BT_04-2020_Nord_epaper
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DIENSTLEISTUNG<br />
LÖSUNGSVORSCHLÄGE<br />
Die Psyche leidet<br />
unter Corona<br />
Corona trifft die Wirtschaft auch auf einem anderen Weg, sozusagen „hintenherum“.<br />
Denn einige Arbeitskräfte, Studenten und sogar Schüler werden<br />
aufgrund von Corona psychisch krank. Wer besonders gefährdet ist und was<br />
man als Betroffener tun kann, sagt uns Dr. Steve Truöl, Chefarzt der Abteilung<br />
Depression und Trauma Ravensburg-Bodensee im ZfP Südwürttemberg.<br />
Von Stefanie Rebhan<br />
Wir alle erleben eine außergewöhnliche<br />
Situation. Auf unbestimmte Zeit sind viele<br />
Deutsche ins Home Office verbannt,<br />
Freunde und Familie dürfen nur noch<br />
eingeschränkt zu Besuch kommen und<br />
wir sollen uns nicht mehr umarmen.<br />
Studenten sollten zu Hause studieren,<br />
Schüler haben zumindest teilweise keine<br />
Schule. Es bereitet uns auch die<br />
wirtschaftliche Ungewissheit Sorgen.<br />
Bleiben unsere Unternehmen trotz einbrechender<br />
Umsätze bestehen? Können<br />
wir unsere Jobs behalten?<br />
Die Grundfrage für Dr. Steve Truöl,<br />
Chefarzt der Abteilung Depression und<br />
Trauma, ist: Wie lange werden die Einschränkungen<br />
noch andauern? „Wir<br />
können einiges wegstecken, aber nicht<br />
über große Zeiträume hinweg“, sagt er.<br />
Viele Menschen seien zunächst nur psychisch<br />
belastet von der Situation. Das<br />
könne sich aber zu einer manifesten<br />
Krankheit entwickeln. Normalerweise<br />
sind es etwa 10 Prozent der Menschen,<br />
die sich psychisch belastet fühlen. Jetzt<br />
sind es rund 24 Prozent.<br />
Wegfall der Tagesstruktur<br />
Depression, Angsterkrankungen und<br />
Suchtverhalten seien die Störungen,<br />
die am meisten von äußeren Faktoren<br />
abhängig sind und in der Corona-Zeit<br />
zunehmend häufiger auftreten. „Die<br />
Probleme sind der Wegfall der Tages-<br />
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struktur, die sehr wichtig ist. Es können<br />
finanzielle Ängste hinzukommen und<br />
auch Ängste vor der Erkrankung an sich.<br />
Immerhin, sagt Dr. Steve Truöl, „solche,<br />
die wegen beruflichem Stress krank geworden<br />
sind, haben wir weniger.“<br />
Problematisch ist der „Dichte-Stress“<br />
Besonders stark leiden Jugendliche und<br />
junge Erwachsene unter der Isolation<br />
– ihnen breche das gesellschaftliche<br />
Netz weg. Denn sie bilden ihre Identität<br />
noch mithilfe sozialer Kontakte.<br />
Auch Menschen, die bereits psychisch<br />
erkrankt waren, seien gefährdet – nicht<br />
weniger wie ältere und alleinstehende<br />
Menschen. „Genauso suboptimal<br />
ist eine Familie mit drei Kindern, die<br />
plötzlich auf engem Raum miteinander<br />
leben muss. Das nennt sich „Dichte-<br />
Stress“ und kann Gereiztheit, Wutausbrüche<br />
und auch die Zunahme häuslicher<br />
Gewalt zur Folge haben“, erklärt<br />
Dr. Steve Truöl.<br />
Es sei in jedem Fall wichtig, positive<br />
Dinge mit Freunden in seiner Freizeit<br />
zu erleben, die man selbst steuern kann<br />
und das falle momentan weg. Nicht viel<br />
besser ergehe es vielen Home-Office-<br />
Kämpfern. Dr. Steve Truöl: „Die waren<br />
teilweise heilfroh, als sie zwischendrin<br />
wieder in die Arbeit durften. Entweder<br />
sie hatten keine Ruhe, weil die Kinder<br />
zu Hause waren, oder sie leben allein<br />
und sind einsam. Da lässt die Gesamtlaune<br />
aller nach.“<br />
Wer in Kurzarbeit geschickt wurde oder<br />
gar den Job verloren hat, den treffe das<br />
Problem des schwindenden Selbstwertes,<br />
denn der wird oft durch die beruflichen<br />
Tätigkeiten generiert. Es fehle<br />
dann der stabilisierende Faktor. Und<br />
dieses Problem treffe eben nicht nur<br />
ein paar tausend Menschen, sondern<br />
deutlich mehr …<br />
Dr. Steve Truöl hätte sich von der Regierung<br />
gewünscht, dass man die gesamtgesellschaftlichen<br />
Nöte nicht außer<br />
Acht gelassen hätte, statt sich allein nur<br />
auf Corona zu fixieren. Mehr an Begleitforschung<br />
wäre angebracht gewesen,<br />
mehr Überlegungen über sinnvolle<br />
und nicht sinnvolle Maßnahmen.<br />
Allein, dass es einen zweiten Lockdown<br />
gab, den die Regierung noch<br />
im Frühjahr weit von sich wies, habe<br />
Hoffnungen zunichte gemacht. „Eine<br />
Hoffnung zu enttäuschen, ist für die<br />
Psyche belastender als wenn man die<br />
ganze Zeit gewusst hätte, dass es einen<br />
zweiten Lockdown geben könnte. So<br />
nach dem Motto: Man hat sich an alles<br />
gehalten und trotzdem passiert es wieder“,<br />
so Dr. Steve Truöl. Die ganze Gesellschaft<br />
habe beim ersten Lockdown<br />
zusammengehalten und wollte geschlossen<br />
gegen den Feind ankämpfen.