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ist dann auch für eine breiteres Publikum<br />
erfahrbar.“ Was das in der Praxis bedeutet,<br />
konnten die Besucher des Projekts „Im<br />
Licht von Amarna“ erleben: Hier wurde<br />
eines der wichtigsten Objekte jedes Bereichs<br />
auch als Replik ausgestellt, hergestellt<br />
in einem Gips-Workshop des Staatlichen<br />
Museums Berlin.<br />
Umbau statt Umzug. Laut Statistischem<br />
Bundesamt hat Deutschland nach Japan<br />
die weltweit zweitälteste Bevölkerung.<br />
„Ältere und körperlich eingeschränkte<br />
Menschen fürchten einen Umzug neben<br />
der höheren finanziellen Belastung aus<br />
zwei Gründen: Erstens wegen des Verlusts<br />
des gewohnten sozialen Umfeldes, zweitens<br />
wegen des erforderlichen Umlernens<br />
von gewohnten Bewegungsabläufen in der<br />
neuen Wohnumgebung“, erklärt die <strong>Berliner</strong><br />
Psychologin Prof. Dr. Janine Netzel,<br />
die derzeit in München forscht. Sowissen<br />
Senioren trotz getrübten Blickes aus Erfahrung,<br />
wo ihr Lichtschalter sitzt, ihre<br />
Stufen anfangen. „In einer neuen Wohnung<br />
müssen diese Abläufe erst langwierig<br />
neu erarbeitet werden. Lieber bleiben<br />
sie in gewohnter Umgebung und nehmen<br />
aktiv am Leben teil, statt fernab versorgt,<br />
aber isoliert“, schließt die Professorin.<br />
Der aktuelle Wohnungsmarkt bestätigt<br />
Netzels These: Der Ring Deutscher Makler<br />
Berlin-Brandenburg konstatierte bereits<br />
im Mai 2018 in einer Studie über den<br />
Immobilienmarkt der Region, dass ältere<br />
und pflegebedürftige Menschen lieber in<br />
den Zentren Potsdam und Berlin leben.<br />
Gründe: bessere gesundheitliche Versorgung<br />
und hohes kulturelles Angebot.<br />
Mehr Wohnfläche und weniger Baukosten<br />
locken eher jüngere Familien ins Grüne.<br />
Zunehmendes Alter fordert stete Anpassung<br />
des Wohnraums. Wie, beschreibt Hilka<br />
Groenewold: „Das Wichtigste für sehbehinderte<br />
Menschen ist gutes indirektes, blendungsfreies<br />
Licht. Je nach Sehbehinderung<br />
gibt es unterschiedliche Bedarfe an Beleuchtung,<br />
deshalb ist eine dimmbare Beleuchtung<br />
sehr wichtig.“ Groenewold weiter: „Gute<br />
Kontraste von orientierenden Elementen,<br />
wie Türen zur Wand, Türgriff zum Türblatt,<br />
Sicherheitsmarkierungen an Glasflächen und<br />
Glastüren, kontrastreiche Schalter zu Wand<br />
und Gefahrenelemente wie Treppen müssen<br />
durch eine Stufenvorderkantenmarkierung<br />
sicher erkennbar sein. Schriften brauchen<br />
einen höheren Kontrast, um gut lesbar zu<br />
sein.“ Schon mit solchen Maßnahmen kann<br />
das Leben in den eigenen vier Wänden trotz<br />
Sehschwäche sicher und lebenswert bleiben.<br />
Alle einbinden. Das Prinzip, alle einzubinden,<br />
zeigt auch die Dauerausstellung in der<br />
Neuen Synagoge in Berlin: „Hier ist der Besucherweg<br />
für Rollstuhlfahrer aufgrund der<br />
Gegebenheiten des historischen Gebäudes<br />
beeinträchtigt. Die Ausstellung wurde so entwickelt,<br />
dass die Schwerpunkte von Inhalt<br />
und Erzählstruktur für alle Ausstellungsbenutzer<br />
gegeben sind“, erklärt Architekt Tom<br />
Duncan. Erkenntnisse aus der Baupraxis und<br />
Workshops helfen zur Umsetzung barrierefreier<br />
Perspektiven: „Im Rahmen einer Ausstellungsgestaltung<br />
arbeiten wir während des<br />
Planungsprozesses mit Workshops, um Bedürfnisse<br />
in Bezug auf das Ausstellungsdesign<br />
festzustellen.“ Nach Duncans Erfahrung ist<br />
es wichtig, frühzeitig Kontakt zu Betroffenen<br />
aufzunehmen und die Kommunikation nicht<br />
abbrechen zu lassen. Das könne ganz allgemein<br />
für Gestaltungsprozesse gelten, bei denen<br />
ein Lebensumfeld für Menschen mit und<br />
ohne Behinderung geschaffen wird.<br />
Daniel Khafif<br />
Bild: Finest Images /O&O Baukunst<br />
Nutzerfreundlich: DerAlexander Tower<br />
hat ein sehr gut zugänglichesFoyer.<br />
Für Sehbehinderte:<br />
Gipsmodelle im Museum.<br />
Barrierefrei leben in Berlin<br />
Schwerbehinderte Menschen in Berlin: 348.988<br />
(Stand: Ende 2017, Quelle: Amtfür Statistik Berlin Brandenburg)<br />
1<br />
41.000<br />
barrierefreie und<br />
barrierearme<br />
Wohnungen fehlen<br />
(Quelle: Studie des Kuratoriums<br />
Deutsche Altershilfe von<br />
2014)<br />
2 3<br />
129<br />
U-Bahnhöfe stufenfrei<br />
erreichbar<br />
(Quelle: <strong>Berliner</strong> Verkehrsbetriebe<br />
2019)<br />
124<br />
Bahnhöfe (94 Prozent)<br />
in Berlin stufenfrei<br />
ausgebaut<br />
(Quelle: Deutsche Bahn 2019)<br />
Medizin setzt Baustandards<br />
VonHygiene zu Barrierefreiheit<br />
Der <strong>Berliner</strong> Arzt und Notfallmediziner Dr.Claus Pesch erklärt: „Die gewohnte<br />
Umgebung lässt sich mit technischen Hilfen wie Sessellift, Fahrstuhl, Notfall-Apps<br />
zur Benachrichtigung für Leitstellen, Halterungen in Flur und Sanitärbereich<br />
anpassen. Das ist besser,als eine neue Umgebung zu erlernen.“ Doch diese<br />
Anpassungen sind teuer.Inwieweit Kassen und Versicherer bei Bedarf helfen,<br />
ist stets vom Einzelfall abhängig. Der Arzt erinnert: „Es brauchte lange, um<br />
Schulpflicht oder Gesundheitswesen rechtlich zu verankern. Ja, das kostet –aber<br />
unsere Gesellschaft profitiert davon.“ Baustandards bringen Lebensqualität. Doch<br />
ob Unfall, altersbedingt oder angeboren: Körperliche Defizite betreffen uns alle.<br />
Erkenntnisse aus Rudolf Virchows Forschung der Sozialmedizin standardisierten zum<br />
Ende des 19. Jahrhunderts die Hygiene in <strong>Berliner</strong> Wohnvierteln: Fließendes Wasser,<br />
Keramikinstallationen und Entlüftungen zur Vermeidung von Infektionskrankheiten.<br />
„Fortan wurden die Grundrisse nach dem Licht-Luft-Sonne-Prinzip entwickelt, als<br />
bezahlbarer Wohnraum für jedermann. Der Einbau von Toiletten in jedem Haushalt<br />
sowie Zu- und Abwasserleitungen in Küche und Bad wurden zum Standard“,<br />
erklärt Winfried Benne. Der Architekt wünscht sich eine breitere Sensibilisierung für<br />
erfolgreichere Inklusion.<br />
Dafür müssen aus seiner Sicht auch finanzielle Voraussetzungen bereit gestellt und<br />
Förderungen fokussiert werden: „Anders als zu meiner Studienzeit müssen sich<br />
Architekten heute mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen intensiv<br />
auseinandersetzen,“ betont Benne. Die öffentliche Hand bleibe gefordert. (dkh)