Bürgerbroschüre Spaichingen
Bürgerbroschüre von Spaichingen mit Infos zur Gemeindeverwaltung, Freizeit, Kultur, Tourismus und Handel, Handwerk & Dienstleistung.
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GEDENKSTÄTTE FÜR DIE OPFER DES<br />
EHEMALIGEN KONZENTRATIONSLAGERS SPAICHINGEN<br />
Von August 1944 bis April 1945 bestand in<br />
<strong>Spaichingen</strong>, etwa auf dem Gelände des heutigen<br />
Marktplatzes, des Busbahnhofs und des<br />
Rathausparkplatzes, ein vom Oberndorfer<br />
Waffenhersteller Mauser betriebenes Konzentrationslager.<br />
Mindestens 94 Häftlinge aus<br />
ganz Europa starben in Zusammenhang mit<br />
den Lager- und Arbeitsbedingungen und<br />
durch die Behandlung durch SS-Leute und<br />
anderes Wachpersonal. Dreißig der Häftlinge<br />
waren 1945 hinter dem Friedhof direkt an der<br />
Bahntrasse in einem Massengrab verscharrt<br />
worden.<br />
Schon 1945 wurde dort eine erste Gedenkstätte<br />
durch die französische Besatzung angelegt.<br />
1963 wurde die Anlage mit dem eindrucksvollen<br />
Denkmal des Tuttlinger Bildhauers<br />
Roland Martin und mit Namenstafeln<br />
für die dreißig Häftlinge neu gestaltet. All die<br />
Jahre war der Platz jedoch ohne Informationen<br />
für die Besucher geblieben. Nur eine Tafel<br />
mit der Inschrift „Den Opfern der Gewalt“<br />
hatte einen vagen Hinweis gegeben.<br />
Nach einer Vorbereitungszeit von zwei Jahren<br />
erhielt die Gedenkstätte 2019 ein neues Gesicht:<br />
Ein zusätzliches Feld mit Namenstafeln<br />
erinnert nun auch an die restlichen 64 namentlich<br />
bekannten Häftlinge, die in <strong>Spaichingen</strong><br />
verstorben oder ermordet worden<br />
waren.<br />
Zehn Informationstafeln, die in eine neu angelegte<br />
Lindenallee integriert sind, erläutern<br />
die Geschichte des Konzentrationslagers.<br />
Zwei Sitzbänke laden zum stillen Gedenken<br />
an die Opfer des Konzentrationslagers ein.<br />
Am 29. September 2019 wurde die neu gestaltete<br />
Gedenkstätte feierlich eingeweiht und<br />
dient nun für Spaichinger und Auswärtige als<br />
Erinnerungs- und Gedenkort für die Opfer<br />
nationalsozialistischer Gewalt.<br />
Die Häftlinge, die nach und nach aus verschiedenen<br />
anderen Konzentrationslagern<br />
nach <strong>Spaichingen</strong> transportiert worden waren,<br />
sollten für die Mauser-Werke unter dem<br />
Tarnnamen „Metallwerke <strong>Spaichingen</strong>“ arbeiten:<br />
In Werkstätten, die in der ehemaligen Seidenweberei<br />
in der Charlottenstraße und in<br />
der Möbelfabrik Gustav Bühler eingerichtet<br />
worden waren und auf der Baustelle in der<br />
Lehmgrube, wo ein Fabrikneubau erstellt<br />
werden sollte. Dieser wurde erst nach Kriegsende<br />
fertiggestellt und diente der Bundeswehr<br />
lange Jahre als Depot.<br />
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die<br />
Häftlinge waren hart: Zwischen September<br />
1944 und April 1945 lagen kalte Wintermonate.<br />
Die Baracken auf Bulzen waren nicht beheizt,<br />
Schuhe und Häftlingskleidung nicht<br />
wintertauglich und das Essen für die schwere<br />
Arbeit zu mager. Meist bestand es aus etwas<br />
Brot und Getreidekaffee und einer dünnen<br />
Suppe. Da keine Entlausungsmittel mehr lieferbar<br />
waren, wurden die geschwächten Häftlinge<br />
durch starken Läusebefall geplagt. Dazu<br />
kam die brutale Behandlung durch SS-Wachleute<br />
und kriminelle Kapos, die aus geringsten<br />
Anlässen anschrien, demütigten, schlugen<br />
und auch mordeten. Verstorbene Häftlinge<br />
wurden zunächst ins Krematorium nach Tuttlingen<br />
gebracht. Als die Holzkohle knapp<br />
wurde, verscharrte man die Häftlinge hinter<br />
dem Friedhof. Bis heute ist unklar, wie viele<br />
Häftlinge wirklich gestorben sind, 94 sind bisher<br />
namentlich bekannt.<br />
Als Mitte April die französischen Truppen näher<br />
rückten, wurde das Konzentrationslager<br />
evakuiert, damit diese keine Häftlinge mehr<br />
vorfinden sollten. Die schwächsten Häftlinge<br />
wurden nach Dachau transportiert, was für<br />
viele den Tod bedeutete. Die marschtauglichen<br />
Häftlinge wurden mit etwas Verpflegung<br />
ausgestattet und mussten zu Fuß und bewacht<br />
von SS-Leuten den sogenannten „Todesmarsch“<br />
Richtung Allgäu antreten. Diesen<br />
Marsch überlebten viele der geschwächten<br />
Häftlinge nicht. Die SS-Leute, die als Bewacher<br />
mitmarschierten, flohen in der Gegend<br />
von Füssen, als sie dort auf Alliierte trafen<br />
und überließen die Häftlinge ihrem Schicksal.<br />
Die Häftlinge wurden von den Besatzern verpflegt,<br />
provisorisch untergebracht und medizinisch<br />
versorgt.<br />
In einem der „Rastatter Prozesse“ 1946 und<br />
1947 wurden Zeitzeugen und Beteiligte der<br />
Konzentrationslager befragt und Täter angeklagt,<br />
darunter auch Zeugen aus der Spaichinger<br />
Bevölkerung und Täter aus dem Spaichinger<br />
Lager und der Mauser-Werke. Viele<br />
der verurteilten Täter führten später in Freiheit<br />
ein bürgerliches Leben.<br />
In <strong>Spaichingen</strong> wird der Opfer des Konzentrationslagers<br />
auf verschiedene Weise gedacht:<br />
Im Stadtgebiet gibt es verschiedene<br />
Gedenktafeln, einen Gedenkweg und jährlich<br />
Gedenkfeiern am KZ-Ehrenmal.<br />
Stadtführungen informieren vor allem Schüler<br />
der Spaichinger Schulen.<br />
Weitere Informationen<br />
finden sich auf den Info-Tafeln an der<br />
KZ-Gedenkstätte hinter dem<br />
Friedhof, auf der Website der<br />
Stadt <strong>Spaichingen</strong> und auf der Website<br />
des 2017 gegründeten Vereins<br />
„Initiative KZ-Gedenkstätte<br />
<strong>Spaichingen</strong> e. V.“<br />
65<br />
www.spaichingen.de