Berliner Zeitung 21.01.2020
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16 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 17 · D ienstag, 21. Januar 2020<br />
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Wissenschaft<br />
Coronaviren in einer kolorierten Mikroskopaufnahme. Die Virusfamilie ist genetisch sehr variabel. Zu ihren Vertreterngehören die Sars-Viren, die 2002/2003 eine weltweite Erkrankungswelle verursachten.<br />
FRED MURPHY &SYLVIA WHITFIELD/CDC<br />
VonWuhan in die Welt<br />
In China steigt die Zahl der Menschen, die mit dem neuen Sars-Virus infiziert sind. <strong>Berliner</strong> Forscher haben einen Test entwickelt, der den Erreger identifiziert<br />
VonSven Siebert<br />
Was da kurz vor dem<br />
Jahreswechsel bei<br />
Twitter zu lesen war,<br />
erinnerte die Virusexperten<br />
an der Charité an einen alten<br />
Bekannten. In Wuhan, einer Elf-Millionen-Metropole<br />
in Zentralchina,<br />
war offenbar eine neuartige Viruserkrankung<br />
ausgebrochen. Noch gab<br />
es weder offizielle Bestätigung noch<br />
detaillierte Informationen über die<br />
Artdes Virus. NurGerüchte in sozialen<br />
Medien. Aber das Team um<br />
Christian Drosten, Direktor des Instituts<br />
für Virologie, ahnte: Das<br />
könnte ein Sars-ähnlichesVirussein.<br />
Und für Sars-ähnliche Viren sind er<br />
und sein Team Experten.<br />
Übertragung vonMensch zu Mensch<br />
Das Ausmaß: Die Zahl bestätigter<br />
Fälle der durch ein<br />
neues Sars-Virus ausgelösten<br />
Lungenkrankheit in<br />
China ist übers Wochenende<br />
sprunghaft auf rund 220 gestiegen.<br />
Mittlerweile gibt es<br />
drei bekannte Todesfälle.<br />
DREI TODESFÄLLE, MEHR ALS 220 INFIZIERTE<br />
Sars gilt als erste Infektionskrankheit<br />
mit weltweiter Ausbreitung (Pandemie)<br />
im noch jungen Jahrhundert. In<br />
den Jahren 2002/2003 erkrankten –<br />
ebenfalls zuerst in China – rund<br />
8000 Menschen, 800 starben an dem<br />
Schweren Akuten Atemwegssyndrom<br />
(SevereAcute RespiratorySyndrome,<br />
kurz Sars). Christian Drosten,<br />
damals noch junger Wissenschaftler<br />
am Hamburger Tropeninstitut,<br />
gelang es als Erstem, einen<br />
zuverlässigen Test auf das neue Virus<br />
zu entwickeln. „Seit damals arbeite<br />
ich an den Coronaviren, zu denen<br />
Sars gehört“, sagt Drosten, der 2017<br />
an die Charité wechselte.<br />
„Können wir da was machen?“,<br />
fragten sich kurz vor Silvester die<br />
<strong>Berliner</strong> Virologen. Die Antwort lautete<br />
spätestens in dem Moment „Ja“,<br />
in dem von Virologen aus Wuhan<br />
selbst der Verdacht geäußert wurde,<br />
es handele sich um ein Sars-ähnliches<br />
Virus. Die<strong>Berliner</strong> entschieden,<br />
sich selbst auf die Suche nach einem<br />
geeigneten Virus-Nachweis zu machen.<br />
Während Drosten 2003 noch<br />
eine Speichelprobe eines Sars-Kranken<br />
benötigte,arbeitete das Charité-<br />
Team diesmal nur mit Daten über<br />
die Sars-Virusgruppe.<br />
Seit 2003 sind Sars und eine ganze<br />
Reihe verwandter Viren sequenziert<br />
worden. Das heißt: Das Erbmaterial<br />
des Erregers ist entschlüsselt. In der<br />
DNA und RNA werden alle Informationen<br />
über Aufbau und Entwicklung<br />
eines Lebewesens oder eines<br />
Virusdurch eine jeweils typische Abfolge<br />
bestimmter Molekülgruppen<br />
kodiert. Werdiese Sequenzen kennt,<br />
kann typische, unverwechselbare<br />
Muster in der Erbsubstanz finden.<br />
Die<strong>Berliner</strong> fingen an, auf dieser Datenbasis<br />
ein Test-Kit zu entwickeln,<br />
das alle Sars-verwandten Viren sicher<br />
identifizieren kann. Niemand<br />
musste dazu im Schutzanzug vor einer<br />
Sterilbank sitzen und Virusproben<br />
pipettieren –die Arbeit fand im<br />
Wesentlichen am Computer statt.<br />
Inzwischen hatten die Chinesen<br />
die Sequenz des neuen Wuhan-Virus<br />
veröffentlicht. Und nach einem Wochenende<br />
intensiver Arbeit lag<br />
schließlich ein zuverlässiger Test vor.<br />
Die <strong>Berliner</strong> Arbeitsgruppe hatte<br />
eine typische Sequenz gefunden, die<br />
nur in Sars-Viren einschließlich<br />
„Wuhan“ zu finden ist. Die Forscher<br />
testeten ihre Kits an Proben praktisch<br />
aller bekannten Viren, die für<br />
Atemwegserkrankungen sorgen und<br />
in den Kühlkammern der Charité<br />
schlummern. MitErfolg.<br />
Eine <strong>Berliner</strong> Bio-Technologie-<br />
Firma stellt nun mit modernen gentechnischen<br />
Verfahren die Test-Kits<br />
her.Anein Stückchen RNA mit der typischenVirus-Sequenz<br />
wirdein Fluoreszens-Farbstoff<br />
gekoppelt. DerTest<br />
lässt sich mit den geeigneten Laborgeräten<br />
in Kliniken überall auf der<br />
Welt einsetzen. Kommt er mit dem<br />
Wuhan-Virus in Berührung, fängt die<br />
Probe nach rund einer Stunde gewissermaßen<br />
an zu leuchten.<br />
Drosten hat veröffentlicht, wie<br />
der Test entwickelt und überprüft<br />
wurde. Auf der Internetseite der<br />
Weltgesundheitsorganisation WHO<br />
lässt sich das nachlesen. Aus dem<br />
Charité-Institut werden nun Test-<br />
Kits in alle Welt verschickt.<br />
Der Anfang: Der Großteil der<br />
Infektionen konzentriertsich<br />
mit 198 bekannten Fällen<br />
auf die 11-Millionen-Metropole<br />
Wuhan. Ausgangspunkt<br />
ist wohl ein Markt. Weitere<br />
Fälle gibt es in Peking,<br />
Shanghai und Guangdong.<br />
Vorsichtsmaßnahmen: Polizisten mit Mundschutz in Peking.<br />
DieAusbreitung: Nach FälleninThailand<br />
undJapan<br />
wurde auch in Südkoreaeine<br />
Infektionbestätigt. Britische<br />
Experten gehen davonaus,<br />
dass dieKrankheit wesentlich<br />
weiterverbreitetist.Eskönne<br />
1700 Infiziertegeben.<br />
MARK SCHIEFELBEIN/AP/DPA<br />
Aber was nützt so ein Test? Das<br />
Wuhan-Virus breitet sich weiter aus.<br />
Am Montag wurde aus China von einem<br />
sprunghaften Anstieg der<br />
Krankheitsfälle berichtet. Offiziell<br />
rund 220 Menschen sind bisher infiziert,<br />
drei gestorben. Es gibt offenbar<br />
einzelne Fälle in Thailand, Japan und<br />
Südkorea. Die Tests können helfen,<br />
Verdachtsfälle zweifelsfrei aufzuklären,<br />
sagt Drosten. Wichtig sei vor allem,<br />
zu bestimmen, ob eine Menschzu-Mensch-Übertragung<br />
des neuen<br />
Virus möglich ist. Das scheint tatsächlich<br />
der Fall zu sein, wie am<br />
Abend bekannt wurde.InzweiFällen<br />
sei eines Übertragung vonMensch zu<br />
Mensch nachgewiesen, meldete die<br />
Nachrichtenagentur Xinhua.<br />
BeiSars war das vor17Jahren der<br />
Fall. Bei dem Corona-Virus aus Wuhan<br />
ist noch nicht klar: Muss man<br />
mit den Tieren, also den ursprünglichen<br />
Virus-Wirten, in Berührung<br />
kommen, um sich zu infizieren?<br />
Oder reicht es, dass auf Bahnhöfen<br />
und Flughäfen, in Hörsälen und<br />
Kantinen ein Mensch den anderen<br />
anniest, um dasViruszuübertragen?<br />
Die Sars-ähnlichen Coronaviren<br />
stammen nach Drostens Erkenntnissen<br />
aus Hufeisennasen-Fledermäusen,<br />
wie sie in Asien verbreitet sind.<br />
Bei Sars nahm man an, Menschen<br />
hätten sich durch den Verzehr von<br />
Schleichkatzen, einer asiatischen<br />
Säugetiergruppe, infiziert. Die<br />
Schleichkatzen ihrerseits hatten<br />
möglicherweise Fledermäuse gefressen.<br />
Der Verkauf von Schleichkatzen<br />
ist wegen Sars nun in China verboten.<br />
Aber Drosten ist nicht sicher, ob<br />
damit der damalige Übertragungsweg<br />
tatsächlich unterbrochen<br />
wurde. ImFall von Sars gab es Drosten<br />
zufolge auch Hinweise, dass<br />
Marderhunde das Virus trugen. Sie<br />
werden in China massenweise in<br />
großen Farmen gezüchtet. Ihr Fell<br />
findet sich an den Kapuzen vieler<br />
Winterjacken. Die wirtschaftliche<br />
Bedeutung der Marderhunde ist deswegen<br />
für China groß.<br />
Drosten vermutet, dass Insekten<br />
die ursprünglichen Wirtevieler Viren<br />
sind. Denn viele Säugetiere sind Insektenfresser.Und<br />
auch der Mensch<br />
könnten diesem Risiko künftig vermehrtausgesetzt<br />
sein. Denn der Forscher<br />
ist überzeugt, dass künftig<br />
auch Insekteneiweiß für unsereNahrungsmitteln<br />
verwendet wird. „Wir<br />
werden anfangen müssen Insekten<br />
zu essen, um den Proteinbedarf einer<br />
wachsenden Weltbevölkerung<br />
zu decken.“ Deshalb hat er in seinem<br />
jüngst publizierten Projekt nach VireninInsekten<br />
gefahndet.<br />
Für die im Fachblatt Plos Pathogens<br />
veröffentlichte Studie haben die<br />
Forscher die Tatsache genutzt, dass<br />
man bei der Sequenzierung von Insekten-Genen<br />
immer auch Spuren<br />
von viralem Erbmaterial findet. In<br />
Bonn gibt es eine Datenbank, die die<br />
Gene von mehr als 1200 Insektenarten<br />
auflistet.„Wir haben gewissermaßen<br />
deren Müll durchsucht“, berichtet<br />
Drosten. Es sei wohl die bisher<br />
größte Einzelstudie zur Entdeckung<br />
neuer Viren. Das Suchprogramm<br />
fand typische Virus-Sequenzen –<br />
Hunderte bisher unbekannte Viren<br />
aus mindestens 20 Gattungen. Mit<br />
den Daten kann man nun Proben von<br />
Patienten untersuchen, die an einer<br />
unbekanntenVirusinfektion leiden.<br />
Sars wurde wieder harmlos<br />
Aber nicht alle Viren, die sich im Tierreich<br />
tummeln, können auf den Menschen<br />
überspringen. Einen Fall wie<br />
Sars oder „Wuhan“ gebe es nur etwa<br />
alle zehn Jahre, sagt Drosten. Und<br />
nicht immer ist ein solcher Wirtswechsel<br />
gefährlich. Manche Viren<br />
verursachen nur einen Schnupfen<br />
oder bleiben ohne Symptome. Andere–wie<br />
Sars –führen zu einer Pandemie,<br />
verschwinden aber von allein<br />
wieder. Das Sars-Virus mutierte und<br />
verlor die Fähigkeit zur Infektion<br />
menschlicher Zellen wieder. Wie es<br />
mit Virus aus Wuhan weitergeht, ist<br />
offen. Drosten: „In der überwiegenden<br />
Mehrzahl gelingt es einem Virus<br />
nicht, sich erfolgreich zu etablieren.“<br />
Gesellschaftliche Wendepunkte für den Klimaschutz<br />
Dezentrale Energiegewinnung, Erziehung zu mehr Umweltbewusstsein in der Schule und Bauen mit Holz –Potsdamer Forscher zeigen Wege für einen grundlegenden Wandel<br />
tionen für erneuerbareEnergien. Außerdem<br />
empfehlen die Forscher einen<br />
Umbau der Energieversorgung<br />
vonzentralen Kraftwerken hin zu dezentraler<br />
Energiegewinnung, etwa<br />
durch Solar-und Windkraft.<br />
Auch Städte können viel bewirken,<br />
macht das Team klar. Direkte<br />
und indirekte Emissionen von Gebäuden<br />
summieren sich weltweit zu<br />
20 Prozent des Treibhausgasausstoßes.<br />
Die Wissenschaftler schlagen<br />
große Vorzeigeprojekte vor, in denen<br />
auch klimafreundliches Bauen gezeigt<br />
werden könnte. Sokönne ein<br />
Echte gesellschaftliche Trendwenden<br />
könnten nach Forscherangaben<br />
helfen, das Klima effektiv zu<br />
schützen. Ein internationales Team<br />
nennt dafür Bereiche wie Energie,Finanzwelt<br />
und Bildung. Bis spätestens<br />
2050 müsse der gesamte globale<br />
Treibhausgasausstoß auf Null reduziert<br />
sein, was tiefgreifende Änderungen<br />
nötig mache.<br />
Die Gruppe um die Leitautorin<br />
Ilona M. Otto, Soziologin am Potsdam-Institut<br />
für Klimafolgenforschung<br />
(PIK), hat zahlreiche Expertenvorschläge<br />
analysiert und präsentiertnun<br />
mögliche Trendwenden<br />
und Wege, die sie als Kippinterventionen<br />
bezeichnen. Die Studie, an<br />
der auch der ehemalige PIK-Direktor<br />
Hans Joachim Schellnhuber beteiligt<br />
ist, erschien am Montag im Fachmagazin<br />
PNAS.<br />
Einer der benannten Bereiche ist<br />
die Energieerzeugung. Die Forscher<br />
betonen, dass der Trend wegvon fossilen<br />
Brennstoffen gehen müsse.Dabei<br />
sei vorallem die Politik gefordert:<br />
2015 waren die Subventionen für<br />
Kohle, Erdöl und Erdgas noch mehr<br />
als doppelt so hoch wie die Subvengroßes<br />
Gebäude, das zu 80 Prozent<br />
aus laminiertem Holz errichtet<br />
werde, Tausende Tonnen Kohlendioxid<br />
(CO 2 )vermeiden.<br />
Im Bereich Bildung fordern die<br />
Forscher um Ilona Otto und Hans<br />
Joachim Schellnhuber ebenfalls<br />
mehr Bemühungen. „Nachhaltigkeit<br />
kann nicht auferlegt werden, sie<br />
muss gelernt werden“, schreiben sie.<br />
Deshalb plädieren sie dafür,indeutlich<br />
höherem Maße als heute eine<br />
umwelt- und klimabewusste Lebensweise<br />
in den Schulunterricht<br />
einzubeziehen.<br />
Wichtig seien auch Informationen<br />
für die Verbraucher. Unter den<br />
analysierten Vorschlägen waren<br />
auch Angaben über den Ausstoß von<br />
Treibhausgasen zur Herstellung eines<br />
Produkts auf jeder Packung,<br />
ähnlich wie die Nährwertangaben<br />
bei Lebensmitteln.<br />
Andreas Ernst vonder Universität<br />
Kassel, selbst nicht an der Studie beteiligt,<br />
ist der Ansicht, dass soziale<br />
Kippinterventionen ein sehr guter<br />
Weg sind, den Blick auf die gesellschaftlichen<br />
Möglichkeiten des Umsteuerns<br />
zu richten. MitGeschick an<br />
der richtigen Stelle platzierten Maßnahmen<br />
könnten umfassende Erfolge<br />
bei der Bewältigung der Klimaerwärmung<br />
haben.<br />
„Die in der Studie vorgestellten<br />
Ansatzpunkte sind an sich keineswegs<br />
neu“, sagt Ernst. „Neu ist die<br />
Hypothese, dass es mit bestimmten,<br />
eleganten Interventionen gelingt,<br />
großflächige Veränderungen auszulösen.“<br />
Die inder Studie besprochenen<br />
Eingriffe blendeten allerdings<br />
noch politische und wirtschaftliche<br />
Machtfragen als wesentliche Beharrungsfaktoren<br />
völlig aus. (dpa)