). Dass Pochettino mit den<br />
Spurs keinen Titel holte, stellt sein<br />
Werk nicht grundsätzlich in Frage.<br />
Die Trennung war dennoch unvermeidbar.<br />
Das ganze Jahr über<br />
Da lächeln beide noch: José Mourinho (l.) folgt auf Mauricio Pochettino.<br />
präsentierte sich Tottenham in der<br />
Premier League in der Form eines<br />
Abstiegskandidaten. Denbisher letzten<br />
Auswärtssieg im nationalen Betrieb<br />
gab es im Januar. Die Mannschaft<br />
steht nach fünf sieglosen Spielen<br />
nacheinander auf dem 14. Tabellenplatz<br />
hinter Burnley, Brighton &<br />
WITTERS/ATKINS<br />
Hove Albion und Newcastle United.<br />
Dazu kommen Blamagen wie das<br />
Aus imLigapokal gegen den Viertligisten<br />
Colchester United und das 2:7<br />
in der Champions League gegen den<br />
FC Bayern.<br />
Pochettino hat immer wieder die<br />
Sparsamkeit von Klubchef Daniel<br />
Levy beklagt und genoss es vorige<br />
Saison, als Kandidat bei Manchester<br />
United und Real Madrid gehandelt<br />
zu werden. Anfang Juni kokettierte er<br />
offen mit seinem Abschied. Auch soll<br />
es Irritationen im Verein ausgelöst<br />
haben, dass sich der Trainer gleich<br />
nach der Niederlage gegen Liverpool<br />
in den Urlaub absetzte,anstatt seine<br />
Spieler bei der Trauerbewältigung zu<br />
unterstützen. Kein Wunder, dass<br />
Leistungsträger wie Christian Eriksen,<br />
JanVertonghen und Toby Alderweireld<br />
den Klub verlassen wollen.<br />
Trotzdem wird Pochettino als Held<br />
in Tottenhams Geschichte eingehen<br />
und dürfte schnell eine Anschlussbeschäftigung<br />
finden.<br />
Anders als der Argentinier hat<br />
Nachfolger Mourinho den Ruf, Pokale<br />
zu garantieren. Er gewann mit<br />
dem FC Portound Inter Mailand die<br />
Champions League, führte den FC<br />
Chelsea zu drei Meisterschaften und<br />
bescherte Manchester United die<br />
bisher letzten Trophäen mit Erfolgen<br />
im Supercup, imLigapokal und in<br />
der Europa League.Allerdings bieten<br />
sein auf Zerstörung ausgelegter Fußball,<br />
die kalte Menschenführung und<br />
die egozentrische Art Konfliktstoff.<br />
DieDaily Mail fürchtet:„Es istWahnsinn,<br />
dass Tottenham José Mourinho<br />
verpflichtet hat. Er wird das Leben,<br />
die Seele und den Spaß aus der<br />
Mannschaft saugen und alles ruinieren,<br />
was Pochettino aufgebaut hat.“<br />
Auch wird es interessant zu sehen<br />
sein, wie die Zusammenarbeit mit<br />
dem sparsamen Levy funktioniert.<br />
Bei Manchester United klagte Mourinho<br />
trotz teurer Verpflichtungen<br />
wie Paul Pogba, Romelu Lukaku oder<br />
Fred über mangelnden Rückhalt auf<br />
dem Transfermarkt. Tottenham gelang<br />
vorige Saison das Kunststück,<br />
überhaupt kein Geld für neue Spieler<br />
auszugeben und erfolgreich zu sein.<br />
Pochettino nutzt das ein knappes<br />
halbes Jahr danach nichts mehr.