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Fachmagazin für den Spielwaren- und Buchhandel

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CORONA SPEZIAL

planet toys 23

prämie will. Die 500 Euro würden wohl

zu einer kurzfristigen Belebung führen,

aber die Frage ist doch, wo das Geld investiert

wird. Langfristig dürfte das überhaupt

keine Auswirkungen haben. Die

Politik sollte sich eher den Kopf darüber

zerbrechen, dass unsere Innenstädte

nicht weiter verwaisen, es sei denn, sie

akzeptiert, dass dann vielleicht Städte

mit 50.000 Einwohnern keinen Handel

mehr haben.

Wie hat sich Ihre Verbundgruppe idee

+ spiel bei der Bewältigung der Krise

geschlagen?

W.S.: Hinterher sind wir alle schlauer,

denn wer konnte sich Mitte März vorstellen,

sein Geschäft schließen zu müssen.

Alle Händler sind davon überrascht

worden, auch alle Verbundgruppen. Persönlich

hätte ich mir schon Maßnahmen

gewünscht, die das Leben in den ersten

Tagen etwas einfacher gemacht hätten,

aber auf der anderen Seite muss ich sagen,

dass der Informationsfluss einwandfrei

war. Die Situationen in den einzelnen

Bundesländern waren ja höchst unterschiedlich.

Und die Zentrale in Hildesheim

hat natürlich die Mitarbeiter ins

Homeoffice geschickt und Kurzarbeit

angemeldet. Was die gleistet haben, da

kann ich nur sagen: Hut ab!

Einige Lieferanten legten Unterstützungsprogramme

für den Handel auf.

Sind Sie mit dem, was von der Industrie

kam, zufrieden?

W.S.: Wir arbeiten mit knapp über 100

Lieferanten direkt zusammen. Auf unsere

Bitte hin, für bereits bestellte Waren ein

verlängertes Zahlungsziel zu gewähren,

haben wir sehr verschiedene Antworten

halten. Das reichte von „null Reaktion“

über „unser Problem“ bis hin zu

„selbstverständlich machen wir das“. Es

gab schon immer ein Ranking der Lieferanten

bei uns, das sich nicht nach der

Umsatzhöhe richtet, eher nach Spanne

und Partnerschaft. Durch Corona kam

es zu erheblichen Verschiebungen. Es

gab extreme Aufsteiger und Absteiger.

Wird der Fokus deshalb noch stärker

auf Lieferanten mit attraktiver Marge

liegen?

W.S.: Ja, aber es geht nicht darum, jetzt

selbst Lieferanten zu knebeln. Was nützt

es mir, wenn ich mit einem Lieferanten

ein Jahr zusammenarbeite und im nächsten

Jahr existiert er nicht mehr, weil er

selber keine Marge erwirtschaftet? In

Zukunft brauchen wir eine partnerschaftliche

Zusammenarbeit. Die Zeiten, als

der Stärkere die Spielregeln bestimmte,

müssen jedenfalls aufhören.

Ein Kollege aus dem Norden wollte die

Schließung zum Abarbeiten seiner ewigen

To-do-Liste nutzen, ist aber gescheitert,

»Wir stationären Händler

müssen derzeit erst einmal

auf Sicht fahren, große Investitionen

sind schwierig.«

WIELAND SULZER

Geschäftsführer Spielwaren Sulzer

Vorsitzender BVS

weil er seine Energie für Kundenpflege

und Umsatzgenerierung aufbrauchte.

Was hat Sulzer in der Zeit des Shutdowns

getrieben?

W.S.: In den ersten Tagen der Schließung

haben wir sehr intensiv kommuniziert,

dass man weiterhin das gesamte Sortiment

bei uns abholen kann. Die Vorgehensweise

haben wir mit dem Ordnungsamt

abgesprochen. Der Kunde hat kontaktlos

bezahlt, ist auf unseren Hof gefahren,

um sich seine Artikel aus unserem

Firmenwagen zu nehmen. Er hat einen

Give-away bekommen. Im Wagen stand

zudem Desinfektionsmittel bereit. Das

hat wunderbar bis etwa 10 Tage vor Ostern

funktioniert, als die vierte Verordnung

der hessischen Landesregierung

herauskam. Abholen war auf einmal nicht

mehr gestattet. Die Geschäftsführung

von Sulzer packte dann Päckchen und

lieferte die Ware kostenfrei innerhalb

Marburgs aus.

Einige stationäre Händler befürchten,

dass es durch die Corona-Krise zu

langfristigen Veränderungen im Kundenverhalten

kommt. Wie lautet Ihre

Einschätzung?

W.S.: Sulzer betreibt ja auch ein wenig

Online-Handel. Dieser Unternehmensteil

arbeitete vor Ostern sieben Tage die

Woche von morgens 8 bis nach 20 Uhr

abends. Die Abteilung hat Ostern ein besseres

Geschäft gehabt als zu Weihnachten.

Die momentane Kundenfrequenz

im Geschäft zeigt mir zudem, dass der

Lernprozess bei Kunden sehr weit fortgeschritten

ist. Ich glaube, die aktuelle

Entwicklung wird letztendlich dazu führen,

dass sich das Verbraucherverhalten

verändert. Wir stationären Händler müssen

derzeit erst einmal auf Sicht fahren,

große Investitionen sind schwierig. Darüber

hinaus muss es uns gelingen, das

Vertrauen der Kunden wiederzugewinnen.

Ein Teil der Kunden wird also verloren

gehen, weil Sie ja selbst gezeigt haben,

dass online reibungslos funktioniert und

der Chef sogar selbst liefert?

W.S.: Natürlich macht man sich viele Gedanken,

weniger um sich, der gleichsam

noch aus dem letzten Jahrtausend

stammt, als vielmehr darüber, wie mein

Sohn mit dieser Situation zurechtkommt.

Momentan sieht es so aus, dass alle bei

Amazon & Co. kaufen, aber möglicherweise

kommt es zu Gegentrends. Für

uns ist nach wie vor das Thema Lieferdienst

aktuell, was so viel heißt, dass wir

Händler uns mal wieder neu erfinden

müssen: Erlebniskauf bieten, was auch

immer das sein mag, dem Kunden entgegenkommen,

ihm die Möglichkeit geben,

das Produkt abends um 22.00 Uhr

auf der Couch zu bestellen und es stationär

zurückgeben zu können. Das ist

das, was uns die schlauen Berater immer

empfehlen. Das mache ich auch gerne,

nur kann ich nicht einen Service bieten,

den mir keiner bezahlen möchte.

Und was werden Sie in den nächsten

Wochen auf die Beine stellen, um das

Vertrauen der Kunden, von dem Sie gesprochen

haben, zurückzugewinnen?

W.S.: Ein Patentrezept haben wir nicht

und gäbe es eins, würde das auch niemand

erfahren, aber Not macht bekanntlich

erfinderisch. Inzwischen spreche ich

Ideen und Stichworte, die mir durch den

Kopf gehen, in ein Diktiergerät. Das Festgehaltene

arbeite ich jetzt ab.

In diesem Jahr wird Spielwaren Sulzer

100 Jahre. Wird trotz der Krise ein klein

wenig gefeiert?

W.S.: Nein, alles ist abgesagt, aber ich

glaube, das ist auch nicht so schlimm,

denn unsere Zielgruppe kann doch mit

100 Jahren gar nichts anfangen. Und natürlich

muss auch Sulzer auf die Liquidität

schauen. Hätte ich jetzt ein Budget zur

Verfügung, würde ich es in meine Mitarbeiter

investieren und sagen: Danke,

dass ihr so klaglos ab dem 18. März zu

Hause geblieben seid, und sorry, dass

ihr jetzt Einschnitte erleben müsst, die

hart sind.

Herr Sulzer, wir bedanken uns für das

Gespräch.

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