12.11.2020 Aufrufe

BT_04-2020_Nord_epaper

  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DIENSTLEISTUNG<br />

LÖSUNGSVORSCHLÄGE<br />

Die Psyche leidet<br />

unter Corona<br />

Corona trifft die Wirtschaft auch auf einem anderen Weg, sozusagen „hintenherum“.<br />

Denn einige Arbeitskräfte, Studenten und sogar Schüler werden<br />

aufgrund von Corona psychisch krank. Wer besonders gefährdet ist und was<br />

man als Betroffener tun kann, sagt uns Dr. Steve Truöl, Chefarzt der Abteilung<br />

Depression und Trauma Ravensburg-Bodensee im ZfP Südwürttemberg.<br />

Von Stefanie Rebhan<br />

Wir alle erleben eine außergewöhnliche<br />

Situation. Auf unbestimmte Zeit sind viele<br />

Deutsche ins Home Office verbannt,<br />

Freunde und Familie dürfen nur noch<br />

eingeschränkt zu Besuch kommen und<br />

wir sollen uns nicht mehr umarmen.<br />

Studenten sollten zu Hause studieren,<br />

Schüler haben zumindest teilweise keine<br />

Schule. Es bereitet uns auch die<br />

wirtschaftliche Ungewissheit Sorgen.<br />

Bleiben unsere Unternehmen trotz einbrechender<br />

Umsätze bestehen? Können<br />

wir unsere Jobs behalten?<br />

Die Grundfrage für Dr. Steve Truöl,<br />

Chefarzt der Abteilung Depression und<br />

Trauma, ist: Wie lange werden die Einschränkungen<br />

noch andauern? „Wir<br />

können einiges wegstecken, aber nicht<br />

über große Zeiträume hinweg“, sagt er.<br />

Viele Menschen seien zunächst nur psychisch<br />

belastet von der Situation. Das<br />

könne sich aber zu einer manifesten<br />

Krankheit entwickeln. Normalerweise<br />

sind es etwa 10 Prozent der Menschen,<br />

die sich psychisch belastet fühlen. Jetzt<br />

sind es rund 24 Prozent.<br />

Wegfall der Tagesstruktur<br />

Depression, Angsterkrankungen und<br />

Suchtverhalten seien die Störungen,<br />

die am meisten von äußeren Faktoren<br />

abhängig sind und in der Corona-Zeit<br />

zunehmend häufiger auftreten. „Die<br />

Probleme sind der Wegfall der Tages-<br />

56<br />

struktur, die sehr wichtig ist. Es können<br />

finanzielle Ängste hinzukommen und<br />

auch Ängste vor der Erkrankung an sich.<br />

Immerhin, sagt Dr. Steve Truöl, „solche,<br />

die wegen beruflichem Stress krank geworden<br />

sind, haben wir weniger.“<br />

Problematisch ist der „Dichte-Stress“<br />

Besonders stark leiden Jugendliche und<br />

junge Erwachsene unter der Isolation<br />

– ihnen breche das gesellschaftliche<br />

Netz weg. Denn sie bilden ihre Identität<br />

noch mithilfe sozialer Kontakte.<br />

Auch Menschen, die bereits psychisch<br />

erkrankt waren, seien gefährdet – nicht<br />

weniger wie ältere und alleinstehende<br />

Menschen. „Genauso suboptimal<br />

ist eine Familie mit drei Kindern, die<br />

plötzlich auf engem Raum miteinander<br />

leben muss. Das nennt sich „Dichte-<br />

Stress“ und kann Gereiztheit, Wutausbrüche<br />

und auch die Zunahme häuslicher<br />

Gewalt zur Folge haben“, erklärt<br />

Dr. Steve Truöl.<br />

Es sei in jedem Fall wichtig, positive<br />

Dinge mit Freunden in seiner Freizeit<br />

zu erleben, die man selbst steuern kann<br />

und das falle momentan weg. Nicht viel<br />

besser ergehe es vielen Home-Office-<br />

Kämpfern. Dr. Steve Truöl: „Die waren<br />

teilweise heilfroh, als sie zwischendrin<br />

wieder in die Arbeit durften. Entweder<br />

sie hatten keine Ruhe, weil die Kinder<br />

zu Hause waren, oder sie leben allein<br />

und sind einsam. Da lässt die Gesamtlaune<br />

aller nach.“<br />

Wer in Kurzarbeit geschickt wurde oder<br />

gar den Job verloren hat, den treffe das<br />

Problem des schwindenden Selbstwertes,<br />

denn der wird oft durch die beruflichen<br />

Tätigkeiten generiert. Es fehle<br />

dann der stabilisierende Faktor. Und<br />

dieses Problem treffe eben nicht nur<br />

ein paar tausend Menschen, sondern<br />

deutlich mehr …<br />

Dr. Steve Truöl hätte sich von der Regierung<br />

gewünscht, dass man die gesamtgesellschaftlichen<br />

Nöte nicht außer<br />

Acht gelassen hätte, statt sich allein nur<br />

auf Corona zu fixieren. Mehr an Begleitforschung<br />

wäre angebracht gewesen,<br />

mehr Überlegungen über sinnvolle<br />

und nicht sinnvolle Maßnahmen.<br />

Allein, dass es einen zweiten Lockdown<br />

gab, den die Regierung noch<br />

im Frühjahr weit von sich wies, habe<br />

Hoffnungen zunichte gemacht. „Eine<br />

Hoffnung zu enttäuschen, ist für die<br />

Psyche belastender als wenn man die<br />

ganze Zeit gewusst hätte, dass es einen<br />

zweiten Lockdown geben könnte. So<br />

nach dem Motto: Man hat sich an alles<br />

gehalten und trotzdem passiert es wieder“,<br />

so Dr. Steve Truöl. Die ganze Gesellschaft<br />

habe beim ersten Lockdown<br />

zusammengehalten und wollte geschlossen<br />

gegen den Feind ankämpfen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!