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HINTERGRUND<br />
Der Bruch<br />
vonGotha<br />
Es warder größte Kunstraub<br />
in der Geschichte der<br />
DDR:1979erbeuteten<br />
Einbrecher fünf wertvolle<br />
Gemälde aus einer Gemäldegalerie<br />
in Gotha. Jetzt,<br />
40 Jahrespäter,sind sie<br />
wieder aufgetaucht und<br />
wurden zum Fall für <strong>Berliner</strong><br />
Kripo-Spezialisten.<br />
Dennder letzte Besitzer<br />
steht im Verdacht,von der<br />
kriminellen Beschaffung<br />
der Meisterwerkegewusst<br />
zu haben.<br />
Die Beute in alten Fotos (v.l.):<br />
Brueghels „Landstraße mit Bauernwagen<br />
und Kühen“, ein „Alter Mann“ vonLievens,<br />
die „Heilige Katharina“ vonHolbein,<br />
ein Selbstbildnis vanDycks, dessen<br />
Authentizität angezweifelt wird,<br />
und ein Herr mit Hut vonHals.<br />
Von<br />
ANDREAS FÖRSTER<br />
Es stürmt und regnet, als sich<br />
Unbekannte in der Nacht<br />
zum 14. Dezember 1979 zum<br />
Schloss Friedenstein oberhalb<br />
von Gotha schleichen.<br />
Einer klettert mit Steigeisen<br />
einen Blitzableiter hinauf,<br />
zerschlägt in zehn Meter Höhe<br />
eine Fensterscheibe, steigt<br />
in die Räume der Gemäldesammlung<br />
Alter Meister ein<br />
und hängt fünf wertvolle Bilder<br />
mitsamt Rahmen ab, verschwindet<br />
mit den Werken<br />
von Frans Hals, Jan Brueghel<br />
dem Älteren, Anthonis van<br />
Dyck, Jan Lievens und Hans<br />
Holbein dem Älteren.<br />
Die Täter von Gotha sind<br />
nie gefasst worden, die Bilder,<br />
deren Wert heute auf<br />
mehr als 50 Millionen Euro<br />
geschätzt wird, blieben verschwunden.<br />
Jetzt sind sie<br />
wieder aufgetaucht und zu einem<br />
Fall für das Landeskriminalamt<br />
Berlin geworden.<br />
Der Einbruch ist zwar verjährt,<br />
im neuen Ermittlungsverfahren<br />
geht es um mutmaßliche<br />
Erpressung und<br />
Hehlerei. Es gab bereits mehrere<br />
Durchsuchungen<br />
bei einem Anwalt<br />
und seinem<br />
Mandanten –esist<br />
ein Arzt aus Ostfriesland,<br />
der die Bilder<br />
besaß.<br />
Wie der Spiegel berichtet,<br />
meldete sich im Juni<br />
2018 ein Rechtsanwalt aus<br />
Süddeutschland bei Gothas<br />
Oberbürgermeister Knut<br />
Kreuch. Der Anwalt vertritt<br />
häufig Mandanten, die im Besitz<br />
von Kunstwerken zweifelhafter<br />
Provenienz sind. Da<br />
Der Weg<br />
vomOsten<br />
Deutschlands<br />
nach<br />
Ostfriesland<br />
diese auf dem legalen Kunstmarkt<br />
nicht zu handeln sind,<br />
streben sie meist eine Einigung<br />
mit den tatsächlichen<br />
Eigentümern der Objekte an.<br />
Kreuch kannte den Mann<br />
bereits aus einem anderen<br />
Rückgabefall. Nun aber hatte<br />
der Jurist eine Überraschung<br />
dabei. Er legte Kreuch neue<br />
Farbfotos der fünf<br />
Gemälde auf den<br />
Tisch und bot an,<br />
dass sein Mandant<br />
die Bilder für 5,25<br />
Millionen Euro herausgeben<br />
würde. 15<br />
Monate zogen sich<br />
diskrete Verhandlungen hin.<br />
Schließlich kam es am 30.<br />
September in Berlin zur<br />
Übergabe. Vorher hatte sich<br />
die Polizei heimlich eingeschaltet,<br />
die bei der Anlieferung<br />
der Bilder zuschlug.<br />
Festnahmen gab es keine.<br />
Der Arzt gab an, sein Vater<br />
habe die Bilder von einem<br />
Kriegskameraden als Sicherheit<br />
für ein Millionendarlehen<br />
erhalten. Irgendwie soll<br />
zudem Geld an DDR-Behörden<br />
geflossen sein, und auch<br />
die Stasi spiele angeblich eine<br />
Rolle. Doch die Geschichte<br />
stimmt vorn und hinten nicht,<br />
wie die Ermittler um René Allonge<br />
herausfanden.<br />
Jetzt gehen diverse Erklärungen<br />
um. Waren die Räuber<br />
im Auftrag westdeutscher<br />
Privatsammler tätig?<br />
Hatte die Stasi einen Einbruch<br />
vorgetäuscht, um die<br />
Bilder heimlich im Westen<br />
für harte Devisen zu verkaufen?<br />
Denn es war schon seltsam,<br />
dass der Wachschutz<br />
1979 trotz Wachhunds den<br />
Einbruch stundenlang nicht<br />
bemerkt hatte.<br />
Der Museumsraub weitete<br />
sich zu einem der größten Ermittlungsverfahren<br />
in der<br />
DDR-Kriminalgeschichte<br />
aus. Insgesamt wurden bei<br />
den „Rundumermittlungen“<br />
über 1000 Personen überprüft.<br />
Mit Hilfe des Aufsichtspersonals<br />
wurden zudem<br />
Phantombilder angefertigt<br />
von Besuchern, die sich<br />
an den Vortagen auffällig verhalten<br />
hatten. Die Ermittlungen<br />
wurden bis nach Polen<br />
und in die CSSR ausgeweitet.<br />
Zeitweise arbeiteten DDRweit<br />
bis zu 160 Kriminalisten<br />
an dem Fall. Hinzu kamen<br />
Dutzende Stasi-Mitarbeiter.<br />
Die Spurensuche hatte<br />
mehrere Auffälligkeiten ergeben.<br />
Der Klettermaxe hatte<br />
offenbar genau gewusst, was<br />
er stehlen wollte oder sollte,<br />
suchte zielbewusst mehrere<br />
Räume auf, um die Bilder abzuhängen.