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6 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 271 · D onnerstag, 21. November 2019<br />
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Politik<br />
Efraim Halevy,84, warvon 1998 bis 2002 Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad. Er warmit Yitzhak Rabin befreundet.<br />
LAIF/JONAS OPPERSKALSKI<br />
„Wer nicht mit dem Feind spricht, zahlt einen hohen Preis“<br />
Efraim Halevy war Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad. Er jagte Terroristen, löste Staatskrisen und handelte Friedensverträge aus. Ein Gespräch<br />
Ein Wohnhaus im Norden<br />
TelAvivs, eine Haustür, ein<br />
Klingelschild, viele Namen,<br />
darunter Efraim Halevy.Als<br />
wäre erein ganz normaler TelAviver<br />
und nicht der ehemalige Chef des israelischen<br />
Geheimdienstes Mossad.<br />
Einer,der Terroristen jagte,Staatskrisen<br />
löste und mit Ex-Premierminister<br />
Yitzhak Rabin Friedensverträge<br />
aushandelte. Von allen Mossad-<br />
Chefs in der Geschichte Israels gilt<br />
Halevy als der besonnenste und diplomatischste.<br />
„Good morning“,<br />
sagt er,macht Teefür sich und Kaffee<br />
für den Gast, setzt sich aufs Sofa und<br />
redet über sein Leben, sein Land und<br />
seine Sorgen. Er ist fast 85 und hellwach.<br />
Vorein paar Tagen hat der israelische<br />
Geheimdienst in Gaza einen Führer<br />
des Islamischen Dschihad ermorden<br />
lassen. Wasbringen solche Aktionen?<br />
Es geht immer darum, Leben zu<br />
retten. Im konkreten Fall haben wir<br />
es mit Baha Abu al-Ata zu tun, einem<br />
Mann, der den Norden von<br />
Gaza kommandierte und Raketenangriffe<br />
auf Israel befohlen hat.<br />
Seine Angriffe hatten kein konkretes<br />
Ziel. Durch sie sollten unschuldige<br />
Menschen ermordet werden, egal<br />
welchen Alters, auch Kinder, alte<br />
Leute.Erwar eine Bedrohung für Israel.<br />
Hatten Sie vorher schon von ihm gehört?<br />
Ichwusste seit langem vonihm.<br />
In Israel wird darüber gerätselt,<br />
warum dieser Mann ausgerechnet<br />
jetzt an der Reihe war, obesmit den<br />
politischen Schwierigkeiten des noch<br />
amtierenden Ministerpräsidenten<br />
Benjamin Netanjahu zu tun hat.<br />
Eine <strong>Zeitung</strong> schrieb: Sein Name, den<br />
vorher niemand gehört hatte, wurde<br />
in den letzten Wochen so oft vom israelischen<br />
Militär benutzt, dass ein<br />
palästinensischer Fernsehkommentator<br />
prophezeite: DieIsraelis bringen<br />
ihn demnächst um.<br />
Davon weiß ich nichts. Aber auf<br />
jeden Fall gibt es einen persönlichen<br />
Bezug zu unserem Premierminister:<br />
Vorein paar Wochen musste Netanjahu<br />
im Wahlkampf die Bühne verlassen,<br />
weil der Islamische Dschihad<br />
eine Rakete aus Gaza nach Aschdod<br />
abgeschossen hatte.<br />
Netanjahu hat später viel Spott für<br />
diesen Auftritt geerntet.<br />
Ja, ermusste seine Rede in der<br />
Mitte unterbrechen und in einem<br />
Bunker Schutz suchen. Daswar kein<br />
besonders vorteilhafter Auftritt,<br />
nicht das Bild, das deine Wähler von<br />
dir sehen wollen.<br />
Unddeswegen hat er al-Ata umbringen<br />
lassen?<br />
Das war sicher nicht der Hauptgrund<br />
für die Operation, aber vielleicht<br />
der Auslöser.Bereits in der Vergangenheit<br />
wurde mehrfach darüber<br />
diskutiert, sich seiner zu entledigen.<br />
Grundsätzlich ist meine Haltung zu<br />
solchen Operationen: Ja, manchmal<br />
sind sie notwendig, um zu zeigen, es<br />
bringt nichts, uns anzugreifen. Aber<br />
nur auf Abschreckung zu setzen, ist<br />
keine langfristige Politik. Es gibt in<br />
Gaza eine Arbeitslosenrate von60bis<br />
70 Prozent. Die Menschen leben unter<br />
schlechten Bedingungen, haben<br />
nur ein paar Stunden am TagElektrizität,<br />
Wasser ist ein großes Problem.<br />
Ichdenke,auf lange Sicht müssen wir<br />
den Dialog mit der Hamas suchen.<br />
DieHamas hat sich an den Angriffen<br />
auf Israel diesmal nicht beteiligt. Ist<br />
das bereits eine Artvon Dialog?<br />
Ja und nein. Wir reden nicht direkt<br />
mit ihnen, sondern über die<br />
Ägypter. Das Problem ist aber, wenn<br />
du über Vermittler verhandelst, erreichst<br />
du weniger,als wenn du es direkt<br />
tust. Denn dann siehst du die<br />
andere Seite, verstehst sie vielleicht,<br />
und die andereSeite versteht dich, es<br />
entwickelt sich eine gewisse Art von<br />
Vertrauen. Nur dann kann es wirklich<br />
zu einem Durchbruch kommen.<br />
Und warum wird es nicht so gemacht?<br />
Weil es immer heißt: MitTerroristen<br />
redet man nicht. Es kommt mir<br />
fast wie ein religiöser Glaube vor,<br />
dieser Vorsatz. Aber Terrorismus ist<br />
kein losgelöstes Problem, es ist Teil<br />
eines größeren Zusammenhangs.<br />
Warum hat Israel früher mit Leuten<br />
verhandelt, die als Terroristen galten,<br />
Yasser Arafat zum Beispiel, und jetzt<br />
nicht mehr?<br />
Es stimmt, es wurde damals verhandelt,<br />
aber man darfnicht vergessen,<br />
dass das Osloer Friedensabkommen<br />
in der israelischen Gesellschaft<br />
vonAnfang an sehr umstritten<br />
war und letztlich zur Ermordung von<br />
Premierminister Yitzhak Rabin geführthat.<br />
Sein Killer war ein fanatischer Religiöser,<br />
der die Rechtfertigung für den<br />
Mord in der Tora gesucht hat.<br />
Er war ein Einzeltäter, aber er<br />
steht für viele.Ich erinneremich sehr<br />
gut an die Zeit, sehr,sehr gut.<br />
Siekannten Rabin gut?<br />
Ja, ich war stellvertretender Chef<br />
des Mossad, als er Premierminister<br />
war. Vier Tage bevor er umgebracht<br />
wurde,bin ich aus dem Mossad ausgeschieden.<br />
Rabin wollte zu meiner<br />
Abschiedsfeier kommen, als Ehrengast,<br />
am 8. November 1995. DieParty<br />
wurde abgesagt wegen seines Todes.<br />
Meine Abschiedsfeier fand nie statt.<br />
Wiehaben SieRabin kennengelernt?<br />
In Washington Ende der 60er. Er<br />
war israelischer Botschafter, ich war<br />
der Mossad-Vertreter.Alle Nachrichten<br />
zwischen der israelischen Premierministerin<br />
Golda Meir und ihm<br />
gingen über mein Büro. Das bedeutete:<br />
Ich wusste alles, was er wusste.<br />
Undwir verstanden uns wirklich gut,<br />
haben uns vertraut und auch später,<br />
als er Premierminister wurde, eng<br />
zusammengearbeitet.<br />
Sie haben zusammen Friedensverträge<br />
ausgehandelt, zum Beispiel den<br />
zwischen Israel und Jordanien, der<br />
nun, 25 Jahrespäter,inGefahr ist. Die<br />
Beziehungen haben sich in den letzten<br />
Wochen dramatisch verschlechtert.<br />
Sind Sieenttäuscht über die Entwicklungen?<br />
Ja, ich bin sehr traurig und sehr<br />
verstört, was heute von unserem<br />
Vertrag übrig geblieben ist. Der<br />
Frieden mit Jordanien wurde damals<br />
vonmehr als hundertKnesset-<br />
Mitgliedern verabschiedet. Es gibt<br />
keinen anderen Vertrag, der so eine<br />
große Mehrheit hatte, und heute<br />
will niemand mehr davon etwas<br />
wissen.<br />
Haben Sie noch Kontakte zu Jordaniern,<br />
mit denen Siedamals den Friedensvertrag<br />
verhandelten?<br />
ZUR PERSON<br />
Ja,ich habe gerade in Jordanien an<br />
einem Treffen mit unseren früheren<br />
Verhandlungspartnern teilgenommen.<br />
Keiner hat michdarum gebeten,<br />
noch einmal zu vermitteln, keiner hat<br />
mich gefragt. Ichhabe das auch nicht<br />
erwartet. Es zeigt, dass die Verhandlungen<br />
gescheitertsind, es zeigt Israels<br />
Versagen. Wirhatten 25 JahreZeit. Wir<br />
hätten sie nutzen können.<br />
Efraim Halevy wurde 1934 in London geboren, kam 1948 nach Israel, besuchte eine religiöse<br />
Schule und studierte Jura an der Hebräischen Universität in Jerusalem.<br />
Zum Mossad kam er 1961, weil er wegeneines Herzfehlers nicht im Militär dienen konnte.<br />
Von1990 bis 1995 war er Stellvertreter,von 1998 bis 2002 Leiter des Mossad, der einzige<br />
zivile Chef des Geheimdienstes. Von1996 bis 1998 vertrat er Israel als Botschafter bei der EU<br />
in Brüssel. An der Seite vonYitzhak Rabin handelte er 1995 den Friedensvertrag mit Jordanien<br />
aus. 1998 gelang es ihm im Fall Maschal, durch sein Verhandlungsgeschick und seine guten<br />
Beziehungen zu König Hussein eine Staatskrise zu verhindern. Nach seinem Ausscheiden aus<br />
dem Mossad war Halevy Chef des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. Efraim Halevy lebt mit<br />
seiner Frau in TelAviv.Erhat zwei Kinder und sechs Enkelkinder.<br />
Wasist passiertindiesen 25 Jahren?<br />
Man darf nicht vergessen, dass in<br />
Jordanien viele Palästinenser leben,<br />
die nach 1948 und 1967 dorthin geflohen<br />
sind. DieFraudes Königs Abdullah<br />
zum Beispiel ist aus Nablus. Die<br />
Krisen häufen sich, die Distanz zwischen<br />
dem König und dem israelischen<br />
Premierminister wird immer<br />
größer.Auch zu den USA. In den letzten<br />
drei Jahren hatten die USA keinen<br />
Botschafter in Jordanien. Einjordanischer<br />
Diplomat erzählte mir, erhabe<br />
einen US-Kollegen gefragt: Warum<br />
schickt ihr keinen? Die Antwort war:<br />
Es ist nicht notwendig. Auch wirtschaftlich<br />
geht es Jordanien nicht gut.<br />
Als ich vor zwei Wochen dort war,<br />
habe ich auch ein Flüchtlingslager<br />
besucht. Sie haben eine Million<br />
Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen,<br />
die in Zelten leben und nach Arbeit<br />
suchen, billige Arbeitskräfte, die<br />
anderen ihreArbeit wegnehmen. Das<br />
sorgt für viel Unmut.<br />
Haben Sie auch König Abdullah getroffen?<br />
Nein, diesmal nicht. Ich kenne<br />
ihn seit langem, schon als er noch<br />
ein Teenager war. Als der alte König<br />
starb,war ich Mossad-Chef. Wirhatten<br />
ein sehr gutes Verhältnis und ich<br />
habe auch nach dem Abschluss des<br />
Friedensvertrages noch oft zwischen<br />
beiden Ländern vermittelt. Sie haben<br />
vielleicht von der Maschal-Affäregehört.<br />
Ja, Chalid Maschal war ein Hamas-<br />
Führer, der 1997 von einem Mossad-<br />
Kommando vergiftet werden sollte.<br />
Aber die Aktion ging schief.<br />
Folgendes war passiert: Vordem<br />
Mossad-Komplott hatte die Hamas<br />
in Jerusalem auf dem Yehuda-Markt<br />
einen Terroranschlag verübt. Israelis<br />
wurden ermordet. Es gab einen Aufruhr<br />
in der Bevölkerung. Der Premierminister<br />
…<br />
Das war damals Benjamin Netanjahu<br />
in seiner ersten Amtszeit?<br />
Ja, ersagte: Wir müssen reagieren,<br />
zeigen, dass wir so etwas nicht<br />
tolerieren. Der Mossad hat ein Ziel<br />
gesucht, und das war Maschal, kein<br />
besonders hochrangiges Hamas-<br />
Mitglied. Austragungsort war Amman.<br />
Hatte Maschal etwas mit dem Terroranschlag<br />
in Jerusalem zu tun?<br />
Nein, er gehörte zum politischen<br />
Flügel der Hamas. Esging Israel um<br />
Vergeltung. Ich sage Ihnen ganz ehrlich:<br />
Als ich damit beauftragt wurde,<br />
habe ich gedacht, das kann eine<br />
große Krise auslösen zwischen Israel<br />
und Jordanien. Sechs israelische Geheimagenten<br />
waren an der Operation<br />
beteiligt gewesen. Zwei waren von<br />
den Jordaniernverhaftet worden, vier<br />
hatten sich in die israelische Botschaft<br />
geflüchtet. Das jordanische<br />
Militär hatte die Botschaft umstellt<br />
und war bereit zuzuschlagen.<br />
Dann sind Sie ins Spiel gekommen,<br />
obwohl Siegar nicht mehr beim Mossad<br />
waren, sondern israelischer Botschafter<br />
in Brüssel.<br />
Ja, aneinem Freitagmorgen, kurz<br />
vor Sabbatbeginn. Die Presse hatte<br />
noch nichts mitbekommen und<br />
sollte auch nichts erfahren. Mir war<br />
klar,dass wir den Fall bis Sonntag lösen<br />
müssen, um einen Aufruhr im<br />
Land zu verhindern. Der König<br />
wollte aber keinen Israeli sprechen.<br />
Er ließ mir ausrichten: Sie mischen<br />
sich da nicht ein!<br />
Siehaben es trotzdem gemacht?<br />
DieAngebote Israels gingen nicht<br />
weit genug, waren nicht ernst gemeint.<br />
Ich sagte zu unseren Leuten:<br />
Ihrmüsst eins verstehen: Maschal ist<br />
Jordanier, der König ist unter Druck.<br />
Ich schlug vor, den Chef der Hamas<br />
freizulassen, der in israelischer Haft<br />
saß, und ihn nach Jordanien auszuliefern.<br />
Alle waren geschockt. Der<br />
Premierminister sagte zu mir: Niemals!<br />
Denken Sie sich was anderes<br />
aus! In der Nacht zu Sonnabend bat<br />
König Hussein Präsident Clinton um<br />
Hilfe und kündigte eine internationale<br />
Pressekonferenz an. Er sagte<br />
nicht, was er verkünden wollte, aber<br />
ich war sicher, erwürde den Friedensvertrag<br />
suspendieren. Sonnabendmorgen<br />
rief mich Netanjahu<br />
an und sagte: Machen Sie!<br />
Der Hamas-Chef wurde freigelassen,<br />
die Israelis auch. Sie haben eine<br />
Staatskrise verhindert, und als Dank<br />
machte Netanjahu Sie zum Mossad-<br />
Chef und versprach Ihnen lebenslange<br />
Freundschaft, habe ich gelesen.<br />
Nein, nein, nein. Dashat er nicht<br />
versprochen. Er hat in diesen Tagen<br />
überhaupt nur zweimal kurz mit<br />
mir gesprochen. Er hat sich auch nie<br />
mit mir zusammengesetzt, um die<br />
Lage zu besprechen. Ich habe auch<br />
nie Berichte über die Verhandlungen<br />
geschrieben und wurde nie aufgefordert,<br />
es zu tun. Es gibt innerhalb<br />
des Mossad keinen einzigen<br />
Bericht darüber. Auch nicht über<br />
mein Gespräch mit dem König. Niemand<br />
hat mich jemals danach gefragt.<br />
Warum nicht?<br />
Wasdenken Sie? Es war keine besonders<br />
angenehme Sache für die israelische<br />
Regierung, oder?<br />
Stehen SieinKontakt mit Netanjahu?<br />
Nein.<br />
Fragt er Sienie nach Ihrer Meinung?<br />
Nein. Mit Staatsangelegenheiten<br />
habe ich nichts mehr zu tun. Ichbin<br />
ein freier Bürger Israels, ich sage<br />
meine Meinung offen. Ichsage,dass<br />
wir mit der Hamas verhandeln sollten.<br />
Ich sage, dass wir mit den Iranernverhandeln<br />
sollten. Biszur Islamischen<br />
Revolution 1979 hatten wir<br />
gute Beziehungen zu ihnen. Nicht<br />
nur zum Schah, auch zu den Menschen<br />
dort. Wenn man mit dem<br />
Feind nicht spricht, zahlt man einen<br />
hohen Preis,injeder Hinsicht.<br />
Was zeichnet einen guten Mossad-<br />
Agenten aus?<br />
Er sollte gut mit Menschen umgehen<br />
können, ein gutes Urteilsvermögen<br />
besitzen und moralische Prinzipien.<br />
Ein Freund von mir sagte einmal:<br />
Manchmal musst du die<br />
schmutzigsten Dinge tun, aber saubere<br />
Hände haben. Ich finde, das ist<br />
eine gute Formel.<br />
DasGespräch führte Anja Reich.