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Berliner Kurier 09.12.2019

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HINTERGRUND<br />

Der Bruch<br />

vonGotha<br />

Es warder größte Kunstraub<br />

in der Geschichte der<br />

DDR:1979erbeuteten<br />

Einbrecher fünf wertvolle<br />

Gemälde aus einer Gemäldegalerie<br />

in Gotha. Jetzt,<br />

40 Jahrespäter,sind sie<br />

wieder aufgetaucht und<br />

wurden zum Fall für <strong>Berliner</strong><br />

Kripo-Spezialisten.<br />

Dennder letzte Besitzer<br />

steht im Verdacht,von der<br />

kriminellen Beschaffung<br />

der Meisterwerkegewusst<br />

zu haben.<br />

Die Beute in alten Fotos (v.l.):<br />

Brueghels „Landstraße mit Bauernwagen<br />

und Kühen“, ein „Alter Mann“ vonLievens,<br />

die „Heilige Katharina“ vonHolbein,<br />

ein Selbstbildnis vanDycks, dessen<br />

Authentizität angezweifelt wird,<br />

und ein Herr mit Hut vonHals.<br />

Von<br />

ANDREAS FÖRSTER<br />

Es stürmt und regnet, als sich<br />

Unbekannte in der Nacht<br />

zum 14. Dezember 1979 zum<br />

Schloss Friedenstein oberhalb<br />

von Gotha schleichen.<br />

Einer klettert mit Steigeisen<br />

einen Blitzableiter hinauf,<br />

zerschlägt in zehn Meter Höhe<br />

eine Fensterscheibe, steigt<br />

in die Räume der Gemäldesammlung<br />

Alter Meister ein<br />

und hängt fünf wertvolle Bilder<br />

mitsamt Rahmen ab, verschwindet<br />

mit den Werken<br />

von Frans Hals, Jan Brueghel<br />

dem Älteren, Anthonis van<br />

Dyck, Jan Lievens und Hans<br />

Holbein dem Älteren.<br />

Die Täter von Gotha sind<br />

nie gefasst worden, die Bilder,<br />

deren Wert heute auf<br />

mehr als 50 Millionen Euro<br />

geschätzt wird, blieben verschwunden.<br />

Jetzt sind sie<br />

wieder aufgetaucht und zu einem<br />

Fall für das Landeskriminalamt<br />

Berlin geworden.<br />

Der Einbruch ist zwar verjährt,<br />

im neuen Ermittlungsverfahren<br />

geht es um mutmaßliche<br />

Erpressung und<br />

Hehlerei. Es gab bereits mehrere<br />

Durchsuchungen<br />

bei einem Anwalt<br />

und seinem<br />

Mandanten –esist<br />

ein Arzt aus Ostfriesland,<br />

der die Bilder<br />

besaß.<br />

Wie der Spiegel berichtet,<br />

meldete sich im Juni<br />

2018 ein Rechtsanwalt aus<br />

Süddeutschland bei Gothas<br />

Oberbürgermeister Knut<br />

Kreuch. Der Anwalt vertritt<br />

häufig Mandanten, die im Besitz<br />

von Kunstwerken zweifelhafter<br />

Provenienz sind. Da<br />

Der Weg<br />

vomOsten<br />

Deutschlands<br />

nach<br />

Ostfriesland<br />

diese auf dem legalen Kunstmarkt<br />

nicht zu handeln sind,<br />

streben sie meist eine Einigung<br />

mit den tatsächlichen<br />

Eigentümern der Objekte an.<br />

Kreuch kannte den Mann<br />

bereits aus einem anderen<br />

Rückgabefall. Nun aber hatte<br />

der Jurist eine Überraschung<br />

dabei. Er legte Kreuch neue<br />

Farbfotos der fünf<br />

Gemälde auf den<br />

Tisch und bot an,<br />

dass sein Mandant<br />

die Bilder für 5,25<br />

Millionen Euro herausgeben<br />

würde. 15<br />

Monate zogen sich<br />

diskrete Verhandlungen hin.<br />

Schließlich kam es am 30.<br />

September in Berlin zur<br />

Übergabe. Vorher hatte sich<br />

die Polizei heimlich eingeschaltet,<br />

die bei der Anlieferung<br />

der Bilder zuschlug.<br />

Festnahmen gab es keine.<br />

Der Arzt gab an, sein Vater<br />

habe die Bilder von einem<br />

Kriegskameraden als Sicherheit<br />

für ein Millionendarlehen<br />

erhalten. Irgendwie soll<br />

zudem Geld an DDR-Behörden<br />

geflossen sein, und auch<br />

die Stasi spiele angeblich eine<br />

Rolle. Doch die Geschichte<br />

stimmt vorn und hinten nicht,<br />

wie die Ermittler um René Allonge<br />

herausfanden.<br />

Jetzt gehen diverse Erklärungen<br />

um. Waren die Räuber<br />

im Auftrag westdeutscher<br />

Privatsammler tätig?<br />

Hatte die Stasi einen Einbruch<br />

vorgetäuscht, um die<br />

Bilder heimlich im Westen<br />

für harte Devisen zu verkaufen?<br />

Denn es war schon seltsam,<br />

dass der Wachschutz<br />

1979 trotz Wachhunds den<br />

Einbruch stundenlang nicht<br />

bemerkt hatte.<br />

Der Museumsraub weitete<br />

sich zu einem der größten Ermittlungsverfahren<br />

in der<br />

DDR-Kriminalgeschichte<br />

aus. Insgesamt wurden bei<br />

den „Rundumermittlungen“<br />

über 1000 Personen überprüft.<br />

Mit Hilfe des Aufsichtspersonals<br />

wurden zudem<br />

Phantombilder angefertigt<br />

von Besuchern, die sich<br />

an den Vortagen auffällig verhalten<br />

hatten. Die Ermittlungen<br />

wurden bis nach Polen<br />

und in die CSSR ausgeweitet.<br />

Zeitweise arbeiteten DDRweit<br />

bis zu 160 Kriminalisten<br />

an dem Fall. Hinzu kamen<br />

Dutzende Stasi-Mitarbeiter.<br />

Die Spurensuche hatte<br />

mehrere Auffälligkeiten ergeben.<br />

Der Klettermaxe hatte<br />

offenbar genau gewusst, was<br />

er stehlen wollte oder sollte,<br />

suchte zielbewusst mehrere<br />

Räume auf, um die Bilder abzuhängen.

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