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Berliner Kurier 25.01.2020

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ist dann auch für eine breiteres Publikum<br />

erfahrbar.“ Was das in der Praxis bedeutet,<br />

konnten die Besucher des Projekts „Im<br />

Licht von Amarna“ erleben: Hier wurde<br />

eines der wichtigsten Objekte jedes Bereichs<br />

auch als Replik ausgestellt, hergestellt<br />

in einem Gips-Workshop des Staatlichen<br />

Museums Berlin.<br />

Umbau statt Umzug. Laut Statistischem<br />

Bundesamt hat Deutschland nach Japan<br />

die weltweit zweitälteste Bevölkerung.<br />

„Ältere und körperlich eingeschränkte<br />

Menschen fürchten einen Umzug neben<br />

der höheren finanziellen Belastung aus<br />

zwei Gründen: Erstens wegen des Verlusts<br />

des gewohnten sozialen Umfeldes, zweitens<br />

wegen des erforderlichen Umlernens<br />

von gewohnten Bewegungsabläufen in der<br />

neuen Wohnumgebung“, erklärt die <strong>Berliner</strong><br />

Psychologin Prof. Dr. Janine Netzel,<br />

die derzeit in München forscht. Sowissen<br />

Senioren trotz getrübten Blickes aus Erfahrung,<br />

wo ihr Lichtschalter sitzt, ihre<br />

Stufen anfangen. „In einer neuen Wohnung<br />

müssen diese Abläufe erst langwierig<br />

neu erarbeitet werden. Lieber bleiben<br />

sie in gewohnter Umgebung und nehmen<br />

aktiv am Leben teil, statt fernab versorgt,<br />

aber isoliert“, schließt die Professorin.<br />

Der aktuelle Wohnungsmarkt bestätigt<br />

Netzels These: Der Ring Deutscher Makler<br />

Berlin-Brandenburg konstatierte bereits<br />

im Mai 2018 in einer Studie über den<br />

Immobilienmarkt der Region, dass ältere<br />

und pflegebedürftige Menschen lieber in<br />

den Zentren Potsdam und Berlin leben.<br />

Gründe: bessere gesundheitliche Versorgung<br />

und hohes kulturelles Angebot.<br />

Mehr Wohnfläche und weniger Baukosten<br />

locken eher jüngere Familien ins Grüne.<br />

Zunehmendes Alter fordert stete Anpassung<br />

des Wohnraums. Wie, beschreibt Hilka<br />

Groenewold: „Das Wichtigste für sehbehinderte<br />

Menschen ist gutes indirektes, blendungsfreies<br />

Licht. Je nach Sehbehinderung<br />

gibt es unterschiedliche Bedarfe an Beleuchtung,<br />

deshalb ist eine dimmbare Beleuchtung<br />

sehr wichtig.“ Groenewold weiter: „Gute<br />

Kontraste von orientierenden Elementen,<br />

wie Türen zur Wand, Türgriff zum Türblatt,<br />

Sicherheitsmarkierungen an Glasflächen und<br />

Glastüren, kontrastreiche Schalter zu Wand<br />

und Gefahrenelemente wie Treppen müssen<br />

durch eine Stufenvorderkantenmarkierung<br />

sicher erkennbar sein. Schriften brauchen<br />

einen höheren Kontrast, um gut lesbar zu<br />

sein.“ Schon mit solchen Maßnahmen kann<br />

das Leben in den eigenen vier Wänden trotz<br />

Sehschwäche sicher und lebenswert bleiben.<br />

Alle einbinden. Das Prinzip, alle einzubinden,<br />

zeigt auch die Dauerausstellung in der<br />

Neuen Synagoge in Berlin: „Hier ist der Besucherweg<br />

für Rollstuhlfahrer aufgrund der<br />

Gegebenheiten des historischen Gebäudes<br />

beeinträchtigt. Die Ausstellung wurde so entwickelt,<br />

dass die Schwerpunkte von Inhalt<br />

und Erzählstruktur für alle Ausstellungsbenutzer<br />

gegeben sind“, erklärt Architekt Tom<br />

Duncan. Erkenntnisse aus der Baupraxis und<br />

Workshops helfen zur Umsetzung barrierefreier<br />

Perspektiven: „Im Rahmen einer Ausstellungsgestaltung<br />

arbeiten wir während des<br />

Planungsprozesses mit Workshops, um Bedürfnisse<br />

in Bezug auf das Ausstellungsdesign<br />

festzustellen.“ Nach Duncans Erfahrung ist<br />

es wichtig, frühzeitig Kontakt zu Betroffenen<br />

aufzunehmen und die Kommunikation nicht<br />

abbrechen zu lassen. Das könne ganz allgemein<br />

für Gestaltungsprozesse gelten, bei denen<br />

ein Lebensumfeld für Menschen mit und<br />

ohne Behinderung geschaffen wird.<br />

Daniel Khafif<br />

Bild: Finest Images /O&O Baukunst<br />

Nutzerfreundlich: DerAlexander Tower<br />

hat ein sehr gut zugänglichesFoyer.<br />

Für Sehbehinderte:<br />

Gipsmodelle im Museum.<br />

Barrierefrei leben in Berlin<br />

Schwerbehinderte Menschen in Berlin: 348.988<br />

(Stand: Ende 2017, Quelle: Amtfür Statistik Berlin Brandenburg)<br />

1<br />

41.000<br />

barrierefreie und<br />

barrierearme<br />

Wohnungen fehlen<br />

(Quelle: Studie des Kuratoriums<br />

Deutsche Altershilfe von<br />

2014)<br />

2 3<br />

129<br />

U-Bahnhöfe stufenfrei<br />

erreichbar<br />

(Quelle: <strong>Berliner</strong> Verkehrsbetriebe<br />

2019)<br />

124<br />

Bahnhöfe (94 Prozent)<br />

in Berlin stufenfrei<br />

ausgebaut<br />

(Quelle: Deutsche Bahn 2019)<br />

Medizin setzt Baustandards<br />

VonHygiene zu Barrierefreiheit<br />

Der <strong>Berliner</strong> Arzt und Notfallmediziner Dr.Claus Pesch erklärt: „Die gewohnte<br />

Umgebung lässt sich mit technischen Hilfen wie Sessellift, Fahrstuhl, Notfall-Apps<br />

zur Benachrichtigung für Leitstellen, Halterungen in Flur und Sanitärbereich<br />

anpassen. Das ist besser,als eine neue Umgebung zu erlernen.“ Doch diese<br />

Anpassungen sind teuer.Inwieweit Kassen und Versicherer bei Bedarf helfen,<br />

ist stets vom Einzelfall abhängig. Der Arzt erinnert: „Es brauchte lange, um<br />

Schulpflicht oder Gesundheitswesen rechtlich zu verankern. Ja, das kostet –aber<br />

unsere Gesellschaft profitiert davon.“ Baustandards bringen Lebensqualität. Doch<br />

ob Unfall, altersbedingt oder angeboren: Körperliche Defizite betreffen uns alle.<br />

Erkenntnisse aus Rudolf Virchows Forschung der Sozialmedizin standardisierten zum<br />

Ende des 19. Jahrhunderts die Hygiene in <strong>Berliner</strong> Wohnvierteln: Fließendes Wasser,<br />

Keramikinstallationen und Entlüftungen zur Vermeidung von Infektionskrankheiten.<br />

„Fortan wurden die Grundrisse nach dem Licht-Luft-Sonne-Prinzip entwickelt, als<br />

bezahlbarer Wohnraum für jedermann. Der Einbau von Toiletten in jedem Haushalt<br />

sowie Zu- und Abwasserleitungen in Küche und Bad wurden zum Standard“,<br />

erklärt Winfried Benne. Der Architekt wünscht sich eine breitere Sensibilisierung für<br />

erfolgreichere Inklusion.<br />

Dafür müssen aus seiner Sicht auch finanzielle Voraussetzungen bereit gestellt und<br />

Förderungen fokussiert werden: „Anders als zu meiner Studienzeit müssen sich<br />

Architekten heute mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen intensiv<br />

auseinandersetzen,“ betont Benne. Die öffentliche Hand bleibe gefordert. (dkh)

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